Leben ohne Leiden: Diese Berliner Wohnung wurde komplett vegan eingerichtet
Moritz Ulrich und Niklas Noack verzichten auf tierische Produkte – auch in ihrem neu gestalteten Apartment. Dafür gab es nun einen Interior-Preis von PETA.

Einer der Hausherren macht die Ziehharmonika-Tür auf, drückt aufs Knöpfchen – und schon schiebt sich die ausfahrbare Sauna gemächlich in den Raum. Willkommen bei Moritz Ulrich und Niklas Noack; willkommen in ihrer Küche, wohlgemerkt: Die Schwitzstube auf Rollen befindet sich gleich neben dem kantigen Küchenblock aus einem grünlichen Quarzit, verbirgt sich hinter gerippten Holztüren, die in einen ähnlichen Ton getüncht wurden.
Überhaupt: Das tiefgrün lackierte Holz – mal mit akkuraten Rippen versehen, mal glatt und seidig glänzend – ist allgegenwärtig in der Neuköllner Wohnung des Paares. „The Green Box“ wurde das hölzerne Element getauft, das genau das ist: eine grüne Box, positioniert in der ungefähren Mitte der 120 Quadratmeter großen Dachgeschosswohnung. Zu zwei Seiten von rohen Betonwänden begrenzt, zu den beiden anderen von einer bodentiefen Fensterfront, zeigte sich die oberste Etage des Neubaus unweit des schönen Lohmühlenplatzes, wo Landwehrkanal und Neuköllner Schifffahrtskanal aufeinandertreffen, zunächst als großzügige Einzimmerwohnung.
Erst „The Green Box“ lässt verschiedene Gänge, kleine Flure, Fluchten, clever arrangierte Räume entstehen. Erdacht wurde sie von Ester Bruzkus, die mit ihrem Berliner Architekturbüro für die Gestaltung des gesamten Apartments verantwortlich zeichnete. „Die Idee einer mittigen Box gab es von Anfang an, sie war schon Teil von Esters erstem Entwurf für uns“, erzählt Moritz Ulrich, während er auf der schmalen Dachterrasse sitzt, die beinahe das ganze Apartment rahmt. Sein Partner Niklas Noack holt indes einen Architektur-Bildband von drinnen, schlägt das schwere Buch auf: Fotos des ikonischen „Farnsworth House“ von Mies van der Rohe, eines der bedeutendsten Architekten der Moderne, werden auf einer Doppelseite sichtbar.

„Diese Idee hat viel Inspiration gegeben“, sagt Noack und schlägt weitere Seiten mit weiteren „Farnsworth“-Bildern auf – auch van der Rohes um 1950 errichteter Bungalow in Illinois basiert auf einem rundherum bespielbaren Kubus und einer weiter nach außen versetzten Glashülle; die Wohnräume entstehen zwischen dem Kubus und den Fensterscheiben, ähnlich wie bei der oberen Etage der Neuen Nationalgalerie.

Übersetzt auf Ulrichs und Noacks Dachgeschoss bedeutet das: Zur Seite des Wohnzimmers und des Wohnungseingangs hin zeigt sich „The Green Box“ als großes Bücherregal; linksherum gegangen wird sie zur Küchenzeile, dahinter die von den Ziehharmonika-Türen verdeckte Sauna; rechtsherum befinden sich zwei Badezimmer, zuvorderst eines für die Gäste, dahinter das von Ulrich und Noack. Ganz hinten, an der entgegengesetzten Kante der Bücherregal-Seite, befindet sich zwischen Kubus und Fensterfront das Schlafzimmer, von beiden Seiten zu betreten, von der Küche und vom Badezimmer aus. Die verschiedenen Einheiten können durch Schiebetüren voneinander abgetrennt werden – stehen alle Türen offen, bekommt die Wohnung einen luftigen Loft-Charakter.

„Wir wollten eher die Atmosphäre eines großen Hotelzimmers erreichen“, erzählt Moritz Ulrich auf der Dachterrasse. „Erfahrungsgemäß halten wir uns eh immer in einem Zimmer auf, wir brauchen keine unterschiedlichen, in sich abgeschlossenen Räume.“ Was bei Mies van der Rohes Landhaus in Illinois Anfang der 1950er noch für Empörung sorgte – die Auftraggeberin, eine Ärztin aus Chicago, soll auf das ungewöhnliche Konzept nicht gerade begeistert reagiert haben –, war für Ulrich und Noack also das erklärte Ziel: offene Räume, fließende Übergänge, Wohnzimmer und Küche, Schlafzimmer und Bäder verschmelzen zu einem innenarchitektonischen Gesamtkunstwerk.

Es ist nicht der einzige Wunsch, den das Paar an seine Architektin Ester Bruzkus formulierte. Komplett vegan sollte ihre Inneneinrichtung sein. Das bedeutete nicht nur den Verzicht auf Ledersofas oder Seidenteppiche – auch weniger offensichtliche Details mussten bedacht werden, die richtigen Farben und Lacke zum Beispiel, vegane Klebstoffe mussten her. Trotzdem sei gerade die Suche nach geeigneten Textilien nicht unbedingt einfach gewesen, erzählt Niklas Noack, „gerade im hochwertigen Bereich sind Teppiche fast immer aus Seide, bei Vorhängen ist meist Wolle mit drin.“

Im Wohnzimmer des Paares, direkt vor Ester Bruzkus' fantastischem Kamin-Design aus Messing, hellem sowie rötlich marmoriertem Travertin, liegt nun ein handgeknüpfter Teppich mit charmantem Farbverlauf. Er besteht aus botanischer, also rein pflanzlicher Seide und kommt von der portugiesischen Firma Ferreira De Sá – einer Marke, die für andere Entwürfe allerdings auch Seiden oder Wollen verwendet. „Wir finden es gerade wichtig, vegane Angebote von Firmen anzunehmen, die auch nicht-vegane Produkte herstellen“, sagt Noack, „es kommt durchaus vor, dass wir auf der Autobahn bei McDonald’s halten, um einen veganen Burger zu essen.“ Erst wenn tierleidfreie Alternativen wahrgenommen, angenommen, wenn eine Nachfrage geschaffen werde, so die These, könne sich auch im größeren Kontext etwas ändern.

Moritz Ulrich und Niklas Noack leben schon viele Jahre vegan. „Veganismus ist Teil unserer Yoga-Tradition, bei mir ist diese durchaus ein Anlass gewesen, mich überhaupt intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen“, so Ulrich. Seit seiner Ausbildung zum Yoga-Lehrer im Jahr 2007 verzichtet er auf tierische Produkte, seit sich das Paar kurz darauf kennengelernt hat, lebt auch Niklas Noack komplett vegan. Zusammen leiten die beiden heute „Peace Yoga Berlin“ mit Studios in der Glogauer Straße und seit neuestem auch in der Eisenbahnstraße, in denen die Methode des Jivamukti Yoga praktiziert wird; Ulrich im Hauptberuf, Noack neben seiner Arbeit als plastischer Chirurg mit einer eigenen Praxis am Hackeschen Markt.

„Veganismus ist nicht grundsätzlich Teil aller Yoga-Philosophien, in vielen Bereichen gehört er nicht zwingend dazu. Zudem gibt es im Ayurveda spezielle Fleisch-Diäten und in Indien gilt Milch als heilig“, erklärt Moritz Ulrich. „Aber es gibt den Grundsatz der Gewaltlosigkeit, den wir leben, und dem wir mit einem veganen Lifestyle gut gerecht werden können.“ Niklas Noack ergänzt: „Selbst wenn man ethische Gesichtspunkte, die für uns tatsächlich im Vordergrund stehen, ausklammert, ist Veganismus die Antwort auf einige wichtige Fragen unserer Zeit“ – Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gesundheit.

Seit Jahren unterstützen Ulrich und Noack auch PETA; dementsprechend war die Freude groß, als Architektin Ester Bruzkus kürzlich von der weltweit größten Tierschutzorganisation ausgezeichnet wurde: Vor wenigen Monaten wurde ihr der „Vegan Interior Design Award“ verliehen – für ihre Arbeit an Ulrichs und Noacks Wohnung, versteht sich. „Ester Bruzkus' Architekten haben mit ihrem ‚The Green Box‘-Konzept eindrucksvoll bewiesen, dass auch eine hochwertige Innenraumgestaltung ohne tierische Materialien wie Leder, Wolle oder Daunen auskommen kann“, heißt es von der Organisation, man hoffe, „dass künftig noch viele weitere Architekturbüros und Bauherren diesem Beispiel folgen“.
Ähnlich formulieren es auch Moritz Ulrich und Niklas Noack – Nachfrage schaffen, Impulse geben. „Das Medienecho auf unser veganes Wohnkonzept war schon enorm, es gab Artikel in führenden Interior-Magazinen wie Architectual Digest und Beiträge selbst in Japan“, sagt Noack. Vielleicht fühlten sich andere Besitzerinnen und Besitzer davon inspiriert – und mehr Designerinnen und Designer dazu angeregt, komplett vegane Konzepte vorzulegen. „Das mag ein bisschen mehr Denkarbeit und Recherche erfordern“, so Moritz Ulrich, „aber es gibt doch längst für alles gute, hochwertige und tierleidfreie Alternativen.“ Die traumschöne Wohnung des Paares lässt keinen Zweifel daran.