Linie U55: Warum die BVG eine komplette U-Bahn-Strecke sperrt
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) schließen eine ganze U-Bahn-Strecke – aber nicht, weil sie zu wenig Züge haben, sondern weil gebaut wird. Auf der U55 in Mitte rollen von Montag an keine Züge mehr.
Die Strecke zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor, mit 1,4 Kilometern Betriebslänge die kürzeste U-Bahn-Linie in der Stadt, bleibt bis Mitte Dezember gesperrt. Es fahren keine Busse als Ersatz. Tipp: entweder laufen oder die S-Bahn nutzen.
Lückenschluss ist in vollem Gang
Die vor fast neun Jahren eröffnete Klein-Bahn im Parlaments- und Regierungsviertel ist eine bemerkenswerte Strecke. Die Wagen aus den 1950er- bis 1980er-Jahren sind auffallend sauber. In den drei Stationen kann man vom Boden essen. Und auch das Publikum ist anders als auf den anderen U-Bahn-Strecken: Touristen stellen die Mehrheit, Berliner fahren nur selten mit.
Doch die U55 wird sich verändern. Denn sie wird Teil der U5, die von Ende 2020 an zwischen Hönow und Hauptbahnhof verkehren soll. Der Lückenschluss ist in vollem Gang, und ihm dienen auch die Arbeiten, die nun die Sperrung der U55 erfordern.
Dora wird zur strategischen Reserve
Markus Osterwald, Gleisbau-Chef bei der Projektrealisierungsgesellschaft U5, erläuterte am Donnerstag den Zeitplan. „Am Montag werden die vier U-Bahn-Wagen, die noch hier unten sind, herausgehoben“, berichtet er. Dafür hat der Tunnel nördlich vom Hauptbahnhof an der Minna-Cauer-Straße eine 17 Meter lange Öffnung.
Ursprünglich war die Lücke in der Decke nur für Material gedacht. „Aber es stellte sich heraus, dass ein U-Bahn-Wagen genau hindurchpasst, plus fünf Zentimeter Spielraum“, sagt U-Bahn-Bauchef Uwe Kutscher. Ein Kran wird die Wagen 2246/47 von 1969 und 2658/59 von 1981 ans Tageslicht hieven.
Die Doppeltriebwagen 2000/01, seit 1956 bei der BVG, und 2020/21, seit 1958 im Bestand des Landesunternehmens, haben den Tunnel schon verlassen. „Sie können während der Arbeiten nicht hier bleiben. Sie würden nur stören – und Schaden nehmen“, so Kutscher. Die sechs ältesten Wagen (Spitzname: Dora) werden still auf ihren Wiedereinsatz auf der U55 warten, ein regulärer Betrieb auf anderen Strecken ist nicht vorgesehen. „Sie sind Teil unserer strategischen Reserve“, sagte Kutscher.
Vorbei mit der Ruhe
Durch dieselbe Tunnelöffnung wird dann Material für die Arbeiten nach unten gehievt: unter anderem 2500 Kubikmeter Schotter, 4530 Meter Schienen und 3145 Schwellen. Die beiden neuen Tunnelröhren, die vom U-Bahnhof Brandenburger Tor in Richtung Alexanderplatz weiterführen, werden mit Gleisen versehen, bis vor den künftigen U-Bahnhof Museumsinsel, der noch lange nicht fertig ist.
Ende 2020 soll der 2,2 Kilometer lange Lückenschluss zwischen den U-Bahnhöfen Brandenburger Tor und Alexanderplatz komplett sein. Dann wird die U 5 zwischen Hönow und Hauptbahnhof verkehren. Weil die heutige U55 Teil der neuen Strecke wird, dürfte es mit der Ruhe dort künftig vorbei sein.
Während der Streckensperrung, die nun beginnt, werden auch rund 200 Kilometer Kabel verlegt. Auch an der künftigen Sicherungstechnik wird gearbeitet – derzeit funktioniert der Zugbetrieb ohne Signale. Jeweils ein Doppeltriebwagen wird auf der Betriebsstrecke „eingesperrt“ und pendelt dort sein Programm ab.
Blaue Decke mit Sternenhimmel
Ebenfalls auf dem Zettel: Die mehr als 250 Nässeschäden im Tunnel der U55 werden beseitigt, berichtete Uwe Kutscher. Sie konzentrieren sich auf den U-Bahnhof Brandenburger Tor, für dessen Bau das Erdreich vereist wurde, weil das Grundwasser hoch steht. Als dann der unterirdische Eisblock knapp zwei Jahre später getaut war, konnte man erkennen, wo Bahnhof und Tunnel undicht sind.
Kutscher faltet einen Plan mit vielen kleinen Markierungen auf – jede steht für einen Nässeschaden. „Oft sind es nur kleine Risse, die wir mit Kunstharz verpressen. Oder im Tunnel tropft es zwischen den Betonteilen durch. Rund 20 Bereiche haben größere Schäden“, sagte er.
Apropos U-Bahnhof Museumsinsel: Die neue Station wird eine blaue Decke mit einem Sternenhimmel bekommen – und damit einer der schönsten U-Bahnhöfe in Berlin sein. 50 Projektoren und Glasfaserkabel lassen in den Gewölben 6750 Lichtpunkte aufleuchten. Architekt Max Dudler ließ sich von einem Bühnenbild inspirieren, das der Baumeister Karl Friedrich Schinkel 1816 für Mozarts „Zauberflöte“ gemalt hat.
Blinde gleislose Tunnel
In einem blinden Tunnel am Ende der U55, der sich hinter einer normalerweise verschlossenen Stahltür befindet, bekommt man einen Eindruck, wie man sich in der Station fühlen wird. Dort gibt es eine Musterfläche, blau und mit mehreren Dutzend Lichtpunkten – zu Testzwecken.
Unweit davon schwenken zwei weitere blinde gleislose Tunnel, jeweils rund 400 Meter lang, in Richtung Westen – um vor der Grundstücksgrenze der Bebauung in der Lehrter Straße in Moabit zu enden. „Diese Tunnel führen unter den Gleisen der Fern- und Regionalbahn gebaut, als Vorsorge für das Fall, dass die U5 zum U-Bahnhof Turmstraße verlängert wird“, erläuterte Kutscher.
Die Fortführung nach Westen war den Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die U-5-Verlängerung zugrunde gelegt worden. Doch nun lässt der Senat erst einmal eine Straßenbahn zur Turmstraße bauen.