Berlin-Der Ansturm auf den Saal 500 ist an diesem Donnerstag enorm. Zwölf Fernsehteams stehen bereit und zahlreiche Fotografen. Im Saal ist schließlich jeder Platz besetzt. Geht es doch um einen der spektakulärsten Coups in der Berliner Nachkriegsgeschichte - den Diebstahl der einhundert Kilogramm schweren Riesengoldmünze aus dem Bode-Museum vor fast drei Jahren. Auf der Anklagebank sitzen drei Mitglieder der Großfamilie R. und ein Freund der Familie.

Um 9.40 Uhr ist es soweit. Dorothee Prüfer, die Vorsitzende Richterin der Jugendstrafkammer, verkündet das Urteil. Der 23-jährige Wissam R. und sein zwei Jahre jüngerer Cousin Ahmed R. müssen für viereinhalb Jahre ins Gefängnis.
Meistgelesene Artikel
Lesen Sie auch: Millionenraub: Wie konnten Einbrecher unbehelligt eine 100-Kilo-Goldmünze stehlen? >>
Der 21-jährie Denis W., ein Schulfreund von Ahmed R., der als Wachmann im Museum gearbeitet hatte und den Tip für den Millionencoup gegeben haben soll, wird zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Den vierten Angeklagten, Wayci R., spricht die Kammer vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall frei.
Täter waren polizeibekannt
Zudem verfügt das Gericht bei Wissam und Ahmed R. die Einziehung von 3,3 Millionen Euro. Das entspricht dem Materialwert der Goldmünze "Big Maple Leaf", die seit 2010 als Leihgabe im Bodemuseum zu sehen war. Bei Denis W. sind es 100.000 Euro, die er nach Überzeugung der Kammer als Anteil an der Beute bekommen hatte..
Ahmed und Wissam R. entstammen einer arabischen Großfamilie. Einige der Mitglieder seien immer wieder durch Straftaten aufgefallen, sagt Prüfer. Auch Ahmed und sein Cousin seien bereits polizeibekannt. Ebenso wie Denis W., der bereits durch einen Diebstahl und einen Tankbetrug auffiel.
Die wagenradgroße Münze „Big Maple Leaf" verschwand in der Nacht zum 27. März 2017 aus dem Museum - einen Tag, bevor sie in eine andere Ausstellung gebracht werden sollte.
Um 2.59 Uhr waren drei dunkel gekleidete Gestalten vom Bahnhof Hackescher Markt auf das Gleisbett gesprungen, das belegen Bilder aus einer Videokamera. Von dort liefen sie zum Bode-Museum. Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei zwei der Männer um Wissam und Ahmed R. handelte.
Fenster war "Achillesferse" des Museums
Auf einer Leiter, die ihnen vermutlich von unten auf den Bahndamm gereicht wurde, kletterten sie zum Fenster des Umkleideraums für das Wachpersonal. Hier entfernten sie eine Sicherheitsscheibe, die vor dem Fenster angebracht war. Dann stießen sie das Fenster auf, das, so die Kammer, Denis W. bei seinem Spätdienst am Abend zuvor geöffnet hatte.
Dieses Fenster sei die "Achillesferse" des Museums gewesen, das einzige Fenster, das zu dieser Zeit nicht alarmgesichert gewesen sei, sagt Dorothee Prüfer. Die Täter warteten ab, bis sich der Wachmann auf seinem dritten Kontrollgang in jener Nacht aus der zweiten Etage entfernte.
Lesen Sie auch: Diebstahl aus Bode-Museum: Vier Männer vor Gericht >>
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Täter die Türen vom Personaltrakt bis zum Ausstellungsraum 243, in dem die "Big Maple Leaf" in einer Vitrine aus Sicherheitsglas zu sehen war, öffneten: mit einem Schlüssel, mit einem Draht - oder es waren Fluchttüren, die einfach geöffnet werden konnten.
Die Täter zerstörten das Sicherheitsglas, hievten ihre schwere Beute auf ein Rollbrett und fuhren damit durch die mit Keilen blockierten Türen zum Umkleideraum zurück. Dort hoben sie die Münze aus hochreinem 99,999er-Gold aus dem Fenster und ließen sie auf das Gleisbett fallen.
Goldpartikel an Handschuhen entdeckt
Mit einer Schubkarre fuhren sie die "Big Maple Leaf" über den Bahndamm bis zu einer Stelle, an der sie die Münze hinunterstießen und sich dann an einem Seil abseilten.
An der Stelle wartete nach Erkenntnissen des Gerichts ein vierter Täter mit einem schwarzen Fahrzeug. Um 3.52 Uhr fuhr dieses Auto ohne Licht aber offenbar mit der Millionenbeute im Kofferraum Richtung Straße, das belegt ein Film aus einer Überwachungskamera, die am Pergamonmuseum angebracht war.
Man sei sicher, dass die Münze in den Bereich der Familie R. gelangt sei, sagt die Vorsitzende Richterin. Es habe anonyme Hinweise gegeben. Zudem fanden Ermittler in den Wohnungen von Ahmed und Wissam R. - an Kleidungsstrücken und Handschuhen - Goldpartikel und auch Goldspäne, die von der Münze stammten und die belegten, dass die "Big Maple Leaf" zerteilt wurde.
Zudem seien an den zurückgelassenen Tatwerkzeugen - dem Seil und einem der zurückgelassenen Türkeile - DNA-Spuren von Wissam R. gefunden worden.
Bei Ahmed R. wurde zudem ein Zettel entdeckt, auf dem einzelne Teile der Münze und der dazugehörige aktuelle Goldwert verzeichnet war.
Coup nur möglich mit Insiderwissen
"Doch wie kommen Mitglieder der Familie R. dazu, in ein Museum einzubrechen", fragt Richterin Prüfer. Die "Big Maple Leaf" habe sich seit sieben Jahren im Bode-Museum befunden, sozusagen in einem "Dauerschlafzustand". "Durch Insiderwissen", beantwortet sich Prüfer die Frage selbst.
Denis W. war erst wenige Tage vor dem Millionencoup als Wachmann im Museum angestellt worden. Er erfuhr von dem Fenster, das nicht alarmgesichert war. Er kannte den Wert der Münze, er wusste, wie man aus dem Personaltrakt zu ihr gelangte.
Aber Denis W. habe nicht nur Insiderwissen an seinen besten Freund weitergegeben. Er habe auch Insiderhilfe an den Tag gelegt - er sei nicht nur Tippgeber gewesen.
So sei das Fenster im Umkleideraum immer verschlossen gewesen, es habe nur mit einem Vierkanntschlüssel geöffnet werden können. Am Fenster wurde nach der Tat DNA des 21-Jährigen gefunden. "Denis W. ist das Bindeglied zu Familie R.", sagt die Richterin. Er sei wie ein Bruder gewesen.
Denis W. verfügte nach Angaben von Prüfer nach der Tat über eine größere Menge Geld - 100.000 Euro, die ihm von der Familie R. ausgezahlt wurde. Er informierte sich über Immobilien und teure Autos.
Dreistigkeit "von ganz besonderer Güte"
Dorothee Prüfer spricht von schädlichen Neigungen der Verurteilten und der Schwere der Schuld. "Welcher Einbruchsdiebstahl kann gravierender sein als dieser?", fragt sie. Die Münze habe einen hohen auch wissenschaftlichen Wert gehabt. Die Täter seien mit einer Dreistigkeit und Risikobereitschaft "von ganz besonderer Güte" vorgegangen.
Die Verwertung der "Big Maple Leaf" sei eingebetttet in Organisierte Kriminalität. Denn welcher normale Mensch habe Kontakte, um eine solche Münze zu zerteilen und zu verkaufen.
Noch sind die Urteil nicht rechtskräftig. Die vier jungen Männer, die über ein Jahr lang auf der Anklagebank saßen, verlassen das Gericht. Haftbefehle zu erlassen, wie es der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gefordert hatte, wies das Gericht ab. Wegen der fehlenden Fluchtgefahr.
Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob sie Revision einlegt. Anklagevertreter Thomas Schulz-Spiroh hatte für alle vier Angeklagten eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht gefordert. Die Verteidiger plädierten dagegen auf Freisprüche.
Norbert Cioma, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, sagt zum Urteil: "Die Haftstrafen sind das Mindestmaß, durch das der Rechtsstaat den Gerichtssaal zwar nicht als Verlierer verlässt, die uneinsichtigen Täter aber letztlich glimpflich davonkommen, einer sogar komplett." Das Landgericht habe es leider verpasst, eine klare Botschaft auszusenden.
Diese mittleren Haftstrafen nähmen die Sprösslinge gern mit. "Das macht Männer aus ihnen, wird bei fast vier Millionen Beute und dem Respekt durch diesen Coup durchaus verschmerzbar sein", sagt Cioma.
Als deutliche Strafen für Wissam und Ahmed R. bezeichnete Falko Liecke, Neuköllns stellvertretender CDU-Bezirksbürgermeister und Jugendstadtrat, das Urteil. "Die Clans werden sich davon aber nicht beeindrucken lassen", sagt Liecke. Darum sei die angeordnete Einziehung von einem Geldbetrag in Millionenhöhe so wichtig.
"Nur wenn wir ihnen die Beute wegnehmen, wird die organisierte Kriminalität in Teilen dieser Großfamilie maximal unattraktiv. Erst mit diesem Druck haben wir auch eine Chance, positiv auf die Kinder einzuwirken und sie aus den kriminellen Strukturen zu lösen."
Prozess um Schadensersatz
Die Goldmünze ist bis heute verschwunden. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie zerteilt und verkauft wurde. Die "Big Maple Leaf" mit dem Bild von Königin Elisabeth II. war 2007 von der kanadischen Münzanstalt geprägt worden. Nur fünf Exemplare existierten davon.
Der Düsseldorfer Immobilienentwickler Boris Fuchsmann hatte sein Exemplar dem Bode-Museum zur Verfügung gestellt. Sie war mit mehr als vier Millionen Euro versichert. Fuchsmann hat bisher nicht einmal ein Viertel des Geldes bekommen. Er klagt nun gegen die Allianz, die sich weigert den vollen Betrag auszuzahlen.
Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Bode-Museum gehört, hat sich der Klage angeschlossen. Sie sieht keine grobe Fahrlässigkeit bei der Sicherung der Goldmünze. An diesem Freitag wird vor dem Landgericht wegen der Schadensersatzansprüche verhandelt. Fuchsmann hatte der Berliner Zeitung bereits gesagt, dass er sich nicht auf einen Vergleich einlassen werde.