Mauerbau: 79 Meter der Rigaer Straße sind abgeriegelt

In der Rigaer Straße in Friedrichshain, kurz hinter der Ecke zur Samariterstraße, versperren an diesem Dienstagvormittag zwei Gitter die Durchfahrt. Weder Autos noch Fußgänger dürfen passieren. Hinter der Absperrung stehen bereits die 2,50 Meter hohen Holzwände bereit, die hier an diesem Tag aufgestellt werden sollen, um „dauerhaft“ die Straße zu sperren. Was dauerhaft bedeutet, das können auch die Polizisten nicht beantworten, die an der Absperrung stehen.

Aber der Bezirk kann es: Insgesamt 79 Meter der Rigaer Straße hat das Ordnungsamt von Friedrichshain-Kreuzberg auf diese Weise abriegeln lassen. Zwischen den Holzwänden wird auf beiden Seiten der Straße künftig gebaut, Neubauten mit Wohnungen entstehen – die Baustelle und damit auch die Vollsperrung soll es gut anderthalb Jahre lang geben, vom August dieses Jahres bis Ende Februar 2019. Auf den Grundstücken der Straßennummern 70 bis 73 soll das Wohnviertel „Carré Sama Riga“ mit 133 Wohnungen entstehen. Auf der anderen Seite werden drei Stadthäuser mit einem Supermarkt im Erdgeschoss errichtet.

Politische Dimension

Und weil es die Rigaer Straße ist, wo gebaut wird, gibt es auch eine politische Dimension der Angelegenheit. Nur ein paar Querstraßen weiter steht das linke Wohnprojekt Rigaer 94, in dessen Umgebung es jüngst wieder Angriffe auf Polizisten gab. Politiker von Land und Bezirk bemühen sich um Gespräche mit friedfertigen Anwohnern, von denen nicht wenige hier im Nordkiez die Verdrängung durch immer höhere Mieten ebenso fürchten wie Stein- und Farbbeutelwürfe Linksautonomer.

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Insbesondere das Carré-Projekt von Investor Christoph Gröner sorgte schon für Proteste im Kiez, etwa indem Anwohner sich abends verabredeten, für ein paar Minuten auf allerlei Schlagwerk einzudreschen, um ihr Missfallen kundzutun. Ähnliche Aktivitäten sind auch jetzt wieder angekündigt: „Jetzt wird es ernst. Baustopp sofort!“, wird auf einem selbstkopierten Plakat gefordert. „Kiezpower von unten“, lautet der Slogan. „Krachmachendes bitte mitbringen!“

Es geht um die Kinder

Schon am Morgen hatte die Polizei mit Aktionen der linksautonomen Szene gerechnet. Doch der blieb aus. Stattdessen machen Anwohner ihrem Unmut über die Abriegelung Luft. Denn die Rigaer Straße ist der kürzeste Weg zum S-Bahnhof Frankfurter Allee.

Samuel Wirtz muss jeden Tag zur S-Bahn. „Ich hätte nichts gegen eine kurzzeitige Sperrung. Dann würde ich auch den Umweg ohne Murren in Kauf nehmen“, sagt der 22-Jährige. So aber werde öffentliches Straßenland abgeriegelt, um den Unternehmen ein angenehmes Bauen zu ermöglichen. Eine 45-jährige Anwohnerin ist derselben Meinung. Sie steht kopfschüttelnd an der Ecke Samariterstraße. „Geht gar nicht“, sagt sie.

Der Bezirksstadtrat für Wirtschaft und Ordnungsangelegenheiten, Andy Hehmke (SPD), beteuert, die Vollsperrung sei allein aus fachlichen Erwägungen verhängt worden: Würde man zwischen beiden Baustellen einen überdachten Durchgang für Fußgänger erlauben, müssten diese auf der Ostseite ständig den Baustellenverkehr kreuzen. „Ich kann nicht die Verantwortung übernehmen, wenn dort auch nur einem Kind während der mehrjährigen Bauzeit etwas zustößt“, schreibt Hehmke auf der Internetseite des Bezirksamts. Es gehe nicht darum, dem Investor entgegenzukommen, sondern die Projekte möglichst schnell zu Ende zu bringen, um die Sperrung wieder aufzuheben.

„Bedenken geltend gemacht“

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) dagegen hält die Sperrung für „unverhältnismäßig“, sagt sie. „Ich verstehe die Beschwerden der Anwohner, die jetzt Umwege gehen müssen.“ Ändern kann sie aber nichts, schließlich ist das Ordnungsamt mit seinen Entscheidungen autonom. Ein Gespräch mit dem Leiter, ob nicht doch ein Durchgang möglich sei, blieb ohne Erfolg. „Immerhin wurde es noch einmal geprüft“, sagt Herrmann.

Aber auch die Polizei dürfte zu der Vollsperrung geraten haben. Jedenfalls wäre sie über einen „Tunnel“ zwischen den Baustellen nicht glücklich gewesen, sagt Polizeisprecher Winfrid Wenzel. Man habe beim Bezirk gegen eine solche Lösung „Bedenken geltend gemacht“, sagte er – was aber nicht entscheidend gewesen sei. Dennoch: Ein solcher Fußgängertunnel sei ein typischer Angstraum, so Wenzel. Und: Auch bei Polizeieinsätzen könne ein Tunnel zu „Risiken“ für die Beamten führen. Ob und wenn ja, welche Risiken die Vollsperrung birgt, muss sich erst noch zeigen.