Migrationsanwalt: „Ich hatte Fälle in Sachsen, da waren die Pässe verschwunden“

Alexander Gorski vertritt Drittstaatler aus der Ukraine, die Diskriminierung in Behörden erfahren haben. Ein Gespräch über zwei Klassen im Migrationsregime.

Alexander Gorski, Anwalt für Migration aus Berlin
Alexander Gorski, Anwalt für Migration aus BerlinBenjamin Pritzkuleit

Alexander Gorski vertritt Menschen im Migrations- und Strafrecht. Jeden Mittwoch bietet er eine kostenlose Rechtsberatung im Görlitzer Park an, die in den vergangenen Wochen zu einer Anlaufstelle für drittstaatsangehörige Geflüchtete aus der Ukraine wurde. Seitdem beschäftigen den 29-jährigen Anwalt eingezogene Pässe, Verweigerung der Registrierung bis hin zum Verdacht auf Dokumentenfälschung.

Herr Gorski, als Anwalt für Migrationsrecht beraten Sie viele Geflüchtete aus der Ukraine, die keine ukrainische Staatsbürgerschaft haben. Darunter viele afrikanische Studierende. Welche Fragen haben diese?

Viele Betroffene kommen aus Nigeria oder Kamerun. Am Anfang war noch unklar, ob der Antrag auf vorübergehenden Schutz nach der Massenzustrom-Richtlinie negative Auswirkungen auf andere Aufenthaltstitel haben könnte. Dass die Geflüchteten beispielsweise für ein Studium gesperrt wären. Da war sich auch die Anwaltschaft nicht einig. Das sind ja Rechtsvorschriften, die wurden noch nie genutzt. Nun ist klar, dass es keine negativen Folgen hat. Aber die meisten Studierenden haben nur einen befristeten Aufenthalt in der Ukraine. Bei denen ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie diesen Schutzstatus bekommen.

Was ist denn die Massenzustrom-Richtlinie?

Das ist die Richtlinie 2001/55/eg von der Europäischen Union, Deutschland setzt sie mit Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz um. Die Massenstrom-Richtlinie wurde nach den Balkankriegen verabschiedet. Statt individuelle Asylverfahren durchzuführen, gibt man bei einem Massenzustrom den Menschen einen Schutzstatus, weil sie aus dem Gebiet kommen. Es ist eine interessante Frage, warum die Richtlinie zwanzig Jahre nicht genutzt wurde. Am 4. März 2022 wurde sie erstmals aktiviert.

Im Jahr 2015 wäre das wohl auch angebracht gewesen.

Die Behandlung dieser Migrationskrise zeigt, was möglich wäre. Wenn wir das mit dem Umgang vergleichen, den andere Migrationsbewegungen erfahren, dann offenbart sich der Charakter des europäischen Migrationsregimes. Die Massenzustrom-Richtlinie existiert seit 2001. Es hätte so viele Situationen gegeben, wo sie nötig gewesen wäre. 2015 ist da das herausragende Beispiel. Aber auch die Gesamtsituation im Mittelmeerraum und die Situation auf der Balkanroute zeigen die Notwendigkeit, dass es eine andere Art von Aufnahmeverfahren gibt. Das Asylsystem in seiner jetzigen Form ist gescheitert. Ich glaube, man hat nun eine Art Zwei-Klassen-Migrationsregime geschaffen. Ich finde es sehr gut, dass Ukrainer:innen den Paragrafen 24 nutzen können. Ich finde es nur zynisch, dass es nicht für alle passiert, die vor Krieg oder anderen Katastrophen fliehen müssen.

Welchen Aufenthalt haben internationale Studierende aus der Ukraine?

Die Ukraine-Aufenthaltsübergangsverordnung regelt, dass alle Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, bis Ende Mai legal in Deutschland sind. Auch ohne Pass und Visum. Das wurde bis 31. August verlängert. Ausländerbehörden in kleineren Städten haben das oft nicht auf dem Schirm und sagen den Leuten teilweise trotzdem, dass sie ausreisen müssen.

Menschen mit befristetem Aufenthaltsstatus in der Ukraine fallen nur dann unter die Massenzustrom-Richtlinie, wenn sie nicht dauerhaft und sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Das Bundesinnenministerium behandelt das wie die Abschiebungsverbote aus dem normalen Migrationsrecht. Wenn Betroffene sagen, sie würden im Herkunftsland verfolgt, kann es sein, dass sie auf das Asylverfahren verwiesen werden. Es hat viele Nachteile ins Asylverfahren zu gehen, wie Arbeitsverbote und Wohnsitzregelung.

Was raten Sie den afrikanischen Studierenden dann?

Meine Mandanten haben mittlerweile alle den Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz beantragt. Und ich empfehle den Menschen, dass sie möglichst schnell in Deutschkurse gehen sollen. In Berlin gibt es viele kostenlose Sprachkurse auf ehrenamtlicher Basis, auf dem Land ist das anders. Und dass sie sich dann nach einer Ausbildung oder einem Studium umschauen und bis zum 31. August dafür einen Aufenthaltstitel beantragen. Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsberechtigung sind eigentlich immer Qualifikation, Sprache und Lebensunterhaltssicherung. Das bedeutet beim Studium, dass man ein Sperrkonto mit 10.000 Euro braucht. Daran scheitert es oft. Die meisten Familien haben sehr viel Geld in eine Person investiert, damit die in die Ukraine gehen kann, um zu studieren. Es gibt die Möglichkeit, dass jemand aus Berlin eine Verpflichtungserklärung unterschreibt und für den Lebensunterhalt aufkommt. Das ist aber selten der Fall.

Können die Studierenden ihr begonnenes Studium fortsetzen?

Dafür gibt es bisher noch keine Lösung und sie beginnen von vorn. Man müsste Sonderregelungen schaffen und das wäre eine politische Entscheidung. Einige Menschen führen ihr Studium in der Ukraine online fort, gerade Studierende, die im letzten Jahr sind. Es ist schwierig bis 31. August die sprachlichen Voraussetzungen zu schaffen, um auf Deutsch zu studieren. Studiengänge auf Englisch sind begrenzt.

Wer übernimmt die Kosten für Sie als Anwalt?

Ich arbeite seit zwei bis drei Jahren jeden Mittwoch im Görlitzer Park und mache Rechtsberatung für zwei soziale Träger. Dann gibt es ein paar NGOs und Vereine, die Verfahrenskosten für Einzelpersonen übernehmen. Und manche Leute zahlen mich dann auch aus eigener Tasche. Anlaufstelle ist aber oft die Beratungsstelle.

Oft geht es bei Ihrer Beratung um deutsche Behörden. Was für Schwierigkeiten haben die Menschen aus Afrika dort?

Die Probleme fangen bei der Bundespolizei an, direkt nach der Ankunft in Deutschland. Die Bundespolizei hat Züge kontrolliert. Alle weißen Menschen durften sitzen bleiben, schwarze Personen wurden aufgefordert auszusteigen und wurden nachdrücklich dazu aufgefordert ins Asylverfahren zu gehen. Schon damals war klar, dass das ein erheblicher Nachteil gewesen wäre. Da habe ich einige Menschen vertreten. Die Polizei hat in vielen Fällen die Pässe eingezogen und angeblich an die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber weitergeschickt. Ich hatte in Sachsen mehrere Fälle, wo wir lange gebraucht haben, um die Pässe überhaupt wiederzufinden, weil sie dort nicht mehr waren. Die Betroffenen sind dann verstört und verängstigt weiter nach Berlin, weil sie wussten, dass es dort Beratung gibt. Sie wissen ja auch, dass die Dokumente vielleicht ihre Chance auf eine Zukunft in Deutschland sind. Und wenn die Polizei diese Papiere einfach wegnimmt, dann ist das eine unfassbar tiefgehende Verunsicherung.

Warum hat die Polizei die Pässe eingezogen? Haben sie überhaupt das Recht dazu?

Das ist fraglich. Aus meiner Sicht war es in den Fällen rechtswidrig, weil die Leute einen legalen Aufenthalt hatten. Sie brauchten diese Pässe, um die Anträge zu stellen. Sie sollten ins Asylverfahren gedrängt werden und da wird den Leuten der Pass abgenommen. Aber das ist eine andere Situation, denn sie waren von der Visumspflicht befreit. Aus meiner Sicht gibt es in dieser Situation keine rechtliche Grundlage für das Abnehmen der Pässe. Deswegen bekommen wir die Pässe auch wieder, es dauert nur so lang. Ich habe von keinem Fall gehört, bei dem das weißen Ukrainer:innen passiert ist. Es stellt sich die Frage, ob die Polizei gezielt Racial Profiling betrieben hat.

Und nach der Ankunft?

Im Ankunftszentrum in Tegel werden immer wieder Leute nicht registriert, die die Voraussetzungen erfüllen. Zum Beispiel weil der ukrainische Aufenthaltstitel abgelaufen ist, das ist nach dem 24. Februar für die Registrierung aber irrelevant. Viele haben ihre Dokumente auf der Flucht verloren. Manche Menschen haben in Häusern gelebt, die zerstört wurden. Es ist vorgesehen, dass sie registriert werden, wenn sie glaubhaft machen können, dass sie dort waren. Das kann man auch auf andere Art und Weise: Mit der Studienbescheinigung oder E-Mails. Einem Mandanten wurde gesagt er soll sich in München melden, weil er dort registriert sei. Er war aber noch nie in München. Ihm wurde die Registrierung verweigert.

Gibt es auch Probleme in der Ausländerbehörde?

Ich hatte Fälle von Drittstaatsangehörigen, die mit ukrainischen Personen verheiratet sind, die Personen sind aber nicht in Berlin. In der Anwaltschaft besteht die Überzeugung, dass sie unter den Paragrafen 24 fallen müssen. Die Ausländerbehörde erteilt das aber häufig nicht. Sie argumentieren, dass die eheliche Gemeinschaft gelebt werden muss. Es gibt Fälle, da wartet die Ehefrau in Polen darauf, dass der Ehemann in Berlin alles vorbereitet.

Ich vertrete auch Fälle, in denen Kinder in der Ukraine geboren sind und Anspruch auf die ukrainische Staatsbürgerschaft haben, aber der Pass und die Geburtsurkunde fehlen. Ich höre immer wieder, dass schwarze Personen, die sich an die ukrainische Botschaft wenden, keine Dienstleistung bekommen.

Beim Bürgeramt wurde eine junge Frau beschuldigt, ihre Dokumente aus der Ukraine gefälscht zu haben. Die zuständige Sachbearbeiterin hat die Polizei gerufen. Die Frau hatte viele Beweise, dass sie in der Ukraine war, es gab aus meiner Sicht überhaupt keinen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren. Das wird eingestellt werden, die Frage ist aber, warum so was überhaupt passiert.

Wie ist das im Vergleich zu anderen Fällen im Migrationsrecht? Sind schwarze Menschen aus der Ukraine besonders stark von Diskriminierung betroffen?

Alle Menschen, die mit der Ausländerbehörde zu tun haben und keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, sind in der Gefahr bei Behördengängen diskriminiert zu werden. Ich glaube, das betrifft vor allem Menschen, die nicht weiß sind. Im Kontext der Ukraine ist der interessante Vergleich: Wie werden die ukrainischen Staatsangehörigen, die vor dem gleichen Krieg fliehen, behandelt? Denn die Behandlung der ukrainischen Staatsangehörigen zeigt, was im Migrationsrecht möglich ist. Da sind Leute, die fliehen und bekommen unkompliziert und unbürokratisch einen Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu Bildung und zur Gesellschaft. Die afrikanischen Studierenden, die fliehen, zeigen die doppelten Standards. Sie sind aus geopolitischen und rassistischen Gründen weniger erwünscht.

Auch. Es gibt aber ein Land, in das sie zurückkehren könnten.

Ja, das ist die Logik der Regierung. Aber diese Leute haben ja versucht, sich etwas in der Ukraine aufzubauen. Ihr Leben war in der Ukraine, sie haben eine Ausbildung gemacht, die sie in gleicher Form in ihrem Heimatland häufig nicht machen können. Es gab Gründe, warum sie das Visum in der Ukraine beantragt haben. Die Familien haben teilweise sehr viel Geld investiert und die Ausbildung ist schon fortgeschritten.

Sie fliehen vor dem gleichen Krieg und mussten alle ihr Leben zurücklassen, das in der Ukraine war. Es ist keine Belastung für Deutschland, diesen Leuten die gleichen Möglichkeiten einzuräumen. Ich glaube, es wäre ein Gebot der Fairness das zu tun. Das ist eine politische Entscheidung, das Recht differenziert da gerade noch.

Glauben Sie, dass die Strategie der Abschreckung in der Migrationspolitik funktioniert?

Ich glaube nicht, dass die Abschreckung funktioniert. Armut, Perspektivlosigkeit, Krieg oder Umweltkatastrophen zwingen die Leute zu fliehen, egal wie repressiv die Festung Europa ist. Wenn eine Flanke verstärkt wird, suchen die Leute einen anderen Weg. Die Gefährlichkeit der Route ist natürlich ein Hindernis, aber was ist die andere Alternative? Ich glaube, dass sich das weiter zuspitzen wird. Die Ungleichheit sorgt dafür, dass die Migrationsbewegungen weitergehen. Die westliche Welt baut Festungen, aber die sind nie dazu gedacht, dass sie undurchlässig sind. Denn die neoliberale Wirtschaftspolitik hat das Ruder in der Hand, diese Menschen werden als Arbeitskräfte gebraucht, die man ausbeuten kann.