Endlich wieder Mauerpark-Karaoke: Das Comeback von Berlins bester Umsonst-Party

Die Karaoke-Show im Mauerpark durfte zwei Jahre lang coronabedingt nicht stattfinden. Nun gab es eine Genehmigung – und es wurde ein großer Spaß trotz Regen.

Joe Hatchiban ist gebürtiger Ire und veranstaltet die Show nun schon seit 2009. Doch zwei Jahre lang war Zwangspause.
Joe Hatchiban ist gebürtiger Ire und veranstaltet die Show nun schon seit 2009. Doch zwei Jahre lang war Zwangspause.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Niemand weiß, ob er kommen wird, ob die große Show heute über diese legendäre Bühne gehen wird. Es ist Sonntag, 14.30 Uhr, Mauerpark, der Ort mit der vielleicht schönsten Karaoke-Bühne der Welt. Dieses wunderbare kleine Amphitheater im Prenzlauer Berg bietet vielleicht 600 Leuten Platz, die alle keinen Eintritt zahlen müssen.

Joe Hatchiban, ein gebürtiger Ire, baut hier seit 2009 jeden Sonntagnachmittag seine Anlage auf und dann kann sich jeder melden und auf der Bühne singen. Kann sich blamieren oder brillieren. So war das vor Corona.

Und obwohl die Gesangssause unter freiem Himmel stattfindet und dort die Ansteckungsgefahr äußerst gering ist, musste diese Traditionsshow in der Pandemie eine zweijährige Zwangspause einlegen. Sie gehörte zu den ersten, die verboten wurden. Doch für dieses Wochenende hat das Bezirksamt Pankow eine Genehmigung erteilt. Die Fans sagen: Endlich.

Doch am Sonntag weiß zunächst niemand, ob Joe Hatchiban tatsächlich kommen wird. Der Himmel ist grau, hängt voller Wolken. Kein Wetter zum Spaßhaben. In Berlin ist es an diesem Wochenende kühl, regnerisch und windig. Doch hier ist die Stimmung bestens. Schon in den Straßen rings um den Mauerpark sind Menschenmassen unterwegs, als stünde hier nicht einfach ein entspannter Sonntagnachmittag im Park an, sondern das Großkonzert einer Supergroup.

Es brandet Jubel beim Mauerpark Karaoke auf

Die Karaoke-Show von Joe steht in jedem Reiseführer, entsprechend sind auch eine halbe Stunde vor dem eventuellen Start schon reichlich Plätze besetzt, obwohl die kreisrunde gepflasterte Bühne leer bleibt. In der Mitte steht nur ein kleines Kofferradio. Ein Junge sammelt die Scherben der Bierflaschen der letzten zwei Jahre auf, dann macht er ein paar Kunststücke, Akrobatik. Er jongliert mit leuchtgrünen Ringen und bunten Keulen. Beifall. Er ist das Vorprogramm für eine Show, von der noch niemand weiß, ob sie stattfindet. Alle fragen einander gegenseitig, ob sie wissen, ob Joe kommt. Auch das Fernsehteam steht bereit, ist aber ratlos.

Beste Laune trotz Regen und ungemütlichem Wetter
Beste Laune trotz Regen und ungemütlichem WetterBerliner Zeitung/Markus Waechter

Dann, genau um 15 Uhr, brandet Jubel auf. Ein orangefarbenes Lastenrad fährt vor. Die Fans wissen, was es bedeutet. Joe ist da. Die Show findet statt. Er springt vom Rad, rennt auf die Bühne, zeigt dem geneigten Publikum gleich mit beiden Händen den Stinkefinger und erntet dafür Jubel und Applaus, als hätte er den größten Zaubertrick der Welt aufgeführt. Das Comeback kann beginnen.

Der Mauerpark – ein ehemaliger Grenzstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding – ist schon lange einer der beliebtesten Parks Berlins, vor allem bei jungen Leuten, vor allem bei Touristen. Denen wird in Reiseführern gern erzählt, dass die dortige Ausgelassenheit typisch Berlin sei. Heute besprüht dort die Graffiti-Szene die Reste der Mauer, im Park – immerhin fast so groß wie 20 Fußballfelder – wird viel musiziert, gefeiert oder einfach abgehangen. Der legendäre Trödelmarkt ist auch an diesem regnerischen Tag voller Leute. Und da niemand eine Maske trägt, wirkt es so, als hätte es Corona nie gegeben.

Nach elf Minuten haben Joe und sein Helfer die Technik aufgebaut. Aus den Boxen dröhnt sehr druckvolle Rockmusik. Auf die Frage, was der Neustart für ihn nach zwei Jahren bedeutet, sagte er. „Das bedeutet, dass ich auf jeden Fall heute nicht frei habe.“ Mit der ihm typischen Art von Humor erzählt er, dass es schon ziemlich hart ist für ihn, denn in den vergangenen zwei Jahren hatte er sonntags keinerlei Verpflichtungen und konnte schlafen, so lange er wollte. Aber natürlich sagt er auch, dass er sehr glücklich ist, wieder zurück zu sein. Er freut sich sichtlich. „Es ist wie seit zehn Jahren, ich mache mir vorher keine Gedanken. Ich lasse es einfach stattfinden. Ich habe gar keine Erwartungen. Wir leben hier einfach nur den Moment.“

Im Vorprogramm lässt er guten abgehangenen Rock laufen, dann ein ganz harter Bruch. Deutscher Schlager. Schunkelmusik. „Du kannst nicht immer 17 sein.“ Jubel brandet auf. Joe singt den Song, wie ihn der Sänger einer Punkband singen würde. Kratzig und rau. Der Jubel wird grenzenlos. Die Ränge sind bis zum letzten Platz gefüllt. Der Himmel ist noch düsterer geworden und lässt einige Regentropfen fallen. Singing in the rain.

Die „innere Rampensau“ rauslassen

Joe hält eine launische Begrüßungsrede. Dann sollen sich Freiwillige melden. Das Motto von Joe ist: Hier kann jeder seine „innere Rampensau“ rauslassen. Er zeigt auf eine Frau ziemlich weit oben. Sie rennt auf die Bühne und strahlt. Sie nennt ihm ihren Wunschtitel und er sucht ihn heraus. Dann greift sie zum Mikro.

Beim Karaoke geht es nicht in erster Linie um Kunst und Können, sondern um Mut und Machen. Es ist im Grunde so etwas wie diese Sing-Castingshow im Fernsehen, nur viel lustiger, weil hier alle Spaß haben wollen. So wie Sabrina aus Berlin, die nun „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“ schmettert. Sie singt nicht gerade göttlich, aber wunderbar leidenschaftlich.

Danach kommt ein Mann, der sich auskennt, der erzählt, dass er extra sein blaues Karaoke-Shirt angezogen hat. Er singt „Down by the River“ von Bruce Springsteen. Niemand würde behaupten, dass „The Boss“, die gesangliche Leistung dieser doch ziemlich brüchigen Stimme gefallen würde, aber ganz sicher die Stimmung. Der Mann zelebriert die besten Rockposen und wird gefeiert, als wäre er Springsteen persönlich.

So geht es weiter. Michael aus Australien singt „We will rock you“ von Queen und legt dabei einen solch ausgelassenen Tanz hin, dass das Publikum ausrastet. Helmut, ein Stammgast, singt a cappella ein verquer klingendes Lied mit dem Titel „Wunderbar ist die Welt“. Als er zum Schluss dem Publikum Wohlergehen und Frieden wünscht, erntet er einen Extra-Applaus. Dann kommt ein kleines Mädchen auf die Bühne und singt ein Kinderlied, das wohl kaum jemand kennt, in dem es um Papageien, Krokodile und Murmeltiere geht. Die Massen jubeln. Als sie es geschafft hat, fallen sich Mutter und Tochter in die Arme.

So geht es weiter. Der Regen wir heftiger. Doch niemand verlässt die Ränge. Nun heißt es: Regenschirme statt gehen. Und zwei Songs später kommt auch die Sonne wieder kurz raus. Das Comeback der wohl bekanntesten Umsonst-und-draußen-Show Berlins ist ein voller Erfolg.