Lehrermangel: Wie kann das nur sein?
Lehrer sind beliebt, sie werden umgarnt, der Job ist doch einfach, oder? Woher also der ganze Lehrermangel? Die Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.

Lehrer (m/w/d) müsste man sein. Vormittags ein paar Stündchen in rosige Gesichter schauen, zwischendurch im Lehrerzimmer einen Earl Grey mit Schuss und nachmittags Gassi mit dem Hund oder im Internetz Menschen zurechtweisen, die falsche Apostrophe setzen. Tiefenentspannt, abgesichert, fett bezahlt und von allen geliebt.
Die Hochachtung des Lehrerstandes zeigt sich in Berlin auf vielfältige Weise. Eltern beispielsweise entschuldigen sich regelmäßig mit Essenseinladungen, Büchergutscheinen und Geldspenden für ihre nicht immer artigen Kinder. Dabei lassen die süßen SuS (Schülerinnen und Schüler) in der Regel selbst kaum eine Gelegenheit aus, dem Lehrkörper ihre Dankbarkeit zu zeigen.

Das Leben als Lehrer ist süß
Schließlich wissen auch die schlichteren Gemüter auf ISS (Integrierten Sekundarschulen), wem sie es verdanken, wenn ihre Zukunft trotz prekärer Herkunft eine strahlende Perspektive hat. In diesem Wissen hat fast jeder Kiez bereits mindestens ein Denkmal für den unbekannten Lehrer errichten lassen.
Ja, in Berlin (Ost wie West) galt es bereits in den 1980ern als ungeschriebenes Gesetz, dass Kabarett und Comedy über jeden Berufsstand Witze reißen dürfen, nur nicht über den so ehrenwerten wie gesellschaftlich unverzichtbaren des Lehrers! Das Leben als Lehrkraft ist derart süß, dass Schulhof-Umfragen zufolge jede dritte Berliner Schüler:in selbst gerne Lehrer:in werden möchte.
Lehrer heulen also nur rum
Wie zur Hölle ist da der massive Lehrermangel zu erklären, der nicht allein in der Hauptstadt grassiert? Dass gerade mal 20 bis 83 Prozent der Lehramtstudent:innen aus unerfindlichen Gründen ihr Studium abbrechen, kann ja nun nicht alles erklären. Es muss also vor allem an der Verzärtelung liegen.
Wer derart über den grünen Klee gelobt, von allen Seiten unterstützt und geschont wird, der verweichlicht zwangsläufig, wird ständig krank, burned out. Da reichen oft schon 26 Wochenstündchen, ein paar Vertretungen in anderen Fächern („Ach, Meier, Sie können doch auch Erdkunde!“), ein Stapel unlesbarer Deutschklausuren, fünf zerstörte Tablets pro Monat, ein bisschen Verwaltungskram, ab und an ein nettes Elterngespräch, wundervoll praxisnahe Inklusionsideen, Klassen mit 34 SuS, von denen nicht mal die Hälfte verhaltensoriginell ist, und eine gut geregelte Pandemie, um unsere zarten Pflänzchen umzupusten. Und der Rest heult dann rum, weil er nun „noch“ mehr Arbeit an der Backe hat.
Lehrer kann doch jeder, oder?!
Dabei hat die Politik gerade in Bundesländern wie Sachsen-Anhalt doch alles getan, um einer Überalterung der Lehrkräfte vorausschauend zu begegnen, sodass immer genug frischer Nachwuchs zu haben ist, gerade im Osten des Landes, gerade jenseits der großen Städte und schicken Gymnasien. Und auch jetzt kann man Bundes- wie Landesregierung keine Vorwürfe machen, die ja seit Jahren das Bildungssystem mit Geld und Aufmerksamkeit überschütten.
Entschlossen packen sie das Problem an der Wurzel: mehr Arbeitsstunden für die verweichlichten Lehrer:innen, weniger Teilzeitmöglichkeiten, präzise dokumentierte Arbeitszeitkonten und späterer Renteneintritt. Wenn die eine Hälfte der Kolleg:innen krankfeiert, muss die andere Hälfte eben doppelt ran! Dazu ein paar Quereinsteiger:innen, schon dürfte das Problem gelöst sein.
Denn ganz ehrlich: Was können Taxifahrer, Callcenter-Agents oder Kosmetik-Vertrieblerinnen nicht, was Lehrer:innen können? Schlecht angezogen an der digitalen Tafel rumzufummeln oder auf eine tibetanische Klangschale zu klöppeln, damit es ruhig wird, dürfte ja fast jeder Mensch hinbekommen. Ein Wunder, dass sich bisher so wenige melden.
Dies ist der erste Teil der Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.
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