Mord in Neukölln: Wer hat Burak Bektas erschossen?
Es ist der 5. April vor fünf Jahren: Der 22-jährige Burak Bektas aus Neukölln steht abends mit vier Freunden an einer Bushaltestelle an der Rudower Straße im Süden des Bezirks. Da tritt ein Mann auf die Gruppe junger Migranten zu, zieht eine Pistole, schießt und flüchtet ohne ein Wort zu sagen vom Tatort: Drei der jungen Männer kommen mit Schusswunden ins Krankenhaus, wo Burak Bektas stirbt.
Es ist eine emotional aufgeladene Zeit in Neukölln. Wenige Wochen zuvor war im Bezirk Jusef El-A. erstochen worden. Von einem Deutschen. In Notwehr. 20 migrantische junge Männer hatten ihn bedroht. Radikale Islamisten nutzen die Tat für ihre Zwecke. Sie schüren Hass auf Deutsche. So etwas findet Anklang im migrantisch geprägten Neukölln.
Acht Tage nach Burak Bektas’ Tod kommen 2000 Menschen zur Beerdigung auf dem islamischen Friedhof am Columbiadamm. Es herrscht Trauer und Wut. Der Vater hatte sich über die Ermittlungsbehörden beklagt. Man sei von Freunden und nicht von den Behörden über den Tod informiert worden. Wenige Tage später besucht der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) die Familie. Wogen glätten.
Die Familie lässt nicht locker. Der Mörder soll gefunden werden. Unterstützung erhält sie in Neukölln reichlich. Schon bei der Beerdigung hatten Vertreter der Linkspartei Plakate hochgehalten: „Rassismus ist ein Verbrechen.“ Auf einem anderen wird die Tat mit dem rechten Terrornetzwerk NSU in Verbindung gebracht. Beweise dafür gibt es nicht.
Die Staatsanwaltschaft setzt eine Belohnung in Höhe von 15.000 Euro für Hinweise aus. Dutzende gehen ein, keiner führt zum Täter. Bis auf die dürre Beschreibung der Opfer (ein 40 bis 50-jähriger, „weißer“ Mann) gibt es wenig bis nichts. Die Ermittlungen stocken.
Auf dem rechten Auge blind?
Dreieinhalb Jahre später: Am 20. September 2015 wird Luke Holland, ein 31-jähriger Engländer, nachts vor einer Bar in der Ringbahnstraße in Neukölln mit einer Schrotflinte erschossen. Am Abend danach wird der 62-jährige Rolf Z. festgenommen, ein Sammler von Waffen und Nazidevotionalien, im Kiez bekannt als Ausländerfeind. Rolf Z. wird später zu elf Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Ob er den völlig arglosen Holland aus Fremdenhass erschoss, bleibt offen. „Das Motiv konnten wir nicht sicher feststellen“, so die Richter in der Verhandlung.
Das Urteil gegen Rolf Z. gibt den Burak-Aktivisten einen neuen Schub: Könnte Rolf Z. nicht auch der Mörder von Burak Bektas gewesen sein? Hat die Staatsanwaltschaft dazu überhaupt ermittelt? Ist die Justiz auf dem rechten Auge blind?
Längst haben sich die Aktivisten vernetzt. Sie haben Kontakt zu Hinterbliebenen der NSU-Opfer aufgenommen. Dazu kommt politische Unterstützung von vielen Seiten. Auch Mehmet Daimagüler ist mit von der Partie. Der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete hat sich als Opferanwalt im NSU-Prozess einen Namen gemacht. Mittlerweile vertritt er auch Familie Bektas aus Neukölln. Ebenso ist er Anwalt des Ehepaars Holland, das zum Prozess aus England angereist war.
Kritik an Ermittlern
Daimagüler sieht Parallelen zu den Morden des NSU. „Das Tatmuster im Fall Burak Bektas erinnert doch frappierend an den NSU“, sagte er. Wieder werde ein rechtsextremes Motiv nur oberflächlich geprüft. Schließlich sei der Name von Rolf Z. auch schon in den Ermittlungsakten aufgetaucht. Doch daraus seien keine entsprechenden Schlüsse gezogen worden, außerdem fänden sich in den Akten keine Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. „Wird wirklich in alle Richtungen ermittelt? Das Gefühl haben wir leider nicht.“
Die Staatsanwaltschaft bleibt zurückhaltend. „Wir tun bis heute alles Mögliche, um den Mord doch noch aufzuklären“, sagt Sprecher Martin Steltner. Selbstverständlich habe man auch ein politisches Motiv geprüft: Nichts! Die Kritik an den Ermittlungen nennt Steltner „grob unfair“.
Der Regierungswechsel im Herbst hat den Grünen-Politiker Dirk Behrendt zum Justizsenator gemacht. Vielleicht könne er Einfluss auf die Ermittlungen zum Fall Bektas nehmen. Für neue Ansätze sorgen. Das Augenmerk auf die rechte Szene lenken. So die Hoffnungen in Neukölln.
Er habe sich über den aktuellen Stand der Ermittlungen berichten lassen, lässt Behrendt eine Sprecherin ausrichten. Auch mit den Anwälten der Angehörigen habe er gesprochen. Es sei eben sehr wichtig, dass alle Ermittlungsansätze berücksichtigt werden. Dennoch: „Der zeitliche Aufwand der bisherigen Ermittlungen lässt allerdings darauf schließen, dass seitens der Staatsanwaltschaft sehr gründlich ermittelt wurde“, heißt es in Behrendts Mitteilung. Es gebe „einfach nichts Neues“, sagt seine Sprecherin.
Was – und natürlich wer – wirklich hinter dem Mord an Burak Bektas steckt, wird hoffentlich noch aufgeklärt. Bis dahin steht zumindest für Ibrahim Arslan fest: „Für uns Migranten ist das ein rassistischer Mord. Das gilt, solange sie uns nicht das Gegenteil beweisen.“ Das sagte er auf einer Veranstaltung des Museums Neukölln vor einem Monat. Arslan ist Hinterbliebener des Brandanschlags von Mölln, als 1992 drei seiner Familienangehörige getötet wurden. Die beiden Täter hatten einen rechtsextremen Hintergrund.