So absurd waren Berlins Corona-Regeln: Auf der Bank mit Bierflasche? Verboten!

Angeln verboten, auf der Wiese liegen verboten: Vor drei Jahren begann in Berlin der Lockdown. Mit Regeln, die kaum zu verstehen waren.

In aller Ruhe sitzt eine Katze auf dem Kopfsteinpflaster einer Straße in Karlshorst, in der zahlreiche Autos parken. Es ist Lockdown.
In aller Ruhe sitzt eine Katze auf dem Kopfsteinpflaster einer Straße in Karlshorst, in der zahlreiche Autos parken. Es ist Lockdown.dpa-Zentralbild

Biertrinken im Stehen verboten – Biertrinken im Stehen erlaubt: Zur Eindämmung des Coronavirus treibt die Regelungswut der bundesdeutschen Behörden und speziell des Berliner Senats manch bizarre Blüte.

Vor drei Jahren, am 18. März 2020, hält Bundeskanzlerin Angela Merkel eine denkwürdige und für ihre Verhältnisse emotionale Fernsehansprache. Sie bezeichnet die Corona-Pandemie als die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. An die Bevölkerung gerichtet sagt sie: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Vier Tage später schickt die Bundesregierung das gesamte Land in den Lockdown.

Der Berliner Senat setzt eine Verordnung in Kraft mit dem sperrigen Namen „Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 in Berlin (Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung – Sars-CoV-2-EindmaßnV)“.

Mit diesem 2780 Wörter langen Formulierungsungetüm, das selbst Juristen nicht verstehen, regelt der Senat, was die Bürger dürfen und was nicht. Wegen vieler Ungenauigkeiten und Widersprüche muss die Verordnung immer wieder überarbeitet werden. Der Senat erlässt neue Verordnungen und immer wieder eine Verordnung zur Änderung der Verordnung – allein im Jahr 2020 geschieht dies 36 Mal.

Kanuverein geschlossen, Bootsverleih geöffnet

Ausgangssperre: Laut der am 18. März in Kraft getretenen Verordnung darf man bis  zum 19. April seine Wohnung nicht mehr verlassen. Der Paragraf 14 der Eindämmungsverordnung hat 16 Absätze, in denen Ausnahmen aufgezählt werden, etwa den Besuch bei Ehepartnern, notwendige Einkäufe, Bewegung an frischer Luft, das Ausführen des Hundes („Handlungen zur Versorgung und Betreuung von Tieren“) oder das Wahrnehmen von Terminen bei Rechtsanwälten.

Aufenthalt im Park: Erlaubt ist ein kurzes Verweilen, etwa bei einer Sportpause. Doch alles was dem längeren Aufenthalt dienen soll, zum Beispiel das Ausbreiten eines Handtuchs, ist verboten. Das Sitzen auf einer Parkbank ist erlaubt. Das Sitzen auf einer Parkbank mit einer Bierflasche in der Hand oder einem Buch ist dagegen nicht erlaubt. Das Liegen auf einer Wiese ist erlaubt. Wer aber im Park eine Picknickdecke ausbreitet, muss damit rechnen, von der Polizei weggeschickt zu werden.

Verstöße: Es herrscht gespenstische Ruhe am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie. Vereinzelt gibt es Kneipen- und Restaurantbetreiber, die hinter verklebten Fenstern oder in Hinterzimmern illegal weiterservieren. Doch Ordnungsamt und Polizei kommen vielen auf die Schliche, weil Nachbarn sie gemeldet haben. Es folgen Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz.

Nachbarn verpetzen hat Hochkonjunktur

Kontrollbilanz: Innerhalb der folgenden Woche überprüft die Polizei 175 Mal Personen im Freien und registriert 500 Verstöße. Die Ordnungshüter kontrollieren auch 1627 Gaststätten und Läden und schließt davon 763 Objekte. Einige Betreiber versuchen, der verfügten Schließung trickreich zu entgehen. So nimmt ein Elektronikhändler auch Lebensmittel in seinen Bestand auf, ohne eine Gewerbeerlaubnis dafür zu haben. Auch das bekommt die Polizei mit – auch weil sie entsprechende Hinweise aufmerksamer Bürger erhält.

Anschwärzen: Am 25. März gibt Polizeipräsidentin Barbara Slowik unter strengsten Hygienebedingungen vor einigen ausgewählten Journalisten eine Pressekonferenz anlässlich der zurückliegenden Lockdown-Woche. Die gesellschaftliche Kontrolle funktioniere so gut, dass immer wieder Anrufer den Notruf 110 wählten, um geöffnete Lokale oder Menschenansammlungen zu melden, sagt sie. Ihr Leiter des Krisenstabs stellt fest: „Aktuell haben wir das gleiche Anrufaufkommen wie zu normalen Zeiten ohne Corona. Und das, obwohl das gesellschaftliche Leben zum Stillstand gekommen ist. Es sind coronatypische Anrufe, die auf Verstöße hinweisen“, so der Krisenstabschef.

Zu den Anrufern bei der 110 gehören auch Menschen, die melden, dass im Garten des Nachbarn nicht nur dessen Mitbewohner, sondern auch Personen sitzen, die nicht zu dessen Haushalt gehören.

Konspiratives Joggen im Wald

Angeln verboten: Das Sitzen am Ufer, um zu angeln, wird durch den Senat am 1. April verboten. „Wenn ich mit der Angel am Wasser sitze und angele und der nächste mit seiner Picknickdecke 20 Meter weiter sitzt und sich sonnt, wäre es nicht zu erklären, warum ich dasitzen darf und der Picknicker nicht. Dürfte er dasitzen, wenn er eine Angel mitführt?“, versucht der Verband deutscher Sportfischer eine Erklärung. Nach einigen Tagen macht die Verwaltung einen Rückzieher und erklärt den Angelsport zur Tätigkeit im Sinne von „Individualsport und Bewegung“, und hiermit für erlaubt.

Kindersport: Nur noch konspirativ trifft sich die Kinder- und Jugendgruppe eines Köpenicker Sportvereins zum Joggen im Grünauer Wald. Gemeinsamer Waldlauf ist nämlich verboten.

Wassersport: Ruder-, Kanu- und Segelvereine müssen geschlossen bleiben. Bootsverleiher hingegen dürfen öffnen und Boote verleihen. Wassersportler dürfen nicht einmal vom Tor direkt zum Steg gehen, weil das Betreten von Sportanlagen verboten ist. Am strengsten und längsten wird diese Regel in Reinickendorf und Köpenick durchgezogen. Als es nach einer Weile Lockerungen gibt, dürfen Rudervereine ihre Boote nur mit der halben Mannschaft besetzen. Ein Rollsitz muss frei bleiben – Vierer werden zu Zweiern und Achter zu Vierern.

Stehen auf dem Bürgersteig verboten, aber an Stehtischen erlaubt

Aufenthalt im Freien: Im Mai 2020 wird vom Senat unter bestimmten Bedingungen gestattet, sich wieder draußen aufzuhalten: „Allein, im Kreise der Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partner, der Angehörigen des eigenen Haushalts und der Personen, für die Sorge- und Umgangsrecht besteht, sowie für bis zu fünf Personen aus mehreren Haushalten oder Angehörigen von zwei Haushalten.“

Maskenpflicht im Freien: Obwohl schon im Frühjahr 2021 führende Aerosolforscher die Gefahr, sich im Freien anzustecken als „außerordentlich gering“ bezeichnen, bleibt es in Berlin noch lange bei den Restriktionen. An einem März-Tag kontrollieren Polizisten auf dem kaum frequentierten Alexanderplatz der „Maskenzone“ ist, die Einhaltung der Vorschrift.

Noch über Monate muss bei Demonstrationen im Freien Maske getragen werden – etwa im Februar 2022, als montags gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert wird. Diese „Spaziergänge“, wie die unangemeldeten Demos genannt werden, werden von der Polizei aufgelöst. An einem Montag im Februar führt das am Schlossplatz in Köpenick dazu, dass Polizisten jedem verbieten, auf dem Bürgersteig zu stehen. An den Stehtischen der dortigen Schlossplatzbrauerei hingegen darf man dicht beieinander stehen und Bier trinken. Das erlauben die Corona-Regeln.

Personenzahl im Haushalt: Immer weiter verfeinert und präzisiert werden die Bestimmungen, wer wen zu Hause besuchen darf. Alle paar Monate ändern sich die Regeln des Berliner Senats, kaum jemand sieht noch durch. Mit der Gefährlichkeit des Virus lassen irgendwann auch in Berlin die Restriktionen nach, die in anderen Bundesländern längst aufgehoben sind. Private Treffen, an denen Menschen teilnehmen, die weder geimpft noch genesen sind, sind in Berlin eine Zeitlang auf den eigenen Haushalt sowie höchstens zwei Personen eines weiteren Haushalts beschränkt. Ausgenommen sind Kinder bis 14 Jahre.

Jeder erlässt eigene Regeln: Nicht nur jedes Bundesland definiert eigene Bestimmungen, sondern auch viele Gewerbetreibende, sodass kaum jemand durch das Regelungswirrwarr findet. So darf man auf einem Weihnachtsmarkt in Prenzlauer Berg zwar Glühwein trinken – aber nicht im Stehen, sondern nur im Laufen. Auf dem Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt passt Personal darauf auf, dass die Besucher Maske tragen. Haben diese aber eine Tüte Mutzenmandeln in der Hand, dürfen sie die Maske abnehmen, denn sie essen ja. Und während Baumärkte im ersten Lockdown noch offen bleiben, müssen sie später schließen. Nicht aber ihre Gartenabteilungen, auch wenn diese im Innenraum liegen. Man besorgt sich dann eben seine Schrauben und Dübel über den Eingang Gartenabteilung.

Einreisesperre und Bürger an der Leine

„Corona-Leine“: Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten entschließen sich im Januar 2021 zu drastischen Maßnahmen, die in den Medien „Corona-Leine“ genannt werden. Die Menschen dürfen ihren Wohnort nur noch bis zu 15 Kilometer von der Gemeindegrenze entfernt verlassen. Zwar kann man von Berlin-Reinickendorf nach Schmöckwitz reisen, aber kurz vor Groß Köris müsste man umdrehen. In Bayrischen Landkreisen gilt ein Einreiseverbot für Ausflügler. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich mit Schaudern, wie er verbotenerweise nach Halle fuhr, um eine Verwandte nach Berlin zu schmuggeln – immer damit rechnend, an einer Polizeisperre zu enden.

Beherbergungsverbot: Die Bundesländer erlassen Beherbergungsverbote für Urlauber. Auch ihren Zweitwohnsitz dürfen Berliner nicht aufsuchen, wie etwa die Schriftstellerin Monika Maron erlebt. Das Amt Löcknitz-Penkun stellt ihr zu Ostern 2020 eine „Ausreiseverfügung“ zu, wie sie später im Cicero beschreibt.

Trinken im Sitzen erlaubt, Trinken im Stehen verboten: Im Dezember 2021 gibt es Verschärfungen für die Gastronomie. Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Senat wollen „ungeordnete Kontakte im Gastronomiebereich“ vermeiden. Nun ist es erlaubt, in der Kneipe am Platz zu sitzen, dort zu essen und zu trinken. Aber Herumstehen ohne Abstand ist nicht erlaubt.

Berliner Feuerwehr schafft erst in dieser Woche die Maßnahmen ab

Hinterher ist man immer schlauer: Dieser Satz trifft auf die Corona-Pandemie besonders zu. Wer hätte am 18. März vor drei Jahren gewusst, was richtig und was falsch ist?

Bei der Berliner Feuerwehr galten allerdings noch im März dieses Jahres strenge Corona-Regeln. Wer Kontakt zu einem Infizierten hatte, wurde fünf Tage freigestellt. Und während selbst das Krankenhaus-Personal keine Maske mehr tragen muss, galt für die Mitarbeiter des Rettungsdienstes weiter die FFP2-Maske. Nur: Kaum jemand trugt sie noch. 

Nachdem die Berliner Zeitung vor einer Woche dort anfragte, beauftragte die Feuerwehrführung ihre Rechtsabteilung, zu prüfen, ob noch eine Rechtsgrundlage für die Maßnahmen besteht. Nein, sie besteht nicht. Am Donnerstag schaffte die Feuerwehr ihre Maßnahmen ab - inklusive ihrer Teststrecken und ihre behördeninternen Corona-Hotline.