Mesut Özil: Was denken Deutsche mit MIgrationshintergrund über den Rücktritt des Nationalspielers ?
Der plötzliche Rücktritt von Nationalspieler Mesut Özil löst auch in Berlin erneut eine Integrationsdebatte aus. War das Verhalten des Fußballprofis angemessen? Die Berliner Zeitung hat sich unter Deutschen mit Migrationshintergrund umgehört und ist dabei auf unterschiedliche Auffassungen gestoßen.
Manaf Hassan (28), Jurist: „Ich halte nicht viel von Özils Opferrolle und seinen Rassismus-Anschuldigungen, weil sie in diesem Fall nur vom 'Erdogate' ablenken sollen. Ich habe selbst Migrationshintergrund und bin stolz, Deutscher zu sein und trage zwei Länder in meinem Herzen. Das Land, in dem ich geboren,
aufgewachsen und daheim bin und das Land, aus dem meine Eltern kommen. Ich bin der Meinung, dass Özil mehr Dankbarkeit zeigen sollte statt Kritik zu üben. Dankbarkeit, weil ihn deutsche Lehrer, Trainer und Akademien ausgebildet haben und ihn dort hingebracht haben, wo er ist.
Trotzdem finde ich auch, dass der DFB und die Medien in der Vergangenheit keine gute Figur abgegeben haben und Özil in vielen Teilen zu Unrecht kritisiert wurde. Viele haben nur darauf gewartet, ihn wegen seiner Herkunft anzugiften. Leider werden die Stimmen immer lauter und ich bekomme das in meinem Alltag oft zu spüren.
Auch die deutsche Politik hat sich viel zu spät von Erdogan, dem Despoten, als Partner getrennt und erwartet dann schlagartig Dinge von der deutschen Gesellschaft, die Monate zuvor nicht absehbar waren. So ist es nicht verwunderlich, dass Özil bereits zig Fotos mit Erdogan hat. Damals hat es jedoch niemanden interessiert, weil die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei noch stabiler waren.“
Ayfer Atilgan (57) betreibt das türkische Restaurant Tugra in Charlottenburg: „Ich denke, ich hätte genauso gehandelt, weil ich so einen Druck, auch als Profi, nicht länger ertragen hätte. Das Schlimme ist: Özil wurde als Sündenbock dargestellt, als ob er alleine die deutsche Nationalmannschaft vertreten würde. Ich glaube auch, dass er, wenn Deutschland gewonnen hätte, als Deutscher gefeiert worden wäre. Nun haben sie leider verloren und er ist nicht mehr als der Türke oder Migrant. Es ist auch kein Indiz dafür, ob jemand integriert ist oder nicht, nur weil er sich mit Erdogan ablichten ließ. Ich habe mich auch schon mit Politikern, die unser Restaurant besucht haben, zusammen fotografieren lassen.
Ebenso finde ich, dass gute Integration immer auf Gegenseitigkeit beruht und auch damit zusammenhängt, wie man hier aufgenommen wird. Ich kann mich nur integrieren, wenn ich auch akzeptiert werde. Aus diesem Grund würde ich mir wünschen, dass beide Kulturen mehr aufeinander zugehen und daraus eine gesunde Beziehung entstehen kann.“
Cihan Sinanoglu, Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland: „Wir hätten uns mehr Selbstkritik von Özil gewünscht. Die Erklärung, dass dieses Foto kein politisches Statement war, zeugt mindestens von Naivität. Dennoch: Bei aller berechtigten Kritik an Özil zeigt die Debatte aber auch, wo wir in diesem Land stehen. Eine Rassismuserfahrung wird als Opferinszenierung umgedeutet. Es ist schon bemerkenswert, wie schnell eine Zugehörigkeit zu diesem Land abgesprochen werden kann. Das ist der eigentliche Skandal in dieser Debatte.
Selbst wenn uns das Foto mit Erdogan nicht gefällt, müssen wir akzeptieren, dass Özil kein Gesetz gebrochen hat, sondern sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen hat. Das bedeutet aber nicht, dass wir dieses Bild und das Statement dahinter nicht kritisieren dürfen. Wir müssen das sogar. Allerdings geht es längst nicht mehr um das Foto.
Die Zuspitzung auf Loyalitätsfrage spaltet die Gesellschaft auf die gleiche Weise, wie der türkische Präsident das tut. Der Effekt ist, die Deutsch-Türken gegen Deutschland und Deutschland gegen die türkische Community aufzubringen.
Ein Spieler, der in Deutschland geboren ist und mit Deutschland Weltmeister geworden ist, der sich einst für die deutsche Nationalmannschaft entschied und für diese Entscheidung damals in der Türkei angefeindet wurde, tritt aufgrund von Rassismuserfahrungen zurück. Ihm wird das Recht abgesprochen, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Man hat den Eindruck, dass Menschen mit Migrationshintergrund immer noch eine Bringschuld haben.“