Monika Herrmann: Kreuzbergs Bürgermeisterin tastet sich durchs Neuland

Der Weg von der Bürgermeisterin zum Bürgerschreck kann sehr kurz sein. Er kann mitunter nur 140 Zeichen betragen, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Diese Erfahrung musste die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann machen, als sie kürzlich einen unbedachten Eintrag verbreitete.

Die Kommunalpolitikerin, die wegen des Konflikts um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz bekanntgeworden ist, reist gern durchs Internet. Rund 1 300 Nutzer, die im Twitter-Jargon Follower heißen, sind in Echtzeit dabei, wenn sie Zeitungsartikel postet, wenn sie mit anderen diskutiert, wenn sie sich über etwas freut.

Im Vergleich zu anderen Berliner Politikern ist das ein relativ kleiner Kreis, aber Herrmann gehört zu den aktivsten Benutzern. Das Schnelle, das Direkte, auch das Emotionale, das passt zu ihr. Anders als andere Politiker redet sie auch mit Journalisten, ohne danach die Zitate abzustimmen. Aber es führt auch zu Missverständnissen. Wie die Sache mit dem Gewaltaufruf.

Am vergangenen Sonntag verlinkte sie einen Artikel von Indymedia, darin rufen linke Gruppen dazu auf, Protestmärsche von Kreuzberg an den Kurfürstendamm zu verlegen. „Wenn dich die Gesellschaft ankotzt, dann komm auf die Straße, trage deine Inhalte vor, mit welchen Mitteln auch immer“, heißt es darin. „Interessant – kann mich selber noch gut an die großen Demos am Q-Damm erinnern“, das war das, was Monika Herrmann dazu einfiel. Es klang, als würde die Bürgermeisterin andere auffordern, an dem Protestmarsch teilzunehmen. Eine kritische Distanzierung fehlte.

Es war nicht das erste Mal, dass man sich bei Monika Herrmann fragte, in welcher Rolle sie auf Twitter unterwegs ist: Als kürzlich bekannt wurde, dass ein Unternehmer ein leerstehendes Kaufhaus am Oranienplatz umbauen würde, schrieb Herrmann nur: „Als Bürgermeisterin sollte mich das wahrscheinlich freuen.“ Aber? Wer spricht dort eigentlich, eine Parteipolitikerin, eine Bürgermeisterin oder eine Aktivistin? Wollte sie damit die linke Szene beeindrucken? Die meisten Bürgermeister hätten wohl gejubelt, wenn ein Investor Geld in ihren Bezirk bringt.

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Mit der Verbreitung des Indymedia-Aufrufs brachte sie nicht nur die konservative Presse gegen sich auf. Viele wunderten sich über Herrmanns Twitterei. Der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner diagnostizierte ein „ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt“. Die Bürgermeisterin als Sicherheitsrisiko.

Monika Herrmann sagt, sie sei missverstanden worden. Sie habe sich besonders für einen Aspekt interessiert, würde aber nicht mit den Aktionen sympathisieren. „Wenn auf Indymedia diskutiert wird, dass die Kreuzberger Polizei inzwischen zu professionell geworden ist, dann ist das doch interessant“, sagt sie ein paar Tage später.

Als Angela Merkel vom Internet als Neuland sprach, wurde sie verspottet, dabei zeigt sich auch an dem Streit um Herrmann, dass sie nicht ganz unrecht hatte. Goldene Regeln beim Umgang mit Twitter und Facebook gibt es nicht. Vieles ist auch unter Experten umstritten. Wie soll man zum Beispiel zwischen Privatmensch und Parteipolitiker trennen? Das sei eine Grauzone, sagt Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der Ratgeber für den Umgang mit sozialen Medien zusammengestellt hat.

Darin heißt es, dass für Beamte strikte Nutzungsregeln gelten, sie sind zur Neutralität verpflichtet. Politische Beamte wie die Grünen-Politikerin Herrmann seien zwar etwas freier, sagt Habbel, trotzdem findet er es „grenzwertig“, wenn Bürgermeister den Link einer vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation wie Indymedia verbreiten. „Ein Amtsträger hat bei allem Sendungsbewusstsein auch die Pflicht zur Objektivierung“, sagt Habbel. Er rät Kommunalpolitikern, ihre Aktivität zu dosieren und gut zu überlegen, welche Wirkung man erzielt.

Der Politikberater Martin Fuchs widerspricht dieser Einschätzung. Er lebt in Hamburg, aber Herrmann ist ihm auf Twitter auch schon aufgefallen. Er sieht den Indymedia-Link nicht als Gewaltaufruf, er erwartet sogar, dass Politiker nicht nur eigene Standpunkte verbreiten, sondern auch auf Diskussionen aufmerksam machen. „Nicht jeder Beitrag ist automatisch eine Meinungsäußerung“, sagt Fuchs.

Er bloggt seit drei Jahren zum Thema und hat für die Berliner Zeitung eine Übersicht über die Twitter-Aktivitäten der Abgeordneten erstellt. 46 Prozent der Abgeordneten sind auf Twitter unterwegs, während nur 14 Prozent der Gesamtbevölkerung diesen Kanal nutzen. Die Vorstellung, man könne zwischen privat und Dienst trennen, hält er für falsch. Der Nutzer interessiere sich für den Menschen, deshalb ist es wichtig zu zeigen, dass man neben dem Job andere Interessen hat.

Herrmann verbringt drei Stunden täglich mit den sozialen Medien, morgens in der U-Bahn und abends, wenn sie nach Hause kommt. Sie lebt allein, und Kommunalpolitik ist ihr Hobby, hat sie mal gesagt. Die Beobachtung des Politikberaters Fuchs, dass Politiker häufig das Twitter-Geschehen mit der Realität verwechseln, kann sie bei sich nicht feststellen, sagt sie. Andererseits hat sie rund um die gescheiterte Räumung des Oranienplatzes im November so viel herumgetwittert, dass man sich als Beobachter fragte, ob sie vergessen hat, dass sie nicht nur für ihre Follower da ist. „Mir ging es darum, die Unterstützer zu erreichen“, verteidigt sie sich. Sie sieht Twitter als Mittel, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die sie sonst nicht erreicht, doch sie stößt an Grenzen.

Sie steckt im Zwiespalt, ihre persönliche Meinung stimmt oft nicht mit dem überein, was sie als Amtsträgerin umsetzen muss. Auf Twitter wird das besonders deutlich. An Diskussionen in den sozialen Netzwerken will sich Herrmann künftig seltener beteiligen. „Dazu eignet sich das Medium nicht, Geschriebenes verschärft Situationen eher“, hat sie gelernt. Sie tastet sich voran, auf dem Weg durchs Neuland.