„Bürgerfeindlich“: CDU fordert Diskussion über das Projekt Graefekiez ohne Parkplätze

Der Konflikt um den weltweit einzigartigen Verkehrswende-Versuch spitzt sich zu. Nun setzen Kreuzberger Christdemokraten eine BVV-Sondersitzung durch. 

Der Graefekiez soll 2023 Schauplatz eines einzigartigen Experiments der Verkehrswende werden.
Der Graefekiez soll 2023 Schauplatz eines einzigartigen Experiments der Verkehrswende werden.Benjamin Pritzkuleit

Im Streit um den geplanten Modellversuch „Graefekiez ohne Parkplätze“ findet jetzt auf Antrag der CDU  eine Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg statt. Die Christdemokraten fordern, dass über den Einwohnerantrag, der sich gegen das umstrittene Projekt richtet, bald beraten wird – und nicht erst, wenn es begonnen hat, sagte der Fraktionsvorsitzende Timur Husein  der Berliner Zeitung. Jetzt wurde für Donnerstag, 17 Uhr, eine Sondersitzung anberaumt, die im Tagungszentrum Franz-Mehring-Platz 1 stattfindet. Einziger Tagesordnungspunkt: der Einwohnerantrag zum geplanten Modellversuch im Graefekiez.

Wie berichtet soll es in einem Teil des Graefekiezes für mindestens sechs Monate lang keine Stellplätze für private Autos mehr geben. Die frei werdenden Flächen sollen anders genutzt werden, zum Spielen, Sitzen oder für andere Aktivitäten, heißt es im Bezirksamt. Behindertenparkplätze und Carsharing soll es weiterhin geben, auch werden die Straßen nicht für Kraftfahrzeuge gesperrt. In einem Parkhaus im nahe gelegenen Neukölln sollen Stellflächen angeboten werden. Bei dem Experiment soll ausgelotet werden, ob weitergehende Projekte der Verkehrsberuhigung praktikabel sind, hieß es. Befürworter loben es als einzigartiges Projekt der Mobilitätswende, das bisher ohne Vorbild ist.

Das Wissenschaftszentrum Berlin, kurz WZB, ließ 2021 Bewohner des Graefekiezes vom Meinungsforschungsinstitut Infas befragen. Eines der drei vorgestellten Szenarien sah vor, dass in dem Wohnviertel alle Autostellplätze wegfallen. Im Graefekiez hätten 68 Prozent der Befragten zugestimmt, hieß es. Einen komplett autofreien Kiez bewerteten 61 Prozent der Kreuzberger Umfrageteilnehmer zustimmend. An der Online-Befragung, bei der sich auch Bewohner des Friedrichshainer Samariterkiezes zu ihrem Wohngebiet äußern konnten, nahmen 1041 Bürger teil. 6000 Menschen hatten zuvor Post erhalten.

Auch die CDU hat Graefekiez-Bewohner nach ihrer Meinung befragt. Allerdings kam sie zu einem anderen Ergebnis. Für einen geplanten Einwohnerantrag, mit dem der ihrer Meinung nach anwohnerfeindliche Versuch verhindert werden soll, hat sie in wenigen Wochen 1444 gültige Stimmen gesammelt. Tausend Unterschriften reichen aus.

Doch als die Bezirksverordnetenversammlung am 25. Januar zu ihrer jüngsten Sitzung vor der Wiederholungswahl zusammentrat, kam es nicht zu einer Diskussion – obwohl die Christdemokraten eine Debatte gefordert hatten. Das Experiment im Graefekiez sei bürgerfeindlich, weil die Bürger vorher nicht abstimmen durften, ob sie Teil des Modellversuchs sein wollen oder nicht, sagten sie. Doch der Einwohnerantrag wurde mit den Stimmen der Grünen, der SPD und der Linken in den Umweltausschuss überwiesen.

„Dabei war absehbar, dass es vor April 2023 keine Ausschusssitzung geben wird“, so CDU-Fraktionschef Husein. Dann könnte der Modellversuch aber schon begonnen haben. Stadträtin Annika Gerold (CDU) bekräftigte während der Sitzung, dass er im Frühjahr 2023 starten soll. Sie hatte zuvor nicht ausgeschlossen, dass das Versuchsgebiet kleiner ausfallen und nicht alle 2000 Autostellflächen im Graefekiez umfassen könnte. Dem Vernehmen nach wird der Zuschnitt des Testgebiets davon abhängen, wie viel Personal dem Bezirksamt zur Verfügung steht. Zur Vorbereitung werden in der Verwaltung Mitarbeiter gebraucht. Während der Laufzeit des Praxistests muss das Ordnungsamt dafür sorgen, dass die Regelungen auch eingehalten werden.

Nun hat die CDU-Fraktion am Freitag die Einberufung einer außerordentlichen BVV-Sitzung beantragt. Sie müsste vor der Wahl, also noch in der kommenden Woche, stattfinden, sagte Husein. Eine Antwort bekam er noch nicht. 

Grünen-Fraktionssprecher reagiert auf die Kritik der CDU

Noch am Freitagabend reagierte Pascal Striebel, Fraktionssprecher der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg, auf Twitter. „Die BVV hat den Antrag im Plenum besprochen und wie üblich zur Fachdebatte in die Ausschüsse überwiesen“, schrieb Striebel. „Wer da keine Diskussion wollte: die CDU. Die im Übrigen gleichzeitig fordert, dass die BVV vor der Wahl keine weitreichenden Entscheidungen mehr treffen darf. Na was denn nun?“

„Wir hatten eine Debatte, genauer gesagt wurde mir Populismus vorgeworfen. Und nach dieser Debatte hätten wir dann auch abstimmen können“, entgegnete Timur Husein. „Zumal es öfters Anträge gibt, die sofort abegstimmt werden, auch von den Grünen, auch in der letzten BVV-Sitzung, oder etwa nicht?“