Die Eiche bleibt! Erfolgreicher Kampf einer Bürgerinitiative in Berlin-Mitte
Die 220 Jahre alte Eiche sollte einer Tiefgarage für SUV weichen. Es gab Protest. Jetzt sagt der Investor: „Wir haben nicht die Absicht, die Eiche zu fällen.“

Eine 200 Jahre alte Eiche, die einer Tiefgarage für sechs SUV weichen soll – sie sei ein Symbol dafür, wie private Profite immer noch oft über dem Naturschutz stünden. So haben es Anwohner der Dresdner Straße 113 formuliert, nachdem das Oberverwaltungsgericht einem Hamburger Immobilienunternehmen erlaubt hatte, die Eiche zu fällen.
Und die Zeit drängte: Am 1. März läuft die Schonfrist aus, ab da darf kein Baum mehr gefällt werden. Also organisierte die Anwohnerinitiative, die seit zwei Jahren dafür kämpft, dass die Eiche weiterleben darf, seit Donnerstag tägliche Mahnwachen in dem Kreuzberger Innenhof – die Protestler fürchteten, dass der Investor jederzeit die Baumfäller schicken könnte.
Sie luden Pressevertreter ein und es gab zahlreiche Postings in den sozialen Medien, allen voran auf dem Instagram-Account der Eiche mit seinen inzwischen 931 Followern. Der öffentliche Druck war groß.
Am Samstag hatte Julian Rosefeldt, Regisseur und Anführer der Anwohnerinitiative, dann Post. Eine E-Mail des Investors Jürgen Kaape: Keiner habe die Absicht, die Eiche zu fällen.
Die Nachricht machte die Runde, auf Twitter hieß es: „Großartige Neuigkeiten! Der Investor, der die 220 Jahre alte Berliner Eiche für sechs Parkplätze fällen lassen wollte, hat der Initiative soeben mitgeteilt, dass der Baum stehen bleiben wird. Der öffentliche Druck hat also gewirkt. Danke an alle fürs E-Mail-Schreiben.“
Großartige Neuigkeiten🚀🚀🚀 Der Investor, der die 220 Jahre alte Berliner Eiche für 6 Parkplätze fällen lassen wollte, hat der Initiative soeben mitgeteilt, dass er der Baum stehen bleiben werde. Der öffentliche Druck hat also gewirkt. Danke an alle, fürs Email schreiben❤️❤️ pic.twitter.com/ILp3wOaPvD
— Ingwar Perowanowitsch (@Perowinger94) February 27, 2023
Prompt reagierte auch die Politik, zumindest per Mail. Der SPD-Abgeordnete Max Landero schrieb, er stehe für ein klärendes Gespräch zur Verfügung und dafür, die Eiche endgültig zu retten. Woraufhin auch der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Mitte, Ephraim Gothe, seine Hilfe anbot – nachdem er die Anwohnerinitiative lange mit Nichtstun enttäuscht hatte.
In den sozialen Medien wurde aber nicht nur die Nachricht bekannt, sondern auch der Kontakt des Investors. Am Telefon sind die Mitarbeiter des Immobilienunternehmens genervt: zu viele Anrufe und zu viele beleidigende Töne. Es habe auch persönliche Beschimpfungen gegeben, sagte der Hamburger Investor Jürgen Kaape der Berliner Zeitung. Das Thema sei hochgespielt worden.
Die Geschichte, die Kaape erzählt, klingt ganz anders als die der Protestler. „Wir hatten nie die Absicht, die Eiche zu fällen“, sagt der Investor. Ursprünglich sei man mit den Bauplänen lediglich zu dicht an der Eiche gewesen, zwei Meter hätte man abrücken müssen. Es sei nie geplant gewesen, die Eiche zu fällen, man habe lediglich eine Fällgenehmigung gehabt. Eiche und Garage hätten nichts miteinander zu tun, es habe nur die Gefahr bestanden, dass die Eiche beim Bauen der Wohnungen Schaden nehmen könnte. Daher auch der Vorschlag mit dem sogenannten Totbaum-Biotop.
Investor Jürgen Kaape: „Die Anwohner haben einen Grund gesucht, die Öffentlichkeit zu erregen“
Nur: Wenn es nie den Plan gab, die Eiche zu fällen, warum sollten die Anwohner so viel Energie und Zeit in so viel Protest investieren? „Sie haben einen Grund gesucht, die Öffentlichkeit zu erregen“, sagt Kaape. „Und die Geschichte mit den sechs SUV ist womöglich am öffentlichkeitswirksamsten.“
Allerdings waren sechs Stellplätze geplant, das geht aus dem Plan hervor, der der Berliner Zeitung vorliegt und in den auch ein Auto der Luxuskategorie eingezeichnet ist. Nach diesem Plan hätte es eine Rampe gebraucht, der die Eiche im Weg gestanden hätte.
Jetzt gibt es einen neuen Plan, sagt Jürgen Kaape. Man will um die Eiche herumbauen. Tiefgaragen kommen darin nicht mehr vor: Man wolle nicht so in die Tiefe gehen, um die Baumwurzeln zu schützen.
Umdenken nur wegen gestiegener Baukosten?
Woher kommt dieser Gesinnungswandel? Will der Investor den Baum retten? Steht er plötzlich aufseiten der Klimaaktivisten? Oder hat er nicht so schnell ein Unternehmen gefunden, das den Baum fällt? Nein, sagt Kaape: Natürlich hätte man einen Baumfäller gefunden, wenn man gewollt hätte. Und man hätte den Plan auch nicht geändert, weil die Anwohner so energisch um die Eiche gekämpft haben. Sondern schlicht, weil das letzte Jahr ganz andere Probleme gebracht hätte. Grund für das Umdenken sei nicht der Protest, sondern die wirtschaftliche Entwicklung: „Die Zinsen sind gestiegen, die Baukosten auch“, sagt Kaape. Man wolle jetzt kleinere Wohnungen bauen, die seien günstiger und leichter verkäuflich. „Und diese Wohnungen brauchen auch keine Tiefgarage.“
Und doch könnte die Eiche jetzt zu einem neuen Symbol werden: dafür, dass ziviles Engagement große Wirkung haben kann. Nach tagelangem Druck der Öffentlichkeit bekam Julian Rosefeldt am Samstag eine Mail vom Investor: Er habe nicht die Absicht, den Baum zu fällen. Dann wäre zumindest für den Moment ein ganzes Jahr gewonnen. Ein Jahr für eine Eiche, die 1000 Jahre alt werden kann. Und vielleicht ein Jahr, in dem die Politik den Klimawandel nicht nur auf dem Papier zur Aufgabe macht.
Auch wenn die Anwohnerinitiative dem Frieden noch nicht ganz traut: Der Investor, so sagt er, möchte seine Ruhe haben. Er dürfte wissen, dass er die nach einer Fällung ganz bestimmt nicht hätte. Dann würde der Ärger erst richtig losgehen.