Mehr Verspätungen und Ausfälle: So schlecht begann das Jahr für die Bahn in Berlin
Interne Zahlen zeigen, wie es um die Pünktlichkeit und den Komfort bestellt ist. Ein spezielles Berliner Problem macht der DB derzeit besonders zu schaffen.

Im Januar und Februar ist die Bahnwelt normalerweise halbwegs in Ordnung. Verspätungen und Ausfälle sind nicht so häufig wie in anderen Monaten. Doch in diesem Jahr gilt dieser Grundsatz offensichtlich nicht, denn die Pünktlichkeit ist deutlich niedriger als zu Beginn des vergangenen Jahres – auch in der Hauptstadtregion. „Es läuft nicht so gut“, sagte Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn (DB) für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bei einem bestimmten Störfaktor sei ein exponentieller Anstieg zu verzeichnen: In Berlin und Umland laufen immer öfter Menschen über die Gleise – was zu Verspätungen führt.
„Januar ist traditionell der beste Monat bei uns“, berichtete Kaczmarek. In der kalten Jahreszeit gibt es meist weniger Baustellen, und der Güterzugverkehr ist weniger stark als in anderen Monaten, bestätigte ein Berliner Eisenbahner. Auch Anfang Februar läuft es meist entspannt. Für dieses Jahr zeichnen interne Daten, die der Berliner Zeitung für die Zeit vom 1. Januar bis zum 9. Februar vorliegen, allerdings ein anderes Bild.
Demnach wurden im Fernverkehr bundesweit lediglich 71,8 Prozent der Zugfahrten als pünktlich gewertet. Das bedeutet, dass sie exakt zur geplanten Zeit oder um maximal fünf Minuten und 59 Sekunden verspätet stattfanden. Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres betrug diese Quote 80,3 Prozent. Die Zahl der Ausfälle und Teilausfälle stieg von durchschnittlich 51,4 auf 65,8 Züge pro Tag. Bei DB Regio galten im genannten Zeitraum 92,4 Prozent der Zugfahrten als pünktlich – im Vorjahr 95,4 Prozent. Auch diese Kennzahlen liegen deutlich unter den Planvorgaben.
„Normalerweise hat Ostdeutschland bessere Werte als der Westen“, erläuterte Alexander Kaczmarek. Das ist weiterhin der Fall. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist aber auch der Osten nun zurückgefallen. In diesem Jahr galten in der Region Ost des Fernverkehrs 79,1 Prozent der Fahrten als pünktlich – vor einem Jahr waren es 85,3 Prozent. Bei DB Regio Nordost sank die Quote von 95,1 auf 91,9 Prozent. Selbst bei der S-Bahn Berlin, die in Deutschland als Vorbild gilt, ging der Anteil zurück: von 98,1 auf 95,8 Prozent.
Drohnen sollen Gleislatscher in Berlin aufspüren
Als die Eisenbahner die Lage in Berlin und Brandenburg analysierten, stießen sie auf ein besonderes Phänomen. Immer häufiger werden äußere Einflüsse als Störungsgrund notiert, berichtete Bahnmanager Kaczmarek. „Die Zahl der Störungen, die dadurch entstehen, dass Menschen über Gleise laufen, ist so hoch wie nie“, sagte er. „Das macht uns wirklich zu schaffen. In dieser Konsequenz haben wir das bislang nicht erlebt.“
Bei der Ursachenforschung sind die DB-Leute allerdings noch nicht weit gekommen. „Wir fragen uns, was die Leute da wollen. Eigentlich ist das völlig irre“, so Kaczmarek. Denn natürlich ist es gefährlich, Gleise zu betreten. Aber das scheint oft keine Rolle zu spielen. So wurden vor Kurzem Jugendliche am späten Abend dabei beobachtet, wie sie im S-Bahnhof Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg vom Bahnsteig sprangen und über drei Gleise liefen, um sich im Gebüsch gegenüber zu erleichtern.
„Personen im Gleis“: Um solche Vorfälle zu verhindern, sinnt man bei der Bahn in Berlin auf Abhilfe. Bahnsteigtüren wie am Ostbahnhof und Matten, die ein Betreten von Schienentrassen erschweren, könnten sinnvolle Gegenmittel sein. „Vielleicht kann man auch Drohnen zur Überwachung einsetzen“, sagte der Konzernbevollmächtigte.
Schonungslose Analyse: „Hohe Zusatzbudgets sind erfolglos verpufft“
Gleislatscher, Baustellen, Sanierungsarbeiten: Das sind Verspätungsfaktoren, die mit dem Schienennetz zusammenhängen. Langsamfahrstellen, deren Ursache Schäden und Mängel sind, Weichen- und Signalstörungen sind weitere Infrastrukturthemen, die sich ebenfalls in der Qualität bemerkbar machen. „Doch die schlechte Qualität liegt nicht nur am Netzzustand, wie die DB im Moment suggeriert, um noch mehr Geld vom Bund abzugreifen“, betonte ein Bahnmitarbeiter. „Dieser spielt zwar eine bedeutende Rolle, genauso aber Unzulänglichkeiten bei der Instandhaltung.“ Bei der alltäglichen Abwicklung des Zugbetriebs träten auch immer wieder Probleme auf, die ebenfalls dem Management des Bundeskonzerns zuzuschreiben seien, gab er zu bedenken.
Eine bahninterne Analyse, von der die Berliner Zeitung erfuhr, geht mit den Verantwortlichen im Konzern schonungslos ins Gericht. Zwar habe der Bahnvorstand große Beträge aufgewandt, damit die Fahrgäste wieder eine bessere Qualität geboten bekommen. Doch die „hohen Zusatzbudgets für Qualität und Pünktlichkeit sind erfolglos in Taskforces und Sonderanalysen verpufft“, heißt es in dem Papier. Die Möglichkeiten, dass Mitarbeiter schlechte Prozesse kompensieren, seien „zunehmend erschöpft“. Das mache sich bei den Beschäftigten bemerkbar, die mit Kunden zu tun haben: „Aufgrund ausbleibender Erfolge sinkt die Motivation der Mitarbeiter.“
Weichen und Gleise wurden abgebaut
Wieder wird in dem internen Papier das Management angesprochen: „Die schlechte Performance beruht auf fehlender Prozessqualität in den Produktionsprozessen, obwohl diese planbar und kontrollierbar sind“, so die Analyse. „Der Status quo macht die Erreichung der Qualitätsziele unmöglich.“
Beobachter sind sich darin einig, dass der Status quo auch mit dem Sparkurs zu tun hat, der in der Ära Hartmut Mehdorn verschärft wurde und bis vor Kurzem anhielt. Nicht nur in der Instandhaltung wurden Kapazitäten abgebaut, auch Teile der Infrastruktur wurden verschlankt. Weil Weichen und Gleise entfernt wurden, gibt es heute viele Abschnitte im Nebenstreckennetz, auf denen es nicht mehr möglich ist, dass sich Züge begegnen und aneinander vorbeifahren. So übertragen sich Verspätungen auf andere Fahrten. Die Ostbahn von Berlin in Richtung Kostrzyn (Küstrin) sowie die Kremmener Bahn von Berlin nach Neuruppin und Wittenberge sind zwei Beispiele in der Hauptstadtregion.
Immer mehr ausgefallene Toiletten in Fernzügen
Eisenbahner fragen sich, ob die Bahn es unter diesen Umständen schaffen kann, wie von der Politik gewollt bis 2030 die Fahrgastzahlen zu verdoppeln und mehr Güterverkehr abzuwickeln. Zwar ist in den ersten sechs Wochen dieses Jahres die Verkehrsleistung im Fernverkehr um knapp zwei Prozent gestiegen – doch die Pünktlichkeitsstatistik zeigt, was das für die Qualität bedeutet hat. Bei DB Cargo gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Leistungsrückgang um rund sieben Prozent. Möglicherweise ist das ein Grund dafür, dass sich die Pünktlichkeit im Güterverkehr fast nicht verschlechtert hat.
Ein Instandhaltungsthema sind auch die zahlreichen Funktionsstörungen, die für das Wohlbefinden sowie den Komfort der Fahrgäste eine Rolle spielen – und die ebenfalls in der internen Statistik erfasst werden. Auch ihre Zahl nimmt zu, wie die Auswertung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 9. Februar zeigt. So wurden in diesem Jahr pro Tag im Durchschnitt 143 Toilettenstörungen in Zügen des DB-Fernverkehrs registriert – vor einem Jahr waren es 80. In diesem Jahr wurden pro Tag im Durchschnitt 44 Störungen der Klimaanlage gemeldet – vor einem Jahr 36. Bei den WLAN-Ausfällen in Fernzügen zeigt der Trend ebenfalls nach oben: 26 statt bisher 15 Störungen pro Tag.
Doch nicht nur die bundeseigene DB hat Probleme. Fahrgäste von Flixtrain, des privaten Mitbewerbers im Fernverkehr, müssen oft ebenfalls mehr Zeit für die Reise einplanen. Nach dem Qualitätsbericht 2021 kam in diesem Jahr fast jeder zweite Flixtrain zu spät.
Ab Freitagabend fährt die S-Bahn in Berlin wieder durch den Tunnel
Unterdessen zeichnen sich am Horizont weitere Großbaustellen ab – und damit weitere Gründe für Verspätungen. Das Programm zur Generalsanierung des Hochleistungsnetzes, das die DB erarbeitet hat, sieht für die Hamburger Bahn zwischen Berlin und Hamburg bis 2025 längere Sperrungen vor. 2027 soll dann unter anderem auf zwei Abschnitten der stark befahrenen Route nach Nordrhein-Westfalen monatelang gebaut werden: zwischen Berlin und Lehrte sowie zwischen Hamm, Dortmund und Köln. Ziel sei es, dass auf den generalsanierten Abschnitten fünf Jahre lang nicht mehr gebaut werden müsse, hieß es.
Eine Baustelle, die in den vergangenen Wochen viele S-Bahn-Fahrgäste in Berlin genervt hat, wird wie angekündigt in wenigen Tagen verschwinden. „Die Instandhaltungsarbeiten im Nord-Süd-Tunnel der Berliner S-Bahn und die einhergehende sechswöchige Sperrung enden pünktlich am 17. Februar“, teilte die Bahn mit. „Ab Freitag, 22 Uhr, rollt der Verkehr wieder.“ Eine gute Nachricht.