Ein Stück Pizza für mehr Menschlichkeit

Anteilnahme ist manchmal einfacher, als man denkt. Berlin-Beobachtungen einer Flaneurin.

Einmal Pizza Salami, bitte!
Einmal Pizza Salami, bitte!imago/Westend61

Man kann sich cool kleiden oder cool sein. Der junge Mann vor dem gläsernen Imbisstresen vereint beides. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, eine Jogginghose ohne Markenlogo, die aber Stil hat, einen Drei-Tage-Bart, gestutzt wie ein englischer Rasen, und kabellose Kopfhörer in den Ohrmuscheln.

Normalerweise macht es mich immer nachdenklich, dass so viele Menschen sich akustisch vom Geschehen in der Stadt abkapseln, für sich sein wollen, nicht mitbekommen, wenn jemand in Not ist oder einfach Hilfe braucht, etwa an einer Treppe.

Obwohl ich das Bedürfnis verstehe, die düsteren Seiten des urbanen Lebens zeitweilig auszublenden. Ich glaube, das Zusammenleben wird auf diese Weise noch komplizierter. Vereinzelung und so.

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Auf manchen Jahrmärkten gibt es diese riesigen Gummibälle, in denen man durch ein Wasserbecken rollt. Drinnen kann man turnen und Faxen machen. Wenn sie geräuschlos zusammenstoßen, passiert niemandem etwas. Aber man bleibt eben immer getrennt. Unangreifbar, unberührbar, aber eben auch ohne die Möglichkeit, den anderen zu berühren. An diese Bälle denke ich, wenn ich viele Kopfhörer auf einmal sehe.

Eine Sprachbarriere steht im Bahnhof Alexanderplatz

Will der junge Mann auch nicht berührt werden, lieber gar nicht merken, wenn er gebraucht wird? Dass dem nicht so ist, begreife ich, als er sagt: „Pizza. Ein Stück Pizza.“ Er wendet sich dabei an einen anderen Mann, der mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefallen war. Er ist wesentlich älter, ebenfalls von gepflegtem Äußeren, hat jedoch eine Isomatte und einen Schlafsack bei sich. Er guckt fragend.

Schnell ist klar, hier steht eine Sprachbarriere im Bahnhof am Alexanderplatz. Mit Gesten und einem gewinnenden Lächeln macht der andere ihm klar, dass er ihm kein Geld geben möchte, sondern ein Stück Pizza spendieren. Der Ältere nickt mit einem schüchternen Lächeln und wählt Salami. Der Spender zieht Champignons vor. Einige andere Gäste haben die Szene mitbekommen und tuscheln mit gerührtem Blick.

„Zum Hieressen“, beantwortet der Junge die Frage des Pizzabäckers, der daraufhin beide Stücke auf einen Pappteller legt und zwei Servietten dazu faltet, Kante auf Kante. „Die werden wohl zusammen essen“, denke ich und es macht mich froh. Wie einfach Begegnung sein kann. Auch mit Kopfhörern. Über alle Verständigungshürden hinweg. Man muss es nur wollen. Hinsehen. Wahrnehmen. Annehmen. Und ein bisschen hilft auch, was alle Menschen eint: Hunger, ob groß oder klein.