Medikamentenskandal: Opposition fordert Rücktritt – Diana Golze weigert sich

Potsdam - Der Umgang mit politischen Skandalen hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Vor allem die Politiker haben ihre Reaktionen sehr geschickt angepasst. Der grundsätzliche Ablauf jedoch ist noch immer gleich: Ein politischer Gegner erhebt gegen einen Minister oder eine Ministerin massive Vorwürfe. Oder aber investigative Journalisten haben gründlich recherchiert und fahren eine Batterie an Fakten auf. Alle Beobachter sind entsetzt. Die betreffenden Amtsträger müssen sich dann „verhalten“.

So ist es auch im Fall von Diana Golze von den Linken. Seit mehr als vier Wochen steht Brandenburgs Gesundheitsministerin als politisch Verantwortliche für die Arzneimittelkontrolle im Fokus des größten Medikamentenskandals ihres Bundeslandes. An diesem Dienstag soll eine Task Force – eine von ihr eingesetzte, halb unabhängige Kontrollgruppe – ihren Abschlussbericht vorlegen. Der wird entscheidend dafür sein, ob die Ministerin, die seit Wochen mit Rücktrittsforderungen der Opposition überzogen wird, noch im Amt bleiben kann.

Medikamente waren möglicherweise nicht mehr wirksam

Bei diesem Skandal geht es darum, dass die Firma Lunapharm aus Blankenfelde-Mahlow (Potsdam-Mittelmark) über Jahre illegal Krebsmedikamente eingeführt haben soll. Die Arznei wurde angeblich von mafiaähnlichen Gruppen aus Krankenhäusern in Griechenland gestohlen und dann an Apotheken in einigen deutschen Bundesländern verhökert – der Preis pro Packung liegt bei bis zu 2500 Euro.

Es handelt sich um Medikamente zur Krebsbekämpfung; es geht also durchaus um Leben und Tod. Für besondere Empörung sorgt, dass die Medikamente möglicherweise gar nicht mehr voll wirksam waren, weil sie von den Dieben nicht vorschriftsmäßig gekühlt wurden.

Der Vorwurf gegen Ministerin Golze lautet: Mitarbeiter ihrer Arzneimittelkontrolle wussten seit Dezember 2016 von den Vorwürfen und den internationalen polizeilichen Ermittlungen. Doch die Kontrollbehörden schritten erst im Juli 2018 ein und untersagten der Firma den Verkauf – und das auch nur, weil das ARD-Politikmagazin „Kontraste“ über den Skandal berichtet hatte.

Ein neues Krisenmanagement

Früher verfuhren Politiker in Skandalfällen meist so: Sie zeigten sich völlig überrascht von den Vorwürfen, sie leugneten, etwas mit dem gesamten Schlamassel zu tun zu haben, und weigerten sich, wegen des Fehlverhaltens ihrer Untergebenen zurückzutreten. Sie schwiegen und gaben immer nur jene Details zu, die ihnen im jeweiligen Moment nachgewiesen werden konnten.

Inzwischen läuft das Krisenmanagement anders: Clevere Politiker folgen einer neuen goldenen Regel – einräumen und ausräumen. Um den Angriffen die Kraft zu nehmen, treten Politiker also heute im Idealfall sofort vor die Kameras, zeigen sich ein wenig reumütig, aber vor allem kompromisslos aufklärungswillig.

Vernünftig, aber auch blauäugig

Es gibt inzwischen sogar die ironische Vorneweg-Verteidigung. Ein Beispiel: Der rote Brandenburger Finanzminister Helmuth Markov musste 2016 zurücktreten, weil ihm vorgeworfen wurde, er habe sein Privatmotorrad unerlaubterweise mit einem Regierungsfahrzeug zur Werkstatt gebracht. Kurz danach räumte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sicherheitshalber schon vorab einen Fehler ein. Er habe zwei Blumentöpfe in sein Ministerium bringen lassen – mit einem Polizeiauto, das den Weg sowieso gefahren wäre. Er werde natürlich dafür aufkommen, wenn dies nicht korrekt war.

Bei Diana Golze läuft es natürlich nicht ironisch – das geht gar nicht, weil der Skandal um die lebenswichtigen Krebsmedikamente viel zu ernst ist. Golze geht im Kampf um ihr Amt weder den alten noch den neuen Weg, sondern einen schwierigen Mittelweg, der sie an diesem Dienstag das Amt kosten könnte: Bislang räumte sie so gut wie keine persönlichen Fehler ein und blieb immer schön sachlich und trocken.

Willkommenes Ziel für die Opposition

Verwunderlich ist dabei, dass sie sich öffentlich nicht einmal verärgert darüber zeigte, dass ein paar Untergebene sie mit ihrem Fehlverhalten wissentlich oder unwillentlich ins Messer laufen ließen. Golze setzte sehr schnell eine Task Force ein, die die möglichen Missstände in den ministeriellen Arbeitsabläufen untersuchen sollte.

Das klingt vernünftig, aber auch ein wenig blauäugig. Denn Golze ist nicht nur Ministerin, sondern seit diesem Frühjahr gemeinsam mit der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Anja Maier auch Chefin ihrer Partei in Brandenburg.

Damit war klar, dass die 43-jährige gebürtige Schwedterin bei der Landtagswahl im kommenden Herbst auch Spitzenkandidatin ihrer Partei sein sollte. Und als solche ist Golze in Zeiten eines Skandals natürlich ein äußerst willkommenes Ziel der Opposition – noch dazu, wenn die bundesweit einzige rot-rote Landesregierung in Umfragen über keine Mehrheit mehr verfügt. Golze musste also mit massiven Angriffen rechnen.

Fall Lunapharm wird zum Fall Golze

Von Anfang an lehnte sie einen Rücktritt vehement ab und sagte: „Das wäre Flucht aus der Verantwortung.“ Rücktritte waren auch früher nicht üblich. Nur ganz selten übernahm jemand schnell und überzeugend politische Verantwortung für die Fehler „seines Hauses“ so wie Rudolf Seiters von der CDU. Der Bundesinnenminister trat 1993 zurück, nachdem bei einer Schießerei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen ein RAF-Terrorist und ein Polizist erschossen wurden.

Im Fall Lunapharm, der sich in der veröffentlichten Meinung immer mehr zu einem Fall Golze entwickelte, erhob die Ministerin Vorwürfe gegen die Opposition und die Medien. Golze behauptete, beiden gehe es nicht um Aufklärung oder um Patientensicherheit, sondern nur um ihren Rücktritt. So etwas ist blamabel in einem Fall, bei dem fast alle Aufklärungsarbeit bislang durch Recherchen von Journalisten geleistet wurde.

Staatssekretärin als Chefkontrolleurin

Golzes Task Force sollte eine Art schneller Befreiungsschlag sein, sollte die aufgeheizte Stimmung in hysterischen Zeiten beruhigen und für Sachlichkeit sorgen. Keine schlechte Idee, aber das Ministerium machte dabei grundsätzliche Fehler. So setzte Golze ihre eigene Staatssekretärin als Chefkontrolleurin ein.

Die Opposition spottete, dies sei so, als würde man einen Verdächtigen mit der Aufklärung beauftragen. Erst später übernahm ein unabhängiger Professor die Leitung der Gruppe, die zur Hälfte aus Leuten aus dem Gesundheitsministerium besteht.

Interessant ist auch der Auftrag an die Kontrolleure. Sie sollen den Idealfall eines behördlichen Verhaltens darstellen und mit den realen Abläufen bei den Arzneimittelkontrolleuren vergleichen. Golze sagte, dass es bei der Aufklärungsarbeit nicht darum gehe, einzelne Mitarbeiter als Schuldige zu entlarven oder gar anzuprangern. Dieses extrem hohe Maß von Menschlichkeit nach innen – also gegenüber den eigenen Untergebenen – ist löblich für eine Ministerin, gerade für eine von der Linkspartei.

Schwere Konsequenzen für Patienten

Diese Rücksichtnahme bringt ihr den Vorwurf ein, nicht menschlich genug nach außen zu sein – also gegenüber den Betroffenen. Immerhin soll die dubiose Firma Medikamente im Wert von weit mehr als 20 Millionen Euro von einer nicht weniger dubiosen Apotheke in Athen erhalten haben.

Es geht dabei nicht um irgendwelche harmlosen Kopfschmerztabletten, sondern um Krebsmedikamente. Und es geht vor allem auch um Vertrauen. Patienten müssen befürchten, dass sie während ihrer Chemotherapie lange den falschen Medikamentencocktail bekommen haben – auch wegen der mangelnden Kontrolle der Behörden.

Staatsanwaltschaft fegt Bestechungsvorwurf vom Tisch

Im Hochpreisland Deutschland sind die meisten Medikamente weitaus teurer als in fast allen anderen Ländern. Die Patienten mussten glauben, dass sie die richtigen Medikamente in der richtigen Qualität aus der Apotheke bekommen. Das Vertrauen ist durch das Verhalten einzelner Mitarbeiter, die dem Potsdamer Gesundheitsministerium unterstehen, nun schwer erschüttert. Doch Golze, die studierte Sozialpädagogin, stellt sich vor die Mitarbeiter und will keine Bauernopfer präsentieren – egal, wie schwerwiegend die Vorwürfe sind.

Dieses Ansinnen steht im krassen Gegensatz zu dem Verhalten des Chefs des zuständigen Landesamtes. Er hat zwei Mitarbeiter angezeigt. Der Grund: Deren unerklärliches Verhalten erscheine nur schlüssig, wenn sie sich hätten bestechen lassen.

Als die Staatsanwaltschaft den Bestechungsvorwurf dann schnell vom Tisch fegte, war das Chaos perfekt. Nun hieß es, Golze fehlten die Kraft und der Wille, die Schlamperei oder das bewusste Fehlverhalten in ihrem Ministerium aufzuklären.

Mitarbeiter nicht einmal befragt

Das Ministerium musste einräumen, dass das Haus seit Dezember 2016 von den Vorwürfen wusste, dass polnische und griechische Ermittler angefragt hatten, was mit der dubiosen Firma denn los sei, und dass sie sogar um Amtshilfe gebeten hatten.

Ein Mitarbeiter war bei einer Hausdurchsuchung bei Lunapharm dabei – kam aber nicht auf die Idee, die Medikamente einsammeln zu lassen oder die Firma dichtzumachen. Die Mitarbeiter informierten auch nicht die Leitung des Ministeriums. Später stellte sich heraus, dass die Akten nicht vollständig sind und dass wichtige Ermittlungsdokumente fehlen.

Eine schwere Zeit für Golze

Zu all dem hat Golze geschwiegen und immer wieder auf die Task Force verwiesen. Die wiederum ist mehr und mehr zu einer Fessel für die Ministerin geworden. Golze wollte und konnte die Abläufe nicht aus ihrer Sicht darstellen, wollte den Bericht der Kontrolleure abwarten. Statt sich im Hagel der Rücktrittsforderungen wehrhaft zu zeigen, statt engagiert ihre Position zu verteidigen und um ihr politisches Überleben zu kämpfen, hat sie auf andere verwiesen.

Niemand kann ihr vorwerfen, die Sache nehme sie nicht mit. Es ist ihr anzusehen, dass sie leidet. Sie sagt selbst: „Es ist die schwerste Zeit, die ich als Ministerin bislang durchzustehen hatte.“ Golze, an sich schon eine schlanke, zierliche Frau, wirkt nach vier Wochen Dauerbeschuss fast zerbrechlich. Und obendrein unsouverän, wenn sie nun, so wie die Kanzlerin, lieber Videobotschaften ins Netz stellt, weil sie sich dann nicht kritischen Fragen stellen muss wie bei einer Pressekonferenz.

Task Force soll Bericht präsentieren

Die Verteidiger von Diana Golze sagen: Was kann eine Ministerin dafür, wenn sich einige wenige Untergebene mit einem solch massiven Problem nicht an die Spitze des Hauses wenden? Die Kritiker sagen: Was muss in diesem Haus los sein, wenn die Mitarbeiter bei einer solchen Sache schweigen?

Erschwerend kommt hinzu, dass die Task Force nicht einmal die betroffenen Mitarbeiter befragt hat, weil die sich krank gemeldet haben, in Elternzeit oder im Ruhestand sind. Eine weitere Steilvorlage für die Opposition.

Am Montag um 15.32 Uhr hat die AfD-Fraktion noch einmal ihre Rücktrittsforderung verschickt. Die CDU sprach nach der Akteneinsicht im Ministerium von systematischem Versagen.

Am Dienstag ab 15 Uhr soll die Task Force im Potsdamer Landtag ihren Bericht präsentieren. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass Diana Golze diesen Tag wohl nicht als Ministerin überstehen wird. Oder es danach nicht allzu lange bleibt.