Lärm, Müll, andere Kleinigkeiten: Polizei hat zu wenig Zeit für die Verbrechensbekämpfung

Polizisten kommen immer weniger zur Strafverfolgung, weil sie sich zunehmend um Lärm, Müll und andere Kleinigkeiten kümmern müssen. Bei der ohnehin schon überlasteten Berliner Polizei ist das seit Jahren bekannt. Nun ist offenbar auch Polizeipräsident Klaus Kandt aufgewacht. In einem Brandbrief an Innensenator Andreas Geisel (SPD), der der Berliner Zeitung vorliegt, wirft er den zuständigen Ordnungsämtern fehlende Unterstützung vor. Der Innensenator wolle nun auf der politischen Ebene auf die zuständigen Bezirksstadträte einwirken.

Es knirscht schon länger zwischen der Polizei und den Bezirksämtern. Jetzt ist das Problem zur Chefsache gemacht worden. Ein Dienststellenbesuch im Abschnitt 35 hat Kandt offenbar die Augen geöffnet. Mitarbeiter des Weddinger Abschnitts hatten ihm berichtet, dass es Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern gebe. Auf Nachfrage hatten das die übrigen Direktionen bestätigt.

Alle beklagten die „mangelnde Übernahme von Einsätzen“ durch die Ordnungsämter, obwohl diese dafür zuständig seien. Viele Kräfte der Polizei würden vor allem wegen Lärmbelästigungen und Verkehrsbehinderungen zusätzlich gebunden. Als Grund für die fehlende Einsatzbereitschaft der Ordnungsämter hätten die Bezirksämter „ein personelles Defizit“ genannt.

Die Polizei muss entlastet werden

In dem scharf formulierten Schreiben an den Innensenator beklagt Kandt, dass die Einsätze wegen Ruhestörung hauptsächlich nach 22 Uhr gemeldet werden – also außerhalb der regulären Arbeitszeit der Ordnungsämter. Das führe dazu, dass die Polizei übernehmen muss. „Die dafür eingesetzten Funkwagen stehen dann für polizeilich relevante Aufträge nicht mehr zur Verfügung“, kritisiert Kandt in seinem Brief. Außerdem habe die Polizei auch in der Woche an Vor- und Nachmittagen, also in der regulären Dienstzeit der Ämter, niemanden erreichen können. „Eine Verbindungsaufnahme mit dem zuständigen Bezirksamt“ sei nicht möglich gewesen.

Kandt bekräftigte die Schilderungen aus den Abschnitten mit Zahlen, die in dem Schreiben an Geisel deutlich machen, dass die Situation bereits 2013 akut war. Demnach gingen bei der Einsatzzentrale der Polizei 68.000 Aufträge ein, für die die Ordnungsämter zuständig gewesen waren. „In allen Fällen wurde versucht, das Ordnungsamt zu erreichen, was in 20.000 Fällen auch gelang“, so Kandt. Die übrigen 48.000 Einsätze mussten von seiner Behörde übernommen werden. Die angespannte Personalsituation in den Bezirks- und Ordnungsämtern sei ihm bewusst. Kandt bittet daher die Innenverwaltung, Kontakt mit den Bezirksämtern aufzunehmen, um Maßnahmen zu ergreifen, die die Polizei in Zukunft entlastet.

Verhältnis zwischen Kandt und Geisel angespannt

Eine Sprecherin von Geisel bestätigte am Freitag den Erhalt des Briefes und sagte: „Selbstverständlich werden wir uns im Rahmen der Möglichkeiten mit geschilderten Problemen befassen, welche uns aus unseren nachgeordneten Behörden erreichen.“ Zugleich verwies sie auf die Aufgabenverteilung in Berlin zwischen dem Senat und den zwölf Bezirken, die für die Ordnungsämter zuständig seien. „Wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass die Innenverwaltung grundsätzlich keinen Einfluss auf den Personaleinsatz der Bezirke hat“, so die Sprecherin.

Nach Angaben der Gewerkschaft (GdP) der Polizei wolle Kandt mit dem Brief ein Zeichen setzen. „Wir unterstützen das. Eine Entlastung ist dringend notwendig. Es kann nicht sein, dass die Polizei für alles der letzte Notnagel ist“, erklärte GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Man sei aber froh, dass der Polizeipräsident sich „des bekannten Problems“ endlich annimmt.

Das Verhältnis zwischen Kandt und Geisel soll seit den Ermittlungspannen im Fall Anis Amri, des Attentäters vom Breitscheidplatz, angespannt sein.

In Polizeikreisen heißt es, der Aktionismus im Tiergarten habe für Kandt das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Senat hatte ohne Absprache mit der Polizei vollmundig verstärkte Polizeikontrollen angekündigt. Auch Tage später waren weder der Abschnitt noch die Einsatzhundertschaften einbezogen worden.