Mit dem Bus nach Spandau: „Die Verkehrsanbindung ist eine Katastrophe“

Bislang kommt man nur mit dem Bus in das Gebiet nördlich der Heerstraße, dabei leben dort Zehntausende Berliner. Die Situation ist für viele schwer zu ertragen. Eine Reportage.

In manche Teile von Spandau geht es ab der S-Bahn-Station Heerstraße nur noch mit dem Bus.
In manche Teile von Spandau geht es ab der S-Bahn-Station Heerstraße nur noch mit dem Bus.Volkmar Otto

Die Uhr am kleinen Turm des Bahnhofgebäudes zeigt halb fünf, dabei ist es erst halb vier. Es ist die Zeit, in der hauptsächlich Schülerinnen und Schüler aus dem Gebäude treten. Wie in Wellen werden sie auf den schmalen Streifen vor dem Haltestellen-Häuschen auf der anderen Seite der fünfspurigen Heerstraße gespült. Ein paar Minuten später münden die Wellen in einem der drei Busse, die in Richtung Heerstraße Nord zuckeln: X34, X49, M49. 

In der Menge aus schnatternden Jugendlichen steht an diesem rauen Februartag auch eine junge Frau mit hellblauem Stirnband und Blumenstrauß in der Hand. Sie warte auf den X49er, sagt die Frau, die sich als Negin Dollwetzel (34) vorstellt. „Das ist der schnelle“, sagt sie, „aber ob er kommt, ist Glückssache.“

Ständig passiere es, dass der Bus ohne Ankündigung ausfalle. Oft steht Dollwetzel dann hier und wartet vergeblich. Am Ende nimmt sie notgedrungen den langsameren M49er, um nach Hause in die Wilhelmstadt zu kommen. „Der hält gefühlt an jedem Briefkasten.“

Seit zwei Jahren lebt Dollwetzel in Spandau. Aus Charlottenburg mussten sie, ihr Mann und ihre kleine Tochter wegziehen, weil ihnen wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. In Spandau habe sie sich erst sehr unwohl gefühlt, erzählt die Frau. Mit der Zeit habe sie aber angefangen, den Bezirk weit draußen im Berliner Westen zu lieben. „Die Vorurteile gegen Spandau stimmen überhaupt nicht“, sagt sie. „Nur das mit der Verkehrsanbindung ist eine Katastrophe.“ Morgens, wenn sie zur Arbeit an die Friedrichstraße müsse, brauche sie mindestens 60 Minuten. Nachmittags oft noch länger zurück.

Negin Dollwetzel (34) wartet am S-Bahnhof Heerstraße auf ihren Bus nach Spandau - der häufig gar nicht kommt.
Negin Dollwetzel (34) wartet am S-Bahnhof Heerstraße auf ihren Bus nach Spandau - der häufig gar nicht kommt.Volkmar Otto

Obwohl im Siedlungsgebiet Heerstraße Nord Zehntausende Spandauer leben, gibt es bislang nur Busverbindungen dorthin. Die führen entweder vom S-Bahnhof Spandau in das Gebiet, oder über die breite Heerstraße, die vor allem morgens und nachmittags vollgestopft mit Autos ist. Häufig sind die Busse verspätet oder kommen gar nicht. Und wenn einer kommt, erzählt Negin Dollwetzel, könne sie oft trotzdem nicht einsteigen, weil er so überfüllt sei.

Schon seit Jahrzehnten wird deswegen eine U-Bahn- und eine Tram-Verbindung in das Gebiet gefordert. Konkret gibt es Planungen für eine Erweiterung der U7 vom Rathaus Spandau. Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) sagte im Januar vergangenen Jahres dazu: „Entlang dieser Strecke leben viele Menschen mit geringen Einkünften, die ganz besonders auf einen guten Nahverkehr angewiesen sind. Deshalb hätte die Verlängerung der U7 in Spandau auch einen Gerechtigkeitseffekt.“

Und in der Tat: Bei Machbarkeitsstudien erbrachte die Untersuchung für die U7 in Richtung Heerstraße ein Fahrgastpotenzial von bis zu 40.000 Fahrgästen pro Tag. Gute Argumente also für eine schnelle Umsetzung der Pläne. Im Dezember allerdings gab es größere Aufregung. Da hatte man Äußerungen Jaraschs so verstanden, dass andere U-Bahn-Erweiterungen mehr Priorität hätten – etwa die der U3 von Krumme Lanke zum Mexikoplatz, oder der U7 in anderer Richtung zum Flughafen BER.

Es gibt einiges, das dafür spricht, dass man Jarasch damals missverstanden hat. Zumindest teilte ihr Sprecher Anfang dieses Jahres mit, die Spandau-Erweiterung habe weiterhin Priorität, eine Stelle sei für die Planung besetzt worden. Doch noch immer gibt es deswegen Zwist innerhalb der Grünen. Erst am Montag dieser Woche wurde bekannt, dass ein Spandauer Grünen-Mitglied in einem internen Chat Verkehrssenatorin Jarasch und ihre Amtsvorgängerin Regine Günther (ebenfalls Grüne) mit den Worten kritisiert habe: „Spandau wächst sehr stark und braucht dringend eine Straßenbahn oder eine U-Bahn. Weder Günther noch Jarasch haben uns irgendetwas in Aussicht gestellt.“ Zündstoff so kurz vor der Wahl. 

Für die ehemalige Berufsschullehrerin Frau Haister (71) ist das lange Warten auf den Bus nach Spandau nicht so schlimm. 
Für die ehemalige Berufsschullehrerin Frau Haister (71) ist das lange Warten auf den Bus nach Spandau nicht so schlimm. Volkmar Otto

Fragt man die Menschen an der Haltestelle, interessieren sich die meisten nicht dafür, worüber die Politik diskutiert. Zumal die Realisierung der U-Bahnpläne wohl noch etliche Jahre dauern wird. Sie wollen einfach eine unkomplizierte Lösung, um von A nach B zu kommen – per Bus ist das für viele nicht möglich. „Ich benutze schon die Öffentlichen, um aufs Auto zu verzichten“, sagt ein Mann und zieht an seiner Zigarette. „Aber wirklich angenehm ist das hier nicht.“

Insofern ist Spandau möglicherweise ein gutes Stimmungsbild für die Grünen, die ihre Verkehrspolitik – weg vom Auto – auch den Menschen auf dem Land und am Stadtrand erklären müssen. Ausgerechnet hier haben sie bei vorherigen Wahlen nicht besonders gut abgeschnitten. Für eine ältere Dame, die sich als Frau Haister vorstellt und ebenfalls auf den Bus wartet, ist das kein Zufall: „In Spandau zu leben, das ist fast wie auf dem Land, da kann man den Leuten nicht damit kommen, lieber aufs Fahrrad umzusteigen.“ Für sie als Rentnerin, sagt die 71-Jährige, seien die langen Wartezeiten mit dem Bus allerdings kein Problem. Zu ihrem Sohn, der im Wedding wohne, brauche sie etwa 50 Minuten, „so schlimm ist das nicht“. So unterschiedlich können Wahrnehmungen sein.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de