„Ein Kind des Ostens“: In Berlin erhalten alte S-Bahnen eine Schonfrist

Kurz nach Ostern sollte die letzte Fahrt stattfinden. Doch nun bleibt die in der DDR entwickelte Baureihe 485 länger im Dienst. Ein Wagen kommt ins Museum.

Startklar für den Einsatz: ein Zug der S-Bahn-Baureihe 485.
Startklar für den Einsatz: ein Zug der S-Bahn-Baureihe 485.Robert Schlesinger/dpa

Sie sind nicht mehr die jüngsten, und das sieht man auch. Die Technik ist alles andere als taufrisch, was sich in häufigen Werkstattbesuchen zeigt. Trotzdem hat diese S-Bahn-Baureihe von Berlin und Brandenburg zahlreiche Freunde und Befürworter. Nun gibt es eine Nachricht, die sie freut: Die Baureihe 485 bekommt nun doch noch eine Schonfrist. Die S-Bahn Berlin hat den Plan, den zu DDR-Zeiten entwickelten Zugtyp auf jeden Fall kurz nach Ostern 2023 aus dem regulären Fahrgastbetrieb zu nehmen, zu den Akten gelegt.

Die Zeiten, als die Baureihe 485 die S-Bahn-Linien S46 und S8 dominierte, sind vorbei. Eigentlich sollten sie als Nächstes Mitte April 2023 von der S85 abgezogen werden, die ihr letztes größeres Einsatzgebiet ist. Doch jetzt bestätigte eine Bahnsprecherin der Berliner Zeitung auf Anfrage, dass die letzten Züge dieses Typs erst einmal weiterfahren könnten. Damit zeichnet sich ab, dass das charakteristische Geräusch dieser S-Bahnen einige Monate länger als bisher erwartet zur Geräuschkulisse Berlins gehören wird. Gut für die Fahrgäste: Nach einer längeren Corona-Delle haben sich die Fahrgastzahlen schon vor längerer Zeit wieder erholt. Für den Andrang wird jedes Fahrzeug gebraucht.

„Einen festen Termin für das Abstellen der Baureihe 485 gibt es nicht“, betonte die Sprecherin am Freitag. „Die S-Bahn Berlin plant, die Fahrzeuge spätestens zum nächsten Fahrplanwechsel im Dezember endgültig aus dem Fahrgastbetrieb zu nehmen. Der Weiterbetrieb ist möglich, weil die bisher für den Sommer geplante Umstellung des Nordkreuzes auf das Zugbeeinflussungssystem ZBS auf 2024 verschoben wurde.“

Als die Züge noch rot lackiert waren: Eine „Coladose“ 2001 unterwegs auf der Ringbahn.
Als die Züge noch rot lackiert waren: Eine „Coladose“ 2001 unterwegs auf der Ringbahn.Jürgen Heinrich/imago

Die S-Bahn nennt die Baureihe 485 ein „Kind des Ostens“. Das Design stammt von der Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle (Saale). Die Baumusterfahrzeuge und die spätere Nullserie wurden vom VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ in Hennigsdorf hergestellt. In den 1980er-Jahren erlebte die damalige Baureihe 270 ihr Debut im Osten von Berlin sowie in der angrenzenden DDR, in West-Berlin fuhr sie nicht. Auch die Idee, die Züge strahlend rot mit einem anthrazitfarbenen Fensterband zu lackieren, kommt aus DDR-Zeiten. Deshalb lautete ihr Spitzname „Coladosen“, wird erzählt – was andere S-Bahn-Kenner wiederum dementieren.

Risse in den Wagenkästen, brüchige Kabel

Wie dem auch sei: Die Baureihe 485, deren Serienlieferung aus dem heutigen Alstom-Werk nordwestlich von Berlin von 1990 an jeweils 158 Trieb- und Beiwagen umfasste, hat die damalige S-Bahn-Flotte verjüngt. Seitdem haben die Züge viele Millionen Menschen befördert. Mitglieder des Fahrpersonals, die länger bei der S-Bahn sind, schätzen die altmodische, aber robuste Elektrotechnik – auch wenn sie bei Nässe einiges Können unter Beweis stellen müssen, weil der Antrieb auf weniger Achsen wirkt als bei anderen Typen. Rollende Computer wie heutige Schienenfahrzeuge sind diese S-Bahnen nicht.

 „Diese Fahrzeuge haben weit weniger Störungen als die anderen in Betrieb befindlichen Baureihen“, sagte ein S-Bahner. Trotzdem fielen die Züge in den vergangenen Jahren  immer häufiger unangenehm auf, hieß es im Management. Inzwischen gilt die Baureihe 485 dort als wartungsintensiv. Vor einigen Jahren traten Risse in den Aluwagenkästen zutage, auch anderswo wird das ermüdete Material rissig. Einige S-Bahnen dieses Typs wurden aus dem Verkehr gezogen, weil sie als Ersatzteilspender gebraucht werden.

Im Winter kann es vorkommen, dass die Türen durch Flugschnee zufrieren, und auch in anderen Jahreszeiten fällt die Elektrik nicht selten aus, weil die Kabelverbindungen altern. Wegen diverser konstruktionsbedingter Mängel hat das Eisenbahn-Bundesamt verfügt, dass die Züge nur noch auf Zeit fahren dürfen. Die Duldung gilt bis Ende 2023 – dann ist Schluss. Deshalb kann die nun gewährte Schonfrist nicht länger dauern.

Als Manko gilt auch, dass eine Umrüstung der Baureihe 485 auf das aktuelle Zugsicherungssystem ZBS auf Probleme stoßen würde. Zwar war der erste Testzug mit ZBS einst ein 485er. Doch die Chancen, dass das Eisenbahn-Bundesamt für den Einbau in alle anderen Fahrzeugen eine Zulassung erteilen würde, sind gering. Beim Einbau eines neuen Sicherungssystems müssten umfangreiche Bremsnachweise erbracht werden. Nach Einschätzung von Technikern würde das mit der Baureihe 485 nicht gelingen.

Endstation Schrottplatz – Aluminium erzielt hohe Preise

Bereits 2007 begann die Verschrottung, der in kurzer Zeit rund 130 Wagen zum Opfer fielen. Als während der S-Bahn-Krise jeder Zug gebraucht wurde, setzte das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn das Verabschieden erst einmal aus. Doch seit einigen Monaten sind wieder Ausmusterungen im Gange. Regelmäßig verlassen Wagen der Baureihe 485 Berlin, um bei der Firma Bender im rheinischen Opladen zerlegt zu werden. Weil Aluminium hohe Preise erzielt, macht die Bahn damit Gewinn. Im vergangenen Juni gab es noch 77 Zwei-Wagen-Einheiten, zum Jahreswechsel rund 30.

Auch wenn sie in diesem Jahr von den Gleisen verschwindet: Ein Triebwagen der Baureihe 485 bleibt auf jeden Fall erhalten. „Ein Wagen der Altbaureihe soll als Ausstellungsstück weiter existieren“, teilte die Bahnsprecherin mit. „Der Wagen 485 129 soll voraussichtlich noch im Frühjahr 2023 an das Deutsche Technikmuseum übergeben werden.“ Auch das ist eine gute Nachricht für die Fans der alten Coladosen. 


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