Im Osten nichts Neues: Wutausbruch beim Deutsch-Polnischen Bahngipfel

Ein weiterer Zug von Berlin nach Warschau, wieder ein Nachtzug nach Krakau, irgendwann direkt in die Ukraine: Viel mehr kam nicht heraus bei dem Treffen.

Reisefertig. Ein Fahrgast des Eurocity-Zuges nach Krakau im Berliner Hauptbahnhof.
Reisefertig. Ein Fahrgast des Eurocity-Zuges nach Krakau im Berliner Hauptbahnhof.Volkmar Otto

Der Wutausbruch kam unerwartet, und er fiel auf im gedämpften Ambiente des makellos renovierten früheren Kaiserbahnhofs in Potsdam. „Warum geht das nicht voran?“, rief Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. „In Polen kommt vieles viel schneller voran als bei uns. So geht das nicht weiter“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch nach dem fünften Deutsch-Polnischen Bahngipfel. Beim Ausbau der Schienenverbindungen zwischen den beiden Ländern müsse es endlich einen „deutlichen Schub“ geben. Die Neuigkeiten, die nach dem internationalen Treffen in der DB Akademie am Park Sanssouci verkündet wurden, lassen sich an wenigen Fingern abzählen. An sehr wenigen.

Für knapp 30 Euro von Berlin nach Warschau, für rund 50 Euro von Berlin nach Krakau oder Danzig. Schon heute ist es möglich, bequem und ohne Stau direkt nach Polen zu reisen – in modernen klimatisierten Zügen und zum Teil mit Speisewagen, deren Speiseangebot bei weit gereisten Travellern regelmäßig gut abschneidet. Das grenzüberschreitende Zugangebot ist viel besser als zwischen Frankreich und Spanien oder zwischen Frankreich und Italien. Davon profitieren auch Berlin und Brandenburg.

Nach dem Bahngipfel in Potsdam bestätigte Andrzej Bittel, Infrastruktur-Staatssekretär in Polen, dass das Angebot auf grenzüberschreitenden Schienen etwas erweitert wird. Wie angekündigt steigt die Zahl der Eurocity-Zugpaare, die Berlin täglich mit Poznan (Posen) und Warschau verbinden, von fünf auf sechs. Dann wird es zwischen den beiden Hauptstädten annähernd einen Zweistundentakt geben. Am Mittwoch hieß es, dass das zusätzliche Zugpaar ab Juni 2023 verkehrt. Im DB-Navigator ist es ab 22. April enthalten.

Über Nacht nach Krakau und an die Grenze zur Ukraine

Bittel teilte außerdem mit, dass es künftig eine zweite tägliche Zugverbindung zwischen Berlin, Krakau und Przemyśl an der Grenze zur Ukraine geben wird. In welcher Zeitlage das zusätzliche Fernzugpaar verkehrt und wann der Betrieb beginnt, wurde am Mittwoch nicht mitgeteilt. Nach Informationen der Berliner Zeitung soll es zum Fahrplanwechsel im Dezember 2023 erstmals ins Rollen kommen. Eine wesentliche Verbesserung. Inzwischen wurde bekannt, dass das Zugpaar von PKP Intercity nachts verkehren wird - bis Wrocław (Breslau) ungefähr in der Zeitlage des Nachtzugs Berlin - Wien, der vom nächsten Fahrplanjahr über Prag geleitet wird und dann über Wien nach Budapest rollt. 

„Weitere Verbindungen in Richtung Ukraine werden für 2025/2026 angedacht“, berichtete jemand, der beim Bahngipfel dabei war. „Man hat gemerkt, dass das Interesse bei PKP Intercity größer ist, den Ausbau des Zugangebotes zu forcieren. Die Deutsche Bahn war hier zurückhaltender. Viele Fragen des Rollmaterials und die Finanzierung müssen noch geklärt werden, hieß es."

Die neue Direktverbindung von Berlin in die südostpolnische Touristenmetropole und weiter in die Grenzstadt am San war dann aber auch schon die einzige echte größere Neuigkeit, die beim fünften Deutsch-Polnischen Bahngipfel verkündet wurde. Dass sich die Bahnreisezeit zwischen Berlin und Szczecin (Stettin) um 20 bis 30 Minuten auf 90 Minuten pro Weg verkürzen soll, ist schon länger bekannt. „Die Strecke wird bis Ende 2026 ausgebaut“, bestätigte Berlins Mobilitäts-Staatssekretärin Meike Niedbal.

DB Regio habe den Auftrag bekommen und werde einen Einstundentakt anbieten. Alle zwei Stunden fährt der neue RE9 direkt in die Hafenstadt, alle zwei Stunden muss in Angermünde in die RB66 umgestiegen werden. Im Vergleich zum bisherigen Angebot ist auch das eine große Verbesserung.

Usedom-Anbindung war kein Thema beim Bahngipfel

Doch zu anderen Themen gab es am Mittwoch nichts Neues zu vermelden. So war von dem lange diskutierten, aber kürzlich wieder abmoderierten Plan, beim Wiederaufbau der Südanbindung der Ostseeinsel Usedom die Trasse über Świnoujście (Swinemünde) zu führen, in Potsdam keine Rede. Der Wutausbruch des sächsischen Ministerpräsidenten wiederum bezog sich darauf, dass die geforderte neue Fernzugverbindung zwischen Berlin und Südpolen, die mit Görlitz auch eine Stadt in Sachsen anbinden soll, weiterhin nicht in Sicht ist. „Osteuropa ist wichtig“, so Kretschmer. „Wir brauchen einen anderen Umgang miteinander.“ Doch der Bund halte sich zurück – wobei sich dieser immer wieder hinter Haushaltsrichtlinien und anderen Finanzthemen verstecke, kritisierte er.

In der Hauptstadt-Region hat die Bundesplanung ebenfalls einen blinden Fleck. Seit Jahren setzen sich die Länder Berlin und Brandenburg dafür ein, dass die Ostbahn zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert wird. Am Mittwoch bekräftigte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), wie wichtig das Projekt sei. Die heutige Hauptverbindung nach Warschau über Frankfurt (Oder) stoße an Kapazitätsgrenzen.

Auf der schnurgeraden Ostbahn, die von Berlin über Strausberg, Küstrin-Kietz und über die Oder hinweg ins polnische Kostrzyn (Küstrin) hatte die DB wie auf anderen Trassen Weichen und Gleise abgebaut, als Hartmut Mehdorn Chef war. Heute drängen sich Pendler in überfüllten, oft viel zu kurzen Dieselzügen. Auch in Polen misst man der traditionsreichen Strecke große Bedeutung zu. Doch der Bund sieht das anders. Dabei hatte die Strecke nach Kostrzyn, die bis Mai 2023 wegen des Neubaus der Oderbrücke unterbrochen ist, von allen grenzüberschreitenden Trassen zwischen Deutschland und Polen stets die meisten Fahrgäste – aber mangels Fernzügen nur in Regionalzügen.

Die Ostbahn ist für den Fernverkehr unbedeutend – meint der Bund

Das fällt ihr nun auf die Füße. Nach Ansicht des Bundes habe die Ostbahn nur Relevanz für den Nahverkehr, und der liege nun einmal in der Verantwortung der Bundesländer. Das schrieb Michael Theurer (FDP), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, vor kurzem dem Berliner CDU-Politiker Christian Gräff, dessen Wahlkreis an der Trasse liegt. „Mangels Wirtschaftlichkeit für den Schienenpersonenverkehr und den Schienengüterverkehr“ konnte die Ostbahn nicht für den Bundesverkehrswegeplan 2030 berücksichtigt werden, heißt es in dem Brief weiter. Dies wäre die Voraussetzung für die Aufnahme ins Investitionsprogramm TEN-V.

Ein Unding, entgegnete Gernot Schmidt beim Deutsch-Polnischen Bahngipfel. Der SPD-Politiker ist Landrat in Märkisch-Oderland, einer Region, die an der Ostbahn liegt. Der Bund habe kein Konzept, wie die Verbindungen zwischen den beiden Ländern entwickelt werden sollen. „Es hakt beim Grundverständnis. Das frustriert mich“, klagte Schmidt am Mittwoch. „Wir müssen wissen, was wir wollen.“ Doch die Ostbahn komme in den Plänen der Bundesregierung nicht vor. Der Gipfel habe „kleine Verbesserungen“ gebracht, bilanzierte der Landrat. „Aber strategische Überlegungen fehlen.“

Als Touristen noch ohne Umsteigen von Berlin nach Masuren reisen konnten

Sicher, in Europa gibt es diverse Länder, zwischen denen das Zugangebot viel schlechter ist als zwischen Deutschland und Polen. Trotzdem war Letzteres schon mal deutlich besser. So gab es Zeiten, in denen die beliebte Ferienregion Masuren sowie Städte wie Koszalin (Köslin) und  Olsztyn (Allenstein) direkt von Berlin aus erreichbar waren. Doch der Interregio „Mare Balticum“ wurde im Jahr 2000 eingestellt, und der ebenfalls kaum beworbene Nachtzug, der während der Sommersaison 2007 über Mikołaiki (Nikolaiken) nach Ełk (Lyck) fuhr, verschwand nach deren Ende für immer aus dem Fahrplan. Immerhin kann man seit Ende 2012 wieder ohne Umsteigen mit der Bahn von Berlin nach Gdańsk (Danzig) und Gdynia (Gdingen) reisen, allerdings auf einer anderen Route.

Das direkte Nachtzugpaar D 448/449 Berlin–Kraków (Krakau) war bereits im Dezember 2004 gestrichen worden. Als Kurswagengruppe im Nachtzug „Stanislaw Moniuszko“, der Berlin und Warschau miteinander verband, tauchte die Krakau-Verbindung zwar später wieder auf. Doch Ende 2009 standen auch für diesen Zug  die Signale endgültig auf Rot. Neun Jahre später konnte man erneut über Nacht von Berlin nach Krakau reisen. Doch die frühe Ankunft morgens um kurz nach 4 Uhr in Krakau war zu früh für Normaltouristen. So wurde die Kurswagengruppe Ende 2021 wieder auf dem Fahrplan gestrichen. Immerhin gibt es tagsüber wieder eine Verbindung, seit Ende 2020.

Es war einmal: im Schlafwagen nach Lemberg und ans Schwarze Meer

Bis in die Nullerjahre hinein konnte man im Schlafwagen von Berlin-Lichtenberg ohne Umsteigen in die Ukraine reisen – etwa nach Odesa (Odessa), Lwiw (Lemberg) und Kyiv (Kiew). Wer heute mit der Bahn in das vom russischen Angriffskrieg betroffene Land reisen will, muss dagegen stets umsteigen, etwa in Warschau oder Przemyśl. Von einer Wiederaufnahme der direkten Verbindungen ist derzeit nicht die Rede - auch weil die ukrainische Bahn nur wenige Schlafwagen hat, die umgespurt werden können.

Doch beim Deutsch-Polnischen Bahngipfel wurde nicht ausgeschlossen, dass sie irgendwann erneut aufgenommen werden. „Ich hoffe, dass wieder Züge fahren – wenn die Waffen schweigen“, sagte Michael Theurer. Andrzej Bittel  wurde deutlicher: „Ich bin mir sicher, dass es wieder direkte Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland geben wird.“


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