Berlin-Jüngst schrieb ich über den amerikanischen Autor Mark Twain, der sich einst über den Hang der Deutschen zu endlosen Schachtelsätzen lustig machte. Auf meine Bemerkung, dass ich gerne Beispiele sammelte, meldeten sich mehrere Leser. Schachtelsätze scheinen sich also einiger Beliebtheit zu erfreuen.
„Derjenige, der denjenigen, der den Wegweiser, der an dem Weg, der an der Straße, die nach Kleinkleckersdorf führt, liegt, steht, umgerissen hat, anzeigt, erhält zehn Mark Belohnung.“ Diesen Satz schickte mir eine Leserin. Ein anderer sandte mir ein Beispiel aus dem Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ von Dieter Noll. Darin versucht der Schüler Werner Holt seinen Lehrer, den Studienrat Maaß, in Schachtelsätzen zu überbieten. Es geht um die Klärung eines Vorfalls. Hier der Auszug:
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„Mitnichten hat die Nase meiner Wirtin, deren Namen Eulalia … Eulalia, wie Sie die Güte, sich zu erinnern, hatten, lautet, geblutet, aber …“, das Aber schrie er hinaus, denn Maaß hatte den Mund schon geöffnet, um Holt zu unterbrechen, „aber mich … hatte morgens die Polizei … da ein Fahrrad, das ein Mann, der eine graue Jacke … die vielfach geflickt war, trug … fuhr … mit einem Auto, das auf der Straße … die über die Geleise, die vom Bahnhof, der unmittelbar bei meiner Wohnung … liegt … kommen … führt … entlangkam … zusammenstieß … gebeten …“
Meisterhafte Satzdrechsler
Die Verben ballen sich hier so, dass man kaum etwas versteht. Aber es gibt auch meisterhafte Satzdrechsler, wie etwa Thomas Mann, an den eine Leserin erinnerte. Hier ist einer davon: „Der Konsul, zu Hause, wenn er solche Äußerungen las, konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, denn trotz alles Schmerzes, der in den Zeilen steckte, verspürte er einen Unterton von beinahe drolligem Stolz, und er wusste, dass Tony Buddenbrook als Madame Grünlich sowohl wie als Madame Permaneder immer ein Kind blieb, dass sie alle ihre sehr erwachsenen Erlebnisse fast ungläubig, dann aber mit kindlichem Ernst, kindlicher Wichtigkeit und – vor Allem – kindlicher Widerstandsfähigkeit erlebte.“
Mark Twain verwies einst darauf, dass man alles noch übertreiben könne. Denn im Deutschen ließen sich Verben sehr schön trennen. Zur Wendung „reiste ab“ lieferte Twain folgenden wunderbaren Beispielsatz. Man sollte ihn sich auf der Zunge zergehen lassen.
Eine geschachtelte Abreise
„Die Koffer waren gepackt, und er reiste, nachdem er seine Mutter und seine Schwestern geküsst und noch ein letztes Mal sein angebetetes Gretchen an sich gedrückt hatte, das, in schlichten weißen Musselin gekleidet und mit einer einzelnen Nachthyazinthe im üppigen braunen Haar, kraftlos die Treppe herabgetaumelt war, immer noch blass von dem Entsetzen und der Aufregung des vorangegangenen Abends, aber voller Sehnsucht, ihren armen schmerzenden Kopf noch einmal an die Brust des Mannes zu legen, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebte, ab.“
Die Kolumne „Harmsens Welt“ erscheint künftig an jedem zweiten Freitag auf der Meinungsseite der Berliner Zeitung.