Ladenschluss sofort! Diese Berliner Supermärkte sind das Grauen
Geschrei, Gedrängel oder Heile-Welt-Hölle: In Berlin kann der Einkauf schnell zur Herausforderung werden, und in einigen Supermärkten gilt das ganz besonders.

Menschen sind wie die Äpfel im Supermarkt. Irgendeine Macke hat jeder. Sagte mal der Dichter und Satiriker Wolfgang J. Reus. Dass Äpfel mit Macken verkaufende Supermärkte wiederum wie Menschen sein können, das behaupten wir jetzt einfach mal. Und weil man Behauptungen manchmal auch Beweise folgen lassen sollte, beschreiben wir hier fünf Supermärkte, die stellvertretend für ihre Einkäufer stehen und – wie wir finden – abgerissen werden müssen.
Die Supermarktreise beginnt am Bahnhof Zoo, führt nach Biesdorf, dann zurück zur Friedrichstraße, weiter zum Hauptbahnhof und am Ende noch mal raus nach Heinersdorf. Dass man Abrissbirnen nicht mit Äpfeln vergleichen sollte, versteht sich hoffentlich von selbst.
1. Zeitreise in das Berlin von Christiane F.: Hit Ullrich am Zoo
Das Grauen beginnt schon, bevor man den legendären Supermarkt am Bahnhof Zoo betritt. Flankiert vom Waldorf Astoria und der Kantstraße liegen vor Hit Ullrich an der Hardenbergstraße jene Menschen in Dreck und Kotze, die die Gesellschaft ausgestoßen hat: Obdachlose, Junkies, Bettler und Besoffene.
Wer zu Ullrich will, der eilt durch das Elend, durch ständiges Gebrüll und eine Duftwolke aus Urin, Abgasen und menschlichen Ausdünstungen, die vor dem riesigen Supermarkt wie eine unheilvolle Glocke über allem hängt.

Wer drinnen ist, atmet durch, wenn auch nur kurz. Denn auch der Einkauf bei Ullrich ist eine Herausforderung, dies ist kein Ort zum Verweilen, zum chilligen Mandelmilchholen oder dem Verkosten von Produkthäppchen, die einem die Klein-Biobäckerin aus dem Havelland strahlend entgegenreicht, wie man es aus den Läden in Mitte oder Kreuzberg kennt.
Wer zu Ullrich an den Zoo fährt, der will's wissen, der braucht etwas, das er nicht bekommt, weil all die fancy Biobuden in der City am Sonntag geschlossen haben. Hier bekommt man zum Beispiel: Toilettenpapier, Gewürzgurken, Milch, Butter, Marmelade, Nudeln, Pesto, Kondome, Vollwaschmittel.
Der Markt ist riesig, die Gänge sind eng, Menschen mit Rollkoffern rollen einem über den Fuß, irgendwer grölt. Es ist divers und ein faszinierender Ort für Einheimische gleichermaßen wie für die Reisenden, die vom räudigen Vorplatz des Bahnhofs Zoo in den Supermarkt geflüchtet sind. Das Schlimme an Hit Ullrich ist also gar nicht der Markt an sich, sondern der Weg dorthin. Nun sind große Bahnhöfe immer eine seltsame Angelegenheit, aber so runtergekommen wie der Vorplatz des Bahnhof Zoo ist in Berlin kaum ein anderer Ort. Marcus Weingärtner
2. Grüner Moralbooster: Bio Company im Biesdorf Center
Das Biesdorf Center, das sind nach stolzer Selbstdarstellung 40 Shops und 1600 Parkplätze auf insgesamt 50.000 Quadratmetern, also im deutschen Standardflächenmaß: etwa 30 Fußballfelder. Von Kik bis Kaufland, von Takko Fashion bis TK Maxx ist alles dabei, was man braucht oder eben auch nicht.
Und dann ist da noch die Bio Company, seit 1999 Berlins Vorzeigebiokette, ein Nachhaltigkeitsparadies, ein Moralbooster für die ganze Familie. Whole Foods made in Germany, ach, es ist so schön, dort das halbe Gehalt auf den Kopf zu hauen für vegetarische Burgerpatties auf Sojabasis, Dinkel Crunchy mit Reissirup oder dieses rote Glück „aus vollreifen, kanadischen Cranberrys direkt gepresst und schonend verarbeitet, naturtrüb und erfrischend-fruchtig im Geschmack“, lecker.

Auf einen räudigen Aldi zu schimpfen ist da vergleichsweise leicht. Und im Ullrich am Bahnhof Zoo keinen Hit zu erkennen und dem Laden deshalb einen schnellen Abrissbirnentod zu wünschen wahrlich kein subversiver Akt. Bei einer Bio Company muss man sich schon tief in die Mitarbeiterforen eingraben, um etwas Verwerfliches zu finden. Die letzten Lohndumpingvorwürfe liegen ja auch schon wieder über drei Jahre zurück, und das Deutsche Tierschutzbüro hat sich zuletzt 2020 kritisch zu Wort gemeldet. Nein, die Bio Company ist grüner als die Hoffnung.
Zumal im Biesdorf Center, wo sechs Bienenvölker auf dem Dach leben und unterm Dach Selbstzufriedenheitshymnen summende Menschen ihre Einkaufswägen durch so großzügig angelegte Gänge schieben, dass selbst hundert Klimakleber hier keinen Stau verursachen könnten.
Und dann noch diese gut gelaunten, stets freundlichen Mitarbeiter, die das Firmenmantra aka „Unsere Visionen“ verinnerlicht haben, Sätze wie „Wir wollen ein nachhaltiges Wirtschaften und ein kooperatives Miteinander“ oder „Wir wollen eine gesunde Erde und ein gesundes Leben“ und „Für uns und die Generationen nach uns“ wahrscheinlich sogar rückwärts aufsagen können, während sie bei Mondlicht abgefülltes Mineralwasser gurgeln und trotzdem noch das Regal kennen, wo der Lifebar Oat Snack, der „delikate Haferriegel, ideal für unterwegs, in verschiedenen Sorten“ zu finden ist.
Nach diesen Ego empowernden Heile-Welt-Gefühlen, womöglich auf Generationen hinaus, muss man dann erst mal zu Takko Fashion oder TK Maxx. Und wenn einem gleich nach Selbstzerstörung zumute ist, dann weiter zum Ullrich am Zoo. Paul Linke
3. Überkandidelter Touristennepp: Aldi am Bahnhof Friedrichstraße
Der Aldi war einst der Inbegriff des protestantischen Konsums. Viele Jahrzehnte hatte die unter den Albrecht-Brüdern Theo und Karl in Nord- und Süd-Revier aufgeteilte Discounterkette die Deutschen mit bodenständiger Ware in schlichten Filialen versorgt. Das Aldi-Konzept war geprägt von Minimalismus und Schnörkellosigkeit, Budgets für Marketing gab es nicht. Die einzige Werbung war die stets hohe Qualität der Produkte, die in West und Ost gleichermaßen beliebt waren. Als dann durch die Journaille auch noch das Geheimnis der unter Decknamen in den Regalen liegenden Markenartikel gelüftet wurde, war der Aldi endgültig „Kult“, wie man es damals nannte.
Nach dem Tod der Aldi-Gründer wurde das Unternehmen in mehrere Stiftungen überführt. Inzwischen gibt es Werbung und peppige Imagekampagnen. Wer wie genau die Fäden zieht, ist jedoch undurchsichtig. So ist auch unklar, auf wessen Mist das Konzept der Aldi-Nord-Dependance gewachsen ist, die vor knapp einem Jahr am Bahnhof Friedrichstraße eröffnet hat.

Schon im Eingangsbereich killt ein blau-weiß-gestreifter Buddy-Bär die Stimmung. Am liebsten möchte man beim Anblick der verhassten Skulptur auf dem Absatz kehrtmachen. Dann der nächste Schocker: an den Wänden eine indirekt beleuchtete Berlin-Skyline, ebenfalls im Alditüten-Muster. Auch den Boden schmücken die ineinander versetzten Streifen, die der Künstler Günter Fruhtrunk im Zeitalter der Plastiktüte für die Nord-Kette entwarf. Lange war dieses Design bei Aldi gar kein Thema, bis die Streifen plötzlich in Modekontexten auftauchten, man denke nur an den Balenciaga-Schal 2017 oder an die PB 0110-Ledertasche von Lars Eidinger 2020.
Aber welche hinterwäldlerische Marketingbude kommt auf die Idee, dieses überstrapazierte Retrodesign auch noch mit trashiger Tourismusästhetik zu vermengen? Jeder normale Berliner rennt hier doch schreiend wieder raus! Oder will man die bornierten Hauptstädter eh nicht ansprechen? Fast scheint es so, an den Wänden wird zumindest mehrsprachig kommuniziert. Dort hängen deutsche und englische Erklärtafeln über die Geschichte des Aldis und – na klar, über die Streifen. In einem Merchandise-Regal gibt es blau-weiß gemusterte Tassen, T-Shirts und Turnbeutel. Auch an den Säulen klebt ein bisschen Aldi-Tapete hier und da. Hatten die Planer vielleicht ein Aldi-Museum im Sinn?
Denkt man die Idee zu Ende, hätte das eigentlich ganz pfiffig sein können. Man war aber einfach nicht radikal genug: Statt die Streifen nur partiell in der Filiale zu verteilen, hätten einfach Boden, Wände und Decke komplett damit tapeziert werden müssen. Davor dann die Regale, fertig ist die Shopping-Installation. In einem derart extremen Streifenwahnsinn würde das mit dem Posten auf Instagram vielleicht auch besser funktionieren – das ist ja offenbar gewünscht, oder warum wird man als Kunde so süffisant mit einem #checkpointaldi über dem Reichstag begrüßt? Auf Social Media ist der Hashtag jedenfalls recht unpopulär. Immerhin punktet der Aldi im Gegensatz zur Rewe-Filiale 100 Meter weiter mit günstiger Bio-Süßrahmbutter für 2,69 Euro. Sonst unterscheiden sich die Preise jedoch kaum bis gar nicht. Hätte man doch bloß nicht so viel Geld in den überkandidelten Streifenquatsch reingebuttert und stattdessen günstige Lebensmittel im Angebot. Sabine Röthig
4. Das schlechtere Berghain: Rewe am Hauptbahnhof
Sonntags halb zehn in Deutschland. Die Schlange ist viele, viele Meter lang. Der eine oder die andere steht schon seit Ewigkeiten hier. Nur schrittchenweise schiebt sich der Pulk der Tür entgegen, hinter der das heiß ersehnte Paradies wartet. Das Konsumparadies nämlich.
Denn die Szene mit der unendlich langen Schlange spielt sich jeden Sonntag eben nicht nur vor dem Berghain ab. Auch am Hauptbahnhof wird am siebten Tag der Woche gestanden und gewartet. Das Ziel: der Rewe im ersten Untergeschoss. Die Stimmung: bescheiden. Wie zur Hölle ist es möglich, fragt man sich, dass ausgerechnet am Hauptstadthauptbahnhof der gefühlt kleinste Supermarkt der Welt errichtet wurde?

Der Rewe, der täglich zwischen 6 und 22 Uhr geöffnet hat, ist nämlich nicht viel größer als eine mittelgroße Altbauwohnung. Und sieht am Wochenende ob der Menge an Kundinnen und Kunden, die sich durch die schmalen Regalgänge drücken und zwängen, meistens auch so aus: Wie eine abgerockte Altbaubude nämlich, in der gerade eine berghainverdächtige Party stattgefunden hat.
Die Regale wurden raffgierig leergeräumt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen mit dem Auffüllen und Sortieren kaum noch hinterher. Im vorderen Obst- und Gemüsebereich sind schon ab mittags nur noch die abgegriffensten Paprika und Zucchini zu haben, die mit Dellen und braunen Stellen dran. Und viele andere Produkte gibt’s spätestens am Nachmittag gar nicht mehr. Was ziemlich ärgerlich ist, wenn es um überlebenswichtige Güter wie zum Beispiel Toilettenpapier geht.
Klar, dass der Andrang hier trotzdem immer riesig ist – der Rewe am Hauptbahnhof ist schließlich einer von verhältnismäßig wenigen Berliner Supermärkten, die auch am Sonntag stets geöffnet haben. Eine wichtige Anlaufstelle für jeden Verpeilten also, der beim letzten Einkauf unter der Woche irgendwas vergessen hat. Und davon, von den Verpeilten, gibt’s in unserer Stadt bekanntlich besonders viele. Wenn sie am Sonntag nicht gerade vorm Berghain anstehen, warten sie eben in der Rewe-Schlange am Hauptbahnhof. Manuel Almeida Vergara
5. Krieger am Brotregal: Kaufland in Heinersdorf
Hier draußen am Stadtrand ist Platz, da werden Supermärkte nicht in irgendwelche Baulücken gezwängt. Stattdessen kann sich der Lebensmittelvollsortimenter richtig ausbreiten und alles anbieten, was das Konsumentenherz begehrt. Und so gibt es im Kaufland an der Romain-Rolland-Straße nicht nur das übliche Supermarkt-Allerlei, sondern auch Haushalts- und Elektrogeräte, Autozubehör, Klamotten, einen großen Getränkemarkt, vor Ort zubereitetes Sushi sowie Bedientheken für Wurst, Käse, Antipasti, Fisch und Fleisch.
Ist doch toll, werden Sie jetzt sagen, und mir den markenfremden Slogan „Einmal hin, alles drin“ um die Ohren hauen. Nun, wenn man unter der Woche Tagesfreizeit und Muße hat, dann mag das sogar stimmen. Wer aber für seine Einkäufe aufs Wochenende angewiesen ist, der muss sich die ganze Produktpracht mit Heerscharen von Menschen teilen, die die Gänge blockieren und mehrheitlich rücksichtslos ihrer Wege gehen.

Als wir vor sechs Jahren aus der Innenstadt an die Pankower Peripherie zogen, war ich darauf nicht vorbereitet. Ich war verloren zwischen den vielen Gängen, suchte mich dumm und dämlich nach der Hefe, dem Senf, den Kapern; war überfordert von drölfzig Kaffeesorten und Nudelvarianten. Wenn ich an der Kasse merkte, dass ich die Petersilie vergessen hatte, war ich dem Nervenzusammenbruch nah. Denn das bedeutete, einmal zurück durch den ganzen Markt und auf Anfang, wo die Gemüseabteilung ist. Vorbei an gestressten Einkäufern, schreienden Kindern, sich zoffenden Paaren.
Sie meinen, ich übertreibe? Nun, vor ein paar Wochen samstags wollte ich wie üblich zum Roggenzwilling im Brotregal greifen, als ich plötzlich rote Flecken auf dem Boden sah. Irritiert blickte ich mich um und wurde einiger Polizisten gewahr, die zwei männliche Streithähne voneinander trennten. Der ältere von beiden blutete am Kopf, eine Platzwunde, die verbunden werden musste. Ich stand also in einer Blutlache, weil man sich hier gerade geprügelt hatte. Vielleicht um das letzte Walnussbaguette, wer weiß?
Im Kaufland, da liegen die Nerven schon mal blank. Zu laut, zu voll, zu viel von allem. Man kauft Dinge, die man nicht benötigt; Hamstern in Heinersdorf, dafür braucht es kein Corona und keine sonstigen Notlagen. Da ist was im Angebot, das wird jetzt mitgenommen. Schließlich reisen hier eh alle mit dem Auto an, und der Kofferraum ist groß.
Warum wir uns den Stress antun? Gute Frage! Ich antworte mit dem markenfremden Slogan „Einmal hin, alles drin“ und füge hinzu: Die Alternativen sind am Stadtrand nicht besser. Also haben wir uns reingekämpft, wir haben durchgehalten und sehen den Einkauf mittlerweile als sportliche Herausforderung, die mit stoischer Scheuklappenmentalität und möglichst ohne das Beisein von kleinen Kindern erledigt werden muss.
Inzwischen weiß ich, wo die Hefe liegt und kenne eine Abkürzung zum Petersilienregal. Ich habe eine ausgefeilte Wagenabstell- und Sortiertechnik entwickelt, nehme strategisch günstige Laufwege und schalte am Kassenband den Einräumturbo an. Die Kaufland-Kassiererinnen sind die schnellsten von ganz Berlin, die Kunden die größten Drängler unter der Sonne. Klar, alle wollen hier raus! Und endlich ihre Belohnung essen: die Currywurst von Curry Land. Die beste Imbissbude der Stadt, sie steht auf dem Parkplatz vor dem Kaufland in Heinersdorf. Liebe Abrissbirne, die Bude bitte unbedingt stehenlassen! Anne Vorbringer
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