Masel-tov Ukraine: Geflüchtetes Studentenpaar heiratet in Berlin

Anfang März flüchtete die jüdische Chabad-Gemeinde aus Odessa nach Berlin – in dieser Woche heirateten Elisha und Gabriel. Ein Bericht, der Hoffnung macht.

Hochzeit der Geflüchteten: Das Studentenpaar Elisha und Gabriel aus Odessa heiratet inmitten der geflüchteten jüdischen Gemeinde.
Hochzeit der Geflüchteten: Das Studentenpaar Elisha und Gabriel aus Odessa heiratet inmitten der geflüchteten jüdischen Gemeinde.Benjamin Pritzkuleit

Eine Hochzeit ist kein Ort, wo die Mutter der Braut über Politik reden möchte. Diese Regel gilt am Dienstag auch für die Ukrainerin Adele-Elka, die im Foyer eines Hotels am Kurfürstendamm auf den Beginn der Hochzeit ihrer 21-jährigen Tochter Elisha und deren Verlobten Gabriel wartet. Dreieinhalb Tage ist sie aus Cherson angereist, einer Stadt in der Südukraine, die aktuell von Russland okkupiert ist. Aber Adele-Elka will nicht darüber reden. Stattdessen sagt die 42-Jährige: „Es ist ein Wunder, dass diese Hochzeit stattfindet.“ Rund um sie stehen ungefähr 150 Mitglieder ihrer Gemeinde, im Hintergrund läuft lebhafte Klezmer-Musik.

Dieser Tag soll nicht nur für sie, sondern auch für die ganze jüdische Gemeinde, zu der ihre Tochter gehört, Ablenkung bieten. Anfang März ist die 300-köpfige Chabad-Gemeinde aus Odessa vor dem russischen Angriffskrieg nach Berlin geflüchtet. Auch die Presse ist eingeladen. Das Paar will mit der Hochzeit ein „wichtiges Symbolbild“ nach außen tragen. „Hier wird eine neue Familie gegründet, im traditionellen jüdischen Kreis, in Berlin, trotz der schwierigen Umstände.“ Damit kann die ganze Gemeinde nach Monaten Chaos endlich etwas „Stabiles“ erleben, so Adele-Elka.

Das Paar war schon zwei Jahre vor der Flucht verlobt, jetzt mit der finanziellen Unterstützung der Berliner Chabad-Lubawitsch-Gemeinde (die die Flucht aus Odessa auch ermöglicht hat) kann es endlich im traditionellen Stil heiraten. Doch der Tag ist auch bittersüß: Viele Verwandte und Freunde des Paares sind noch in der Ukraine; auch Elishas Großeltern sind in Cherson geblieben, sagt Adele-Elka. Zusammen mit der Mutter des Bräutigams Gabriel ist sie die Einzige aus der engen Familie hier im Raum. Gabriel ist 21 Jahre alt und müsste eigentlich für sein Vaterland kämpfen, er wurde aus medizinischen Gründen freigestellt.

„Eine Hochzeit ist wie die Gründung einer neuen Welt“

Der Rabbiner Fischel Tschitschelnitski wird heute das Paar trauen. Seit fünf Jahren kennt er Elisha und Gabriel. Damals haben sie sich an der Jüdischen Universität in Odessa einschrieben. Dort ist er Pädagoge für die Lehre der Tora. Vor dem Hintergrund der „furchtbaren“ Situation in der Ukraine sei es besonders wehmütig, dass der Tag traditionell und feierlich stattfinde: „Für uns ist eine Hochzeit wie die Gründung einer neuen Welt.“

Gabriel hat gerade sein Studium an der Kunstfakultät abgeschlossen; Elisha will noch ihren Magister absolvieren und Friedensrichterin werden. Sie seien für ihn wie seine eigenen Kinder, sagt er. So sieht er seine Rolle auch für viele andere junge Mitglieder der Gemeinde, vor allem die 108 Waisenkinder, die als Erste aus Odessa nach Berlin gereist sind.

Um 18:30 Uhr beginnt die Zeremonie: Nach jüdischer Tradition werden Elisha und Gabriel separat von Gruppen männlicher und weiblicher Vertreter der Gemeinde aus dem Hotel zur Chuppa im Hof geführt, wo sie getraut werden. Elisas Gesicht ist nun von einem undurchsichtigen weißen Schleier bedeckt. Vor der Chuppa tun die Gäste ihr Bestes, um sich vor der intensiven Spätnachmittagssonne zu schützen; viele männliche Gemeindemitglieder wiegen sich im Gebet.

Es folgen viele Gebete und Segnungen für das Paar, auf Hebräisch wie auf Russisch. Rabbiner Tschitschelnitski führt die Zeremonie, wird aber von mehreren anderen Rabbinern begleitet; unter anderem Avraam Wolff, Chefrabbiner von Odessa und der Südukraine, sowie Yehuda Teichtal, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Vorsitzender von Chabad Berlin.

„Wir beten für das Ende der Verfolgung“

Selbst bei dieser sehr traditionellen Zeremonie wird der Kontext des Krieges nicht außer Acht gelassen: „Wir beten nicht nur für den Tag unserer Befreiung und das Ende der Verfolgung“, so Rabbiner Tschitschelnitski, „sondern für den Frieden in allen Ländern, besonders natürlich in unserer Ukraine.“ Auch Gabriel liest ein Gebet vor, um die Eheschließung zu vollziehen. Elisha steht stumm neben ihm, an ihrer Seite ist Adele-Elka mit einer Kerze in der Hand.

Und dann plötzlich ist es so weit: Zum Abschluss der Zeremonie stempelt Gabriel auf ein in eine Serviette eingewickeltes Trinkglas, eine weitere jüdische Tradition. Die versammelten Fotografen drängen sich um die Chuppa. Rabbiner Tschitschelnitski umarmt Gabriel fest und kann seine Freude über das Ereignis kaum zurückhalten. „Masel-tov Ukraine, Masel-tov Odessa, Masel-tov Berlin!“, ruft er in das Mikrofon.

Sobald die Zeremonie vorbei ist, verschwinden die Gäste in einer Reihe von Bussen und schicken Wagen vor dem Hotel, um zum Veranstaltungsort für die Feierlichkeiten des Abends zu gelangen. Elisha und Gabriel gehören zu den Letzten, die auf den Kurfürstendamm hinausgehen; sie haben gerade ihre Heiratsurkunde unterzeichnet, allein in einem Hotelzimmer mit ihren Zeugen.

Kurz bevor sie zu ihrer Party fahren, halten sie inne und sagen der Berliner Zeitung, wie es sich anfühlt. Gabriel sagt: „Wir sind so dankbar, dass so viele unserer Verwandten und Freunde aus der Ukraine uns heute zur Seite stehen konnten – vor allem in diesen sehr schmerzhaften Zeiten.“ Elisha braucht nur drei Worte, um ihre Gefühle zusammenzufassen. Sie lauten: „Glück. Freude. Erfüllung.“