Berlin-Der Wald ganz in unserer Nähe ist für mich zum Sinnbild der vergangenen Monate geworden, in denen man viel Gelegenheit hatte, über die Endlichkeit nachzudenken, über den Umgang mit dem Werden und Vergehen. Hier wird nichts ausgeblendet, verdrängt, beschönigt. Hier gibt es aber auch keine Panik. Jedenfalls hört man nichts.
„Das Gebot der Stunde heißt: Abwarten und zugucken, was die Natur macht“, hat der Bestseller-Förster Peter Wohlleben gesagt, Autor des Buchs „Das geheime Leben der Bäume“. Und genauso wird hier verfahren. Hier wird nicht gepflegt, nicht gesägt, nicht eingegriffen und fortgeräumt. Nur die Hauptwege werden freigehalten.
Mancher tote Baum lehnt schwer an einem lebenden
Tote Bäume bleiben einfach stehen – kahl, rindenlos, übersät mit Pilzen. Andere fallen um. Auf den Nebenwegen steigt man alle paar Meter über den Stamm eines Baums. Übers Jahr konnte man sehen, wie die trockenen Kronen in sich zusammensacken, die Stämme zerbröseln. Am schnellsten passiert das bei Birken. Manche Stämme fallen so, dass sie von den Lebenden gehalten werden. Manche kahle Kiefer lehnt schwer an einer noch schlanken, grünen Buche. So mancher Eichenast kracht auf einen jungen Ahorn.
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Wenn Wind weht, ächzt, knarrt und quietscht es. Könnten diese Bäume, alles Randberliner, reden, klänge das vielleicht so: „Eh, Alter, mach dir nich so schwer! Du schabst mir ja die janze Rinde ab.“ – „Jute alte Eiche, bitte fall doch anders lang! Nich uff meene Kleenen.“ – „Manno, is det wieda trocken hier. Schick mal ’n Schluck Zuckerwasser rüber!“ – „Ick gloob, ick hab ’n Käfer. Passt bloß uff! Die sind hier überall.“ – „Ick sende mal ’n kleenet Signal ab, um ooch die andern zu warnen.“
Auf unserer täglichen Waldrunde reden wir manchmal darüber, was man inzwischen alles so weiß: dass Bäume sozial sind, dass sie Familien und Freundespaare bilden, dass sie übers Wurzelwerk kommunizieren und Nährstoffe austauschen, dass sie auf Gefahren reagieren können, sich gegenseitig vor Schädlingen warnen, mit Duftstoffen Fressfeinde von Parasiten anlocken und anderes mehr.
Ja gut, ich weiß, man sollte als Mensch nicht eingreifen. Aber an einer Stelle unserer täglichen Waldrunde fühlte meine Frau dennoch Bedauern. Eine entwurzelte Eiche war so gefallen, dass sie mit ihrem Ast einen jungen Ahorn umbog. Wir sahen: Wenn man diesen toten Ast an einer Stelle durchsägte, dann würde sich der Ahorn wieder aufrichten und normal weiterwachsen.
Gemeinsame Rettungsaktion mitten im Gewitter
„Ja, hier sieht man so wat“, sagte ich, „weil es direkt am Wege ist. Aber dreißig Meter weiter passiert jenau dit selbe. Und da kannst du nicht eingreifen! So is dit nun mal hier im Wald.“ Doch egal. Meine Frau überredete mich, das nächste mal mit der Säge in den Wald zu gehen. Und gemeinsam haben wir dann den harten Ast zersägt – während über uns ein Gewitter aufzog und Regen auf uns niederpladderte. Der kleine Baum steht nun wieder aufrecht.
Und wenn wir jetzt zu unserer Waldrunde aufbrechen, sagt meine Frau: „Komm, lass uns gucken, was unser Patenkind macht!“ Wer weiß, was die Bäume im Wald so über uns reden.