„Mietenwahnsinn“ in Berlin: Demonstration mit Tausenden Teilnehmern setzt ein starkes Zeichen
Eltern mit Kindern, Rentner, Verkleidete, Musiker, Freundinnengruppen und Menschen weit über 80: Die Teilnehmer der großen Mietendemo sahen am Sonnabend so bunt aus wie die berühmte Berliner Mischung. Die ist in Gefahr, fürchten aber viele Demonstranten. Denn das Wohnen in Berlin wird immer teurer und ist längst nicht mehr für alle zu bezahlen.
Zum Protest versammelten sich deutlich mehr Menschen am Potsdamer Platz als im Vorfeld erwartet. Die Polizei sprach gegen Ende der Veranstaltung von 14.800 Demonstranten. Die Organisatoren, ein breites Bündnis aus 254 Initiativen, Vereinen und Organisationen, kommunizierten am Nachmittag über Twitter sogar eine Teilnehmerzahl von rund 25.000 Personen.
Die Menschen trugen bunte Transparente, auf denen „Wohnen ist ein Grundrecht“, „Mieter sind keine Zitronen“ oder „Die Häuser denen, die sie brauchen“ stand. Trompeter mischten sich in den Zug, am Leipziger Platz säumte eine Trommelgruppe die Straße. Einige Teilnehmer hielten gebastelte Figuren in die Höhe, Miethaie aus Pappmaché schwebten über den Köpfen. Auch der anfangs starke Regen konnte den Tausenden nichts anhaben. Dennoch verbreitete sich Erleichterung, als endlich gegen 16 Uhr die Sonne durch die Wolken brach.
Die Initiatoren verlangen einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik. Schluss mit dem Verkauf von Wohnungen, forderte ein Gründungsmitglied des Bündnisses „Bezahlbare Mieten Neukölln“, das die Demo mitorganisiert hat.
Bürgermeister Michael Müller sieht den Bund in der Pflicht
Zustimmung erhielten die Demonstranten vom Regierenden Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD). Vom neuen Heimatminister Horst Seehofer (CSU) forderte er die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zügig umzusetzen: „Berlin hat alle vorhandenen gesetzlichen Instrumente ausgeschöpft. Der Bund muss jetzt liefern“, sagte Müller.
Auch Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) sah die Bundesregierung in der Pflicht gegen steigende Mieten in Großstädten. „Als allererstes brauchen wir tatsächlich Umsteuerungen im Mietrecht“, sagte Lompscher am Samstag am Rande eines Parteitags der Berliner Linken. Dass bei bestehenden Verträgen die Miete um 15 Prozent in 3 Jahren steigen dürfe, sei beispielsweise zu hoch.
Die Berliner CDU hingegen sah die Verantwortung für die steigenden Mieten bei der rot-rot-grünen Landesregierung. „Berlins Mieten-Problem entsteht nicht, weil mit Wohnungen Geld verdient wird, sondern weil der Senat schlichtweg zu wenig baut“, erklärte Christian Graeff, Sprecher für Bauen und Wohnen der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
In Berlin fehlen 310.000 Wohnungen
Erst in der vergangenen Woche veröffentlichten Forscher um den Stadtsoziologen Andrej Holm eine Studie, derzufolge in Berlin 310.000 Wohnungen fehlen. Berlin sei die Stadt mit den „am schnellsten wachsenden Immobilienpreisen der Welt“, staunte sogar die britische Zeitung Guardian. Die Zahl der Wohnungslosen in Berlin steigt dazu stetig. Von beinahe 50.000 Menschen ohne Bleibe geht der Senat mittlerweile aus.
Viele der Demonstranten erzählten, dass sie die Wohnungsnot in der Stadt am eigenen Leib erfahren haben. „Die Miete frisst schon die Hälfte meiner kleinen Rente auf“, sagt etwa der 68-jährige Detlef, der seinen Nachnamen nicht nennen wollte. Denn er ist Mieter bei der Deutschen Wohnen, einem Vermieter, der immer wieder mit besonders skrupellosen Mieterhöhungen Schlagzeilen macht. „Auch bei mir haben sie von einen auf den anderen Tag zwölf Prozent mehr gefordert“, sagt der ehemalige Versicherungskaufmann. Dann geht er weiter mit der Menge. Den vielen anderen Berlinern hinterher, die die gleichen Sorgen haben. (mit dpa)