Literaturhotel Friedenau: Wo Günther Grass im Garten ein Pfeifchen rauchte
Im Literaturhotel Friedenau übernachteten berühmte Schriftsteller. Dabei muss sich Inhaberin Christa Moog mit ihrer eigenen Geschichte nicht verstecken.

Der verwunschene Hotelgarten mit üppiger Rosenpracht und Obstbäumen, abseits gelegen in einem Hinterhof an der Fregestraße, lädt gerade jetzt im Hochsommer mit seinem Schatten zum Verweilen ein. „Günter Grass hat hier immer gesessen und Pfeife geraucht“, erinnert sich Christa Moog. Literaturnobelpreisträgerin Svetlana Alexijewitsch hat sie hier auch schon ein Abendessen servieren lassen. Der Quittenbaum in Christa Moogs Garten trägt die ersten Früchte.
Zum Herbst kann sie das Obst ernten und zu Gelee verarbeiten. Grass hat ihren süßen Brotaufstrich gern zum Frühstück gegessen. Der Schriftsteller war bis kurz vor seinem Tod ein gern gesehener Gast in ihrem Literaturhotel in Friedenau. Eigentlich könnte die 70-jährige Inhaberin längst in Rente sein und ihren Lebensabend genießen. Doch dazu ist sie zu umtriebig. Nebenher ist sie selbst Autorin und schreibt gerade an einem weiteren Roman über ihr Leben in der ehemaligen DDR.
Christa Moog ist eine resolute und rastlose Frau. Immer wieder steht sie während des Interviews auf, nimmt Zimmerschlüssel entgegen, schaut, ob noch genügend Brötchen am Frühstücksbüfett liegen, und nimmt Reservierungen entgegen. Zwölf Stunden am Tag ist sie in ihrem Alter noch im Einsatz, auch an den Wochenenden. „Na ja, manchmal lege ich mich zwischendurch auch mal ein Stündchen hin“, räumt sie bescheiden ein. Zum Glück habe ihr Mann Verständnis dafür, dass er sie so selten zu Gesicht bekäme.
Im Uwe-Johnson-Salon, benannt nach dem verstorbenen deutschen Schriftsteller, sitzen noch zwei Langschläfer und lassen sich von der Hotelchefin Rührei mit Speck zubereiten und Brot toasten. Christa Moog verwöhnt ihre Gäste gern. Ein gutes Frühstück sei das A und O. Die antike Einrichtung im Aufenthaltsraum mit Biedermeier-Möbeln, Kronleuchtern und orientalischen Teppichen hat sie sich mühsam zusammengesucht. „Das ist alles sehr strapazierfähig und nutzt sich nicht ab“, sagt sie. Das Holzregal ist bis an die Decke gefüllt mit Büchern von Schriftstellern aus Friedenau. Auch Grass, Johnson und Max Frisch lebten dort in ihren Backsteinvillen in den 60er-Jahren.
In der DDR unterrichtete sie Kinder aus sozial schwachen Familien
„Deshalb muss es hier auch unbedingt ein Literaturhotel geben“, hat sich Christa Moog gesagt und die Gründerzeitvilla mit den 16 Zimmern 2003 nahe des Innsbrucker Platzes eröffnet. Ihr erster eigener Roman „Aus tausend grünen Spiegeln“ ist im Jahr 1985 erschienen, drei Jahre später „Die Fans von Union“.
Zu DDR-Zeiten war sie Lehrerin an einer Schule in einer sozial schwachen Siedlung in Borgheide bei Potsdam. Sie unterrichtete Deutsch und Sport. Ihre prägenden Erlebnisse mit Eltern haben sie zum Schreiben inspiriert: Manche wollte die Staatsführung nicht mehr haben, manche rebellierten gegen den Staat, andere waren alkoholabhängig und zum Teil auch psychisch krank.
„Die Kinder konnten nicht still sitzen“, sagt Christa Moog. Manche seien aus dem Fenster geklettert und hätten Dinge aus dem Fenster geworfen. „Es war unmöglich, sie zum Lernen zu bewegen.“ Weil sie sich von der Schuldirektion so allein gelassen gefühlt habe, habe sie ihre Eindrücke in „Fans von Union“ verarbeitet. Mit ihrem Werk eckte sie selbst an, weil ihr Buch ein Bild beschrieb, das man an der Führungsspitze von seinem Staat nicht haben wollte.
Im Jahr 1984 gab es eine unerwartete Wende in ihrem Leben. Als die SED auf die Idee kam, unruhige Bürger gehen zu lassen, wurde auch ihr Ausreiseantrag genehmigt. Als 32-jährige ließ sie ihre Eltern, ihre beiden Schwestern und Freunde schweren Herzens in der DDR zurück und begann in West-Berlin ein neues Leben. Sie reiste monatelang durch Neuseeland und schrieb ihren Roman „Aus tausend grünen Spiegeln“ fertig, mit dem sie mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Anschließend begegnete sie ihrer großen Liebe, einem Schweden. Mit ihm zog sie zunächst in seine Heimat, wurde Mutter zweier Töchter und gründete dort ihr erstes Hotel. Erfahrungen in der Gastronomie hatte Christa Moog vor ihrer Pädagogenausbildung als Kellnerin in einer HO-Gaststätte gesammelt. Als es die Familie zurück nach Berlin zog, setzte Christa Moog ihren Plan vom Literaturhotel um.
Seit 19 Jahren lebt Christa Moog überwiegend von Stammgästen. Einige haben sich mit liebevollen Zeilen in ihrem Gästebuch verewigt. Von vielen kenne sie die Lebensgeschichten. „Wir teilen Hochzeiten, Geburten, Krankheiten und Verluste miteinander“, sagt Christa Moog. Gerade erst hat sie selbst die Corona-Krise einigermaßen glimpflich überstanden. „Meistens gibt es ein gutes Ende. Man muss nur Geduld haben“, sagt sie.
Sie fingierte Heiratspläne, um ausreisen zu können
In ihrem nächsten Roman verarbeitet Christa Moog das jahrelange Warten auf ihre Ausreise in den Westen. Sie fühlte sich im alten Leben noch gefangen und im neuen noch nicht angekommen. „Ich habe einen Antrag auf Heirat mit einem britischen Staatsbürger gestellt.“ Der Mann war ein Freund von ihr, verliebt war sie schon, aber heiraten wollte sie ihn gar nicht. So verzweifelt war sie über die Staatsdoktrin. „Es war fürchterlich“, sagt sie, „keine Meinungsfreiheit, keine kritischen Bücher, und ich konnte nirgendwo hinfahren.“ Auch ihr Buch „Die Fans von Union“ hatte sie erst in einem West-Verlag herausbringen können.
Einen konkreten Erscheinungstermin für ihr neues Werk gibt es allerdings noch nicht. „Die Aufzeichnungen liegen schon länger in meiner Schublade“, sagt Christa Moog. Es gebe einfach noch zu viel anderes zu erledigen in ihrem Leben. Im Bad eines Zimmers sei der Abfluss kaputt, in einem anderen die Spülung. Die Glühlampen in den Kronleuchtern müssen auch noch ausgetauscht werden. Darum will sie sich jetzt gleich noch kümmern. Im August hat sie drei Wochen Urlaub geplant. Wie immer: auf Rügen.