Luftreinhalteplan in Berlin: Hier müssen Autofahrer mit Fahrverboten rechnen
Benjamin Jendro weiß jetzt schon, wie viele Dieselnutzer auf die angekündigten 15 Durchfahrverbote reagieren werden. „Die tippen nur kurz aufs Gas – und dann sind sie auch schon durch“, sagte der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin am Montag. Mit einer durchschnittlichen Länge von 160 Metern werden die Verbotszonen, die zum 1. Juli auf neun Berliner Hauptverkehrsstraßen beschildert werden sollen, äußerst übersichtlich sein.
Auch sonst würden die Verbotsbereiche, die der Senat zur Luftreinhaltung plant und zudem Tempo 30 umfassen, wohl nur wenig Wirkung entfalten, meinte Jendro. So lange es keine blaue Plakette gibt, die Polizeibeamte relativ einfach überprüfen können, werde eine wirkungsvolle Überwachung kaum möglich sein.
„Die Kollegen müssten jedes einzelne Fahrzeug anhalten, um anhand der Papiere festzustellen, ob es auf dem betreffenden Abschnitt unterwegs sein darf“, sagte der Polizeigewerkschafter. Für so aufwendige Überprüfungen fehle das Personal. „So etwas wäre bestenfalls im Rahmen von medienwirksamen Schwerpunktkontrollen möglich“, so Jendro. „Doch für eine wirksame, dauerhafte Kontrolle hat die Berliner Polizei einfach keine Ressourcen.“
Durchfahrverbote in Berlin: Fast jedes sechste Kraftfahrzeug wäre betroffen
Viele Dieselfahrer werden das gern hören. Würden sie dagegen zum Beispiel in einem Euro 5 in einer Verbotszone erwischt, würden für Pkw 20, für Lkw ab 3,5 Tonnen 75 Euro fällig. Allein in Berlin sind rund 220.000 Dieselfahrzeuge bis Euro 5 zugelassen. Fast jedes sechste Kraftfahrzeug, dessen Kennzeichen mit der Ortsmarke B beginnt, wäre von den Durchfahrverboten betroffen.
„Natürlich wäre es das Mittel der Wahl, wenn es eine blaue Plakette gäbe“, entgegnete Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Weil der Bund eine solche Kennzeichnung weiterhin ablehne, „müssen wir damit umgehen, was wir haben“. Sie habe mit Innensenator Andreas Geisel (SPD), der für die Polizei zuständig ist, gesprochen. „Die Polizei wird stichprobenartig kontrollieren“, so die Politikerin. Wie in der Leipziger Straße, wo seit April 2018 Tempo 30 gilt: „Die meisten halten sich an diese Regelung.“
Umweltsenatorin Regine Günther will Dieselbesitzer nicht mehr belasten als notwendig
Zweifel an dem jetzigen Konzept lassen sich aber auch aus einer anderen Richtung äußern. Schon vor einem Vierteljahrhundert war damaligen Umweltfachleuten im Senat klar, dass Stickstoffdioxide ein Problem sind. 1992 und 1994 sahen Konzepte der Senatoren Volker Hassemer und Herwig Haase vor, Fahrzeuge mit schlechten Abgaswerten aus dem gesamten Zentrum auszusperren. Die Pläne der CDU-Politiker erscheinen heute radikaler als das, was der rot-rot-grüne Senat jetzt vorhat.
Regine Günther bekräftigte am Montag, dass sie die Dieselbesitzer „nicht mehr belasten wolle als zwingend notwendig“. Das sei auch deshalb geboten, weil es im Rechtsstaat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebe. „Daher wird es in Berlin so wenig Fahrverbote wie möglich geben – und nur so viele wie nötig“. Sie betonte, dass die ebenfalls geplanten 85 Tempo-30-Bereiche und Änderungen der Ampelschaltungen der „Verstetigung“ des Autoverkehrs dienen. Für flüssigen Verkehr setzt sich auch der ADAC ein. „Uns ist es lieber, wenn der Verkehr rollt, als wenn er steht“, entgegnete die Politikerin.
Zwar sei klar: „Dass wir die Grenzwerte einhalten müssen, nimmt uns keiner ab“, sagte die Senatorin. Doch der Senat bemühe sich, die mildesten wirksamen Mittel zuwählen. Auch seien für die Straßen mit Durchfahrverboten zahlreiche Ausnahmen vorgesehen – etwa für Anwohner, Lieferfahrzeuge und Taxis.
„Wir könnten uns auch ganz andere Sachen überlegen“ – eine Fahrbahn pro Richtung sperren, sagte die Senatorin. Oder die ganze Straße. Aber so etwas sei derzeit nicht geplant. Regine Günther hat also ein Problem: Aus der Nähe mutet ihre Politik also gar nicht so autofeindlich an, doch andere Akteure haben einen anderen Eindruck.
„Mobilitätswende statt Fahrverbote“: Mit dieser Forderung traten am Montag zum Beispiel mehrere regionale Verbände an die Öffentlichkeit. Unterschrieben wurde sie vom ADAC, der Handwerkskammer Berlin, der Industrie- und Handelskammer, der Fachgemeinschaft Bau, der Fuhrgewerbe-Innung und den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg.
Sie alle warnen vor den Folgen möglicher Fahrverbote – „insbesondere für die Berliner Wirtschaft, die mangels Alternativen häufig noch nicht umsteigen kann“, wie es hieß. Die Verbände forderten die Berliner Politik auf, „weitere Potenziale zur Luftverbesserung zügig auszuschöpfen, die helfen, Fahrverbote zu vermeiden“. So müsse das U- und Straßenbahnnetz ausgebaut werden, auch mehr Ladesäulen für Elektroautos seien notwendig. Im stärkerem Maße als bisher müsse die Verwaltung E-Fahrzeuge nutzen, hieß es.
AfD nennt Luftreinhalteplan des Senats „Öko-Unsinn“
Für die AfD ist klar: Der Luftreinhalteplan sei „Öko-Unsinn“. „Er ist eine Mischung aus linksgrünem Autohass, kombiniert mit Fantasiegrenzwerten von EU-Bürokraten“, wetterte Frank Scholtysek, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion. „Einziges Ziel des Senats scheint es zu sein, Fahrverbote und die unterlassene Berufung gegen das Verbotsurteil zu rechtfertigen. Diese Umerziehungspolitik verurteilen wir.“
Die Partei forderte, Fahrverbote mit allen Mitteln zu verhindern: „Sonst rast Berlin mit offenen Augen ins Mobilitätschaos. Wir wollen den rot-rot-grünen Ökowahn stoppen und so den Verkehrs-Kollaps der deutschen Hauptstadt verhindern.“
Doch die Entwicklung könnte stattdessen in die andere Richtung gehen. 2020 müsse der Grenzwert für Stickstoffdioxid eingehalten werden, sagte die Senatorin. 2021 werde also festgestellt, ob die Maßnahmen im neuen Luftreinhalteplan ausreichen. „Wenn nicht, müssten wir nachsteuern“, sagte Günther. Nicht ausgeschlossen, dass Fahrverbote dann auch Euro-6-Diesel treffen. „Wir müssten dann auch fragen: Nehmen wir in bestimmten Straßen eine Fahrbahn pro Richtung weg?“