Leiko Ikemura & Odilon Redon in der Galerie Haas: Das Menschenbild wird zur Natur und umgekehrt

Alles hängt mit allem zusammen, heißt es im ZEN-Buddhismus. Und alles ist im Fluss, ist nie ganz fertig, verändert sich. Die künstlerische Interpretation dieser Erkenntnis ergibt – zwangsläufig – Ambivalenz und dauernde Fortbewegung.

Miteinander verbunden ist also auch die – ambivalente und gewollt unvollkommene, nie fertige – Malerei dieser beiden, zwischen denen mehr als ein ganzes Jahrhundert liegt: das der Moderne. Leiko Ikemura, Japanerin, geboren 1951, und Odilon Redon, (1840-1916), Franzose. Sie ist seit 40 Jahren Wahlberlinerin, die auch in Abständen nach Köln, ihrem zweiten deutschen Wohnsitz pendelt. Redons symbolistische Bilder, hierzulande selten öffentlich gezeigt, und ihre Arbeiten treffen erstmals aufeinander: Derzeit in der Berliner Galerie von Michael Haas.

Ikemuras Werke sind sehr eigene Universen aus Figuren und Gesichtern, Landschaften und Räumen. Aber alles geht, wie in einem geheimnisvollen, fast altmeisterlich lasierendem Farbnebel ineinander über. Körper werden zu Landschaften, Gesichter zu Pflanzen.

Und alle diese hybriden Gebilde sind getaucht in mystischen Dunst und glasige Dämmerung – oder, wie das hier abgebildete weibliche Gesicht, in elementares Sonnenlicht vor tiefblauem Hintergrund. Der in Gelb-Orange gehaltene, seitlich wie auf einem Kissen oder einer Tischplatte liegende Mädchenkopf mit dem Titel „face, watching“ ist so rätselhaft verunklart, dass man wie vor einer Glasscheibe steht – oder glauben könnte, das Mädchen blicke aus einem Wasserbecken zu einem herüber. Und zwar mit Augen, die für die Malerin Ikemura „fragwürdige Organe“ sind, „die sich unbemerkt der Welt verschließen“. Dieses Verschließen aber bewirke, sagt sie, „das Auftauchen innerer Bilder“.

Und so möchte man meinen, Ikemuras Malerei sei auch der Versuch einer rationalen Kontrolle – um den herandrängenden Bildern des Alltags zu entkommen, um sich den Kräften der Intuition zu überlassen. Nirgends sind da klare kompositorische oder inhaltliche Abgrenzungen zu entdecken. Farbe, Motiv, Form fließen ineinander zu einem atmosphärischen, pulsierenden Bildgefüge: schön, verletzlich und befremdlich zugleich.

Ikemuras Kunst verweist sozusagen auf ein Leben vor der Trennung von Subjekt und Objekt oder auf einen imaginären Ort nach deren Überwindung. Die Bilder changieren unübersehbar zwischen den Kulturen, der fernöstliche, der westlichen. Sie verließ Japan, als die 12 zwar, lebte, studierte in der Schweiz, zog Mitte der Achtziger in den Westteils Berlins. Ein Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung übernahm sie hier einen Lehrstuhl an der damaligen UdK, heute Universität der Künste. Ihre Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen sind in der ganzen Welt gefragt. Diese Kunst rührt tief an, ist zeitlos und doch auch zeitbezogen, denn es gibt keine Trennung zwischen Mensch und Natur. Und dies ist die deutliche Wahlverwandtschaft mit Odilon Redon, dem Hauptvertreter des französischen Symbolismus (gewissermaßen Pendant zu dem Deutschen Arnold Böcklin. Redons Bildwelt voller Fabelwesen, Heiligengestalten und menschenähnlichen Pflanzen erinnert an Traumfetzen. Es sind seltsam vage, unerklärliche Szenen zwischen Schönheit und Beklemmung, zwischen Heiterkeit und dunkler Melancholie.

Redons „Flore sous Marine“, diese mit Pastellkreide und Kohlestift pudrig aufs Papier gesetzten Gewächse – in der Mitte eine Blume mit unwirklich blauen Blütenblättern und gelbbraunem Gesicht, darin ein geschlossenes Auge, umrahmt von langen Wimpern – sind wie Wesen aus einer fremden Welt, deren Botschaften sich nicht mit kunsthistorischen Erklärungen, aber mit poetischer Fantasie enträtseln lassen. Diese Pflanzen stecken wie unter Wasser , so, wie auch Ikemuras orangeroter Mädchenkopf.

Was also zwischen den Bildern der Japanerin jetzt und des Franzosen aus dem vorletzten Jahrhundert passiert, dieses spannungsgeladene Treffen und die eigenartige Zwiesprache, entfaltet eine allegorisch-spirituelle Kraft, die des (buddhistischen) Gesamtzusammenhangs aller Lebensdinge und -Verläufe.

Redon, Maler an der Schwelle von der Tradition des 19. Jahrhunderts zur Moderne, noch halb gefangen, halb dabei, sich zu lösen, beherrschte das Spiel der Farben und einer fantastischen Poesie. Farbklänge breiten sich bei ihm mindestens so frei aus wie auf Kandinskys Abstraktionen. Schließlich ging es ihm darum, wie es im „Symbolistischen Manifest“ hieß, „eine Idee niemals begrifflich zu fixieren oder auszusprechen“.

Zum Impressionismus fühlte Redon sich kaum hingezogen. Eher gingen seine Motive – diese verschlüsselten Welten voller Geheimnisse, Ahnungen, Anspielungen, aufgewühlter Emotionen und Visionen – dem Expressionismus und dem Surrealismus mit seiner Neigung zum Irrealen, voraus. Um sich nun, im Jahr 2014,mit denen der Japanerin Leiko Ikemura zu treffen. Auch das ist Kunstgeschichte.

Galerie Michael Haas, Niebuhrstr. 5. Bis 15. November, Mo–Fr 9-18/Sa 11–14 Uhr Tel.: 8892 910. Internet: www.galeriemichaelhaas.de