Michael Müllers Grußwort zum DDR-Wahlbetrug: „Wir müssen die Freiheit verteidigen“
Berlin - Der 7. Mai 1989 war ein denkwürdiger Tag, vor allem für die Menschen im Ostteil Berlins. Doch diese letzte DDR-Wahl nach dem Prinzip der Einheitslisten war in ihren Folgen für ganz Berlin von historischer Bedeutung. Und wir in West-Berlin schauten schon in diesem Frühjahr viel genauer hin als früher. In der DDR ging es nur um Scheinwahlen, das Ergebnis durch die SED gefälscht, damit die Prozente die gewünschten Höhen erreichten. Vom „Zettelfalten“ zum Überprüfen der Auszählung – das war ein schwerer Weg. Als dann die Widerstände überwunden waren und die Menschen Mut gefasst hatten sich einzumischen, wurde es plötzlich auch möglich, den Herrschenden ihre Fälschungen nachzuweisen, und das brachte das Regime um seine Schein-Legitimierung.
Die Überwindung der Angst hatte die Türen zur Freiheit geöffnet. An diesem Tag kam der Tag des Mauerfalls in Sicht und damit die Ahnung einer gemeinsamen Zukunft. Diese Freiheit betraf unsere ganze Stadt. Sie und ihre Chancen waren neu. Die Freiheit brachte neue Aufgaben und neue Verantwortung. Da war die Notwendigkeit, die Stadt als Ganzes neu zu organisieren. Berlin musste sich neu finden, doch auch als Ganzes funktionieren. Für viele Berlinerinnen und Berliner, besonders im Ostteil, waren über einen längeren Zeitraum Umstellung, Neuorientierung und Neuanfang die Folge.
Diese Lebensleistung angemessen wertzuschätzen, ist manchmal in den Hintergrund getreten. Unser Berlin ist heute zusammengewachsen. 30 Jahre danach ist das unser Erfolg. Das ändert nichts an Biografien und daran, dass die Teilung diese Biografien geprägt hat. Es sind unsere Leben gewesen, auf beiden Seiten der Mauer.
Berlin vermittelt heute ein neues Lebensgefühl. Es ist die „Stadt der Freiheit“, die weltweit in aller Munde ist, in die alle kommen wollen, in der viele leben und arbeiten möchten, ein Sehnsuchtsort und eine Heimat.
Freiheit zu verteidigen, bedeutet seine Rechte wahrzunehmen
Die Berlinerinnen und Berliner haben die Chancen der Freiheit ergriffen. Berlin ist auf dem Weg zur Vier-Millionen-Stadt. Das bringt neue Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich. Es geht dabei um uns, um den Erhalt und die Gestaltung unserer Werte und unserer Freiheit, für die die Stadt steht.
Unsere freiheitliche Lebensweise ist mit neuen Widerständen konfrontiert. Ich denke an den Terror-Anschlag auf dem Breitscheidplatz und an Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus. Wir müssen die Freiheit Tag für Tag verteidigen. Wir Berlinerinnen und Berliner werden uns für Freiheit und Demokratie einsetzen – gegen alle Widerstände. Denn wir wollen in einer weltoffenen Stadt der Toleranz leben – in der „Stadt der Freiheit“.
Wir haben die Wahl. Alle Bürgerinnen und Bürger können heute von denen lernen, die am 7. Mai 1989 für freie, gleiche und geheime Wahlen gekämpft haben. Die Freiheit zu verteidigen, bedeutet, dass man seine Rechte wahrnimmt. Dazu gehört, sein Wahlrecht wahrzunehmen – die nächste Gelegenheit sind die Europawahlen am 26. Mai.