Mobilitätsgesetz in Berlin beschlossen: CDU unterstellt Rot-Rot-Grün Angst vor Menschen mit Geld und Autos

Die Polizeischüler auf der Besuchertribüne des Abgeordnetenhauses wirkten so, als hätten sie sich auf einen langweiligen Donnerstagvormittag eingerichtet. Doch schon bald wich bei einigen die Gleichgültigkeit, denn im Plenum ging es hoch her. Zwischenrufe und verbale Angriffe begleiteten die zweite Lesung eines Gesetzes, das es in dieser Form in Deutschland noch nicht gab. „Das Mobilitätsgesetz läutet das Ende der autoprivilegierten Stadt ein“, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne).

Oliver Friederici (CDU) bezeichnete das Gesetz als „linksideologisches, radikales Machwerk, das die Stadt spaltet“. Bis es um 11.26 Uhr mit den Stimmen der SPD, Linken und Grünen beschlossen wurde, gab es viel Polemik.

Ein Fahrradlobby-Gesetz

Radfahrstreifen für alle Hauptstraßen, Radschnellwege, Fahrradparkhäuser: Erstmals gibt es nun ein Gesetz, das den Radverkehr sicherer machen will. Doch nur 13 der 50 Paragrafen widmen sich dem Fahrrad. In den anderen Bestimmungen geht es zum Beispiel darum, dass Nahverkehrstarife einfach zu gestalten und Lieferzonen für den Wirtschaftsverkehr freizuhalten sind. Nicht zu vergessen die übergreifenden Ziele – etwa dass Straßen nicht nur für Autos da sind, oder dass das Gesetz die Lebensqualität verbessern soll.

Die Opposition konzentrierte sich aber lieber aufs Fahrrad. Für viele Menschen in Berlin, wo die meisten Kilometer per Auto zurückgelegt werden, ist das ein Reizthema.

Das „sogenannte Mobilitätsgesetz“ sei ein Fahrradlobby-Gesetz, wetterte Oliver Friederici. „Erarbeitet von Ideologen linker Verkehrspolitik für die eigene fahrradfahrende Klientel in der Innenstadt.“ Die Linken, die SPD und Teile der Grünen seien „Getriebene ihrer autofeindlichen Politik“. Dabei gebe es auch in diesen Fraktionen viele Autonutzer: „Ich könnte Ihnen Namen nennen“, drohte Friederici. „Rot-Rot-Grün hat Angst vor der wachsenden Stadt, Angst vor neu zuziehenden Menschen mit Geld und Autos.“ Das Gesetz sei eine „in Gesetzesform gegossene Koalitionsvereinbarung“. Es stigmatisiere alle, die nicht Rad fahren wollen, können oder müssen.

„Autofahrer werden ausgegrenzt“

Die Koalition habe das Mobilitätsgesetz mit „Worthülsen und nichtssagenden Phrasen aufgepumpt“, sagte Frank Scholtysek von der AfD. Große Teile der Berliner Bevölkerung werden darin diskriminiert und stigmatisiert. Es gehe darum, ein „Klima des Autohasses zu erzeugen“ und Berlin „durchgehend zu verlangsamen“.

Nach diesen Vorwürfen wirkte die Kritik von Henner Schmidt (FDP) fast schon besonnen. Aber auch er kam am Ende zu einer grundsätzlichen Ablehnung. „Das Gesetz ist ein halbfertiger Torso. Autofahrer werden ausgegrenzt, Radfahrer überprivilegiert, auch gegenüber Fußgängern“, warnte der Verkehrspolitiker.

Für die Opposition sei das Gesetz wie ein warmer Regen: Wenn für Radwege Parkplätze wegfallen und Bäume gefällt werden müssen, werde das vor Ort massiv für Ärger sorgen. Um die Versprechungen umsetzen zu können, fehle es allerdings an Planern und an Baufirmen. „Auf die Euphorie wird ein Kater folgen!“

Ziel ist eine lebenswerte Stadt

Doch die Koalition, die das von einzelnen Bürgern nicht einklagbare Gesetz zuvor mit einer (alkoholfreien) Sektdusche gefeiert hatte, wollte sich ihre Euphorie nicht nehmen lassen. „Das Mobilitätsgesetz ist der Startschuss für eine gerechte, eine gesunde und vor allem für eine sichere Verkehrspolitik“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. „Die überwiegende Zahl von Verkehrsopfern sind Kinder oder ältere Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Genau für diese Menschen ist das Gesetz da.“

„Es wird Einschränkungen für den Autoverkehr geben“, gestand der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf ein. Es gebe allerdings „nachvollziehbare Gründe“, warum Berliner Auto fahren: „Wir wollen niemanden dazu zwingen, ein bestimmtes Verkehrsmittel zu nutzen.“

„Wir haben ein klares Ziel: eine lebenswerte Stadt“, sagte Verkehrssenatorin Günther. Das Gesetz werde Berlin sicherer, sauberer, leiser und klimafreundlicher machen: „Es wird Berlin zum Guten verändern.“