Entführter Chemie-Student: „Dies ist kein Spaß, wir stechen dich ab“
Am Landgericht Berlin begann der Prozess gegen zwei Männer, die in Lichterfelde einen 22-Jährigen verschleppt haben sollen. Sie sperrten ihn in der Wohnung ein.

In der Nacht zum 30. Juli des vorigen Jahres verschwand der Chemiestudent Timothy S. Er hatte den Abend in der Kneipe Bechereck in der Neuköllner Okerstraße verbracht und war danach in sein Wohnheim in der Lichterfelder Goerzallee zurückgekehrt. Dort verlor sich seine Spur. Er wurde als vermisst gemeldet, und die Polizei ging mit einem Foto des jungen Mannes an die Öffentlichkeit. Erst nach sieben Tagen konnte die Polizei die Geisel aus einer Wohnung in Gesundbrunnen befreien.
Seit Montag stehen die beiden mutmaßlichen Entführer des Studenten vor einer Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts. Mohamed F. und Alan L., 24 und 21 Jahre alt, der eine gelernter Koch, der andere Security-Mitarbeiter. Sie müssen sich unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs und räuberischer Erpressung verantworten.
Die Staatsanwaltschaft wirft den polizeibekannten Angeklagten vor, Timothy S. am Morgen des 30. Juli 2022 bis in den Fahrstuhl seines Studentenwohnheimes gefolgt zu sein. Dort hätten sie ihn mit einem Messer bedroht und mit den Worten, dass dies kein Spaß sei und sie ihn abstechen würden, aufgefordert, Handy und Geldbörse auszuhändigen.
In Teltow 1500 Euro vom Konto abgehoben
Aus Angst sei der Student der Aufforderung nachgekommen und habe den Tätern auch noch die verlangte PIN für die Geldkarte genannt. Laut Anklage fanden Mohamed F. und Alan L. über das Handy ihres Opfers heraus, dass Timothy S. auf seinem Konto statt der angegebenen 800 Euro über ein Guthaben von 13.000 Euro verfügte. Alan L. soll dem Studenten daraufhin die Nase blutig geschlagen haben.
Timothy S. hatte Angst, und die Angeklagten nutzten dies nach Angaben von Staatsanwalt Philipp Hujo aus. Sie sollen den Studenten gezwungen haben, mit ihnen zu einem Geldautomaten der Mittelbrandenburgischen Sparkasse in Teltow, kurz hinter der Berliner Stadtgrenze, zu fahren. Dort hoben sie kurz nach 3 Uhr nachts 1500 Euro vom Konto des Geschädigten ab, berichtete der Anklagevertreter.
Da Timothy S. über ein tägliches Limit zum Abheben von Geld verfügte, sollen die Angeklagten beschlossen haben, den Studenten so lange festzuhalten, bis sie sein Konto leer geräumt hätten. Zu dritt seien sie mit einem Uber-Taxi in die Wohnung von Alan L. in der Behmstraße in Gesundbrunnen gefahren, wo sie ihr Opfer gefangen gehalten hätten, so der Staatsanwalt.
In der Wohnung soll Timothy S. zum Konsum von Cannabis und Kokain gezwungen worden sein. Alan L. soll den Studenten zudem weiterhin mit einem Messer und einem Hammer bedroht und mit dem Hammer auch auf die Arme und Beine des jungen Mannes geschlagen haben. Täglich hob offenbar jeder der Angeklagten Geld vom Konto des entführten Studenten ab. Am 5. August konnte die Polizei den verschleppten jungen Mann aus der Wohnung von Alan L. befreien.
Timothy S. wurde letzten Freitagabend bei einem Polizeieinsatz in einer Berliner Wohnung festgestellt und seiner Familie übergeben. Der junge Mann soll gegen seinen Willen festgehalten worden sein. Die Ermittlungen dazu dauern an, ein Tatverdächtiger wurde festgenommen.
— Polizei Berlin (@polizeiberlin) August 10, 2022
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Mohamed F. sagt an diesem ersten von insgesamt neun Verhandlungstagen nichts, er will sich erst am kommenden Prozesstag zu den Vorwürfen äußern. Alan L. dagegen räumt die Vorwürfe weitgehend ein. Er sagt, er habe nicht gewollt, dass Timothy S. zu ihm nach Hause gebracht würde. Aber Mohamed F. habe ihm Druck gemacht, sodass er gedacht habe: „Okay, dann lassen wir ihn bei mir.“ Der Student habe täglich Essen, Trinken und Zigaretten bekommen. „Und jeder hat täglich 1000 Euro abgehoben.“
Allerdings bestreitet Alan L., den Studenten zu Kokain und Cannabis gezwungen zu haben. „Ich sehe alles ein, habe große Scheiße gebaut. Es tut mir alles sehr leid“, so der 21-Jährige. Auch die in der Anklage stehenden Raubüberfälle auf acht weitere Männer und Frauen zwischen Mai und August vorigen Jahres gibt der 21-Jährige zu.
Schusswaffe in Mund und Auge gedrückt
Dabei hatten die Angeklagten laut Staatsanwaltschaft ihre Opfer nachts in Berlin überfallen und ihnen Wertgegenstände abgenommen. In einem Fall sollen sie einen jungen Mann in Zehlendorf erst ausgeraubt und ihn dann gezwungen haben, sie in die elterliche Wohnung zu bringen. Dort drückten sie ihrem Opfer laut Anklage eine Schusswaffe in Mund und Auge und stahlen Geld, Schmuck und Elektrogeräte im Wert von rund 65.000 Euro. Des Weiteren wird Alan L. beschuldigt, zusammen mit weiteren „falschen Polizisten“ als sogenannter Abholer eine Seniorin in Marburg um ihr Vermögen in Höhe von 118.000 Euro gebracht zu haben.
Die Polizei kam den Angeklagten im Fall des entführten Studenten schnell auf die Schliche. Sie konnte das Mobiltelefon von Timothy S. orten. Zudem konnte sie einen der Taxifahrer ausfindig machen, der das Trio in der Nacht, in der der Student verschleppt wurde, gefahren hatte. Und schließlich wurde das Videomaterial aus der Sparkasse in Teltow sichergestellt, das die Angeklagten zusammen mit ihrem Opfer in der Nacht der Entführung um 3.11 Uhr beim Abheben von Geld zeigen soll.
Der Prozess gegen die beiden Angeklagten wird am kommenden Montag fortgesetzt. Timothy S., der als Nebenkläger auftritt, soll in zwei Wochen vor Gericht als Zeuge gehört werden.