Mordurteil gegen Kudamm-Raser: Richter verhängt erneut lebenslange Freiheitsstrafe
Berlin - Als das Urteil am Dienstagmittag verkündet wird, fängt Hamdi H. an, sarkastisch zu lachen. Er klatscht in die Hände, schüttelt den Kopf. Sein Mitangeklagter Marvin N. starrt vor sich hin – und kaut Kaugummi.
Es bleibt dabei: Hamdi H. und Marvin N., die sogenannten Kudamm-Raser, haben sich des gemeinschaftlichen Mordes, der gefährlichen Körperverletzung und der Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gemacht. Das heißt, die 30 und 27 Jahre alten Männer müssen lebenslänglich hinter Gitter. Das verkündet Matthias Schertz, der Vorsitzende Richter.
BGH hob erstes Mordurteil gegen Kudamm-Raser auf
Hamdi H. und Marvin N. hatten in der Nacht zum 1. Februar 2016 bei einem illegalen Straßenrennen auf dem Kurfürstendamm und der Tauentzienstraße einen unbeteiligten Autofahrer getötet. Mit ihrem Urteil folgt die 32. Große Strafkammer der Forderung des Staatsanwalts. Die Verteidiger hatten bei Hamdi H. auf fahrlässige Tötung, bei Marvin N. auf gefährliche Körperverletzung plädiert.
Es ist das zweite Mordurteil in diesem Fall. Eine erste Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben – weil er das Urteil nicht für ausreichend begründet hielt. Eine Verurteilung wegen Mordes schloss der BGH jedoch nicht aus. Er regte sogar an, das Mordmerkmal der Heimtücke zu prüfen. Und das hat die neue Schwurgerichtskammer getan.
Kudamm-Raser Hamdi H. wollte Marvin N. und Freunden imponieren
Nach Angaben von Schertz hätten die Angeklagten drei Mordmerkmale verwirklicht: Sie töteten heimtückisch, mit gemeingefährlichen Mitteln – ihren hochmotorisierten Fahrzeugen. Und es war Mord aus niedrigen Beweggründen: „für eine „kurzzeitige Befriedigung des Raser-Egos“, sagt Richter Schertz.
Nach seinen Angaben hätten sich die Angeklagten an einer Ampel am Adenauer Platz zu einem Stechen verabredet. Was dann folgte, schildert der Richter so: Hamdi H. verlor mit seinem 224-PS-starken Audi das Rennen bis zur nächsten roten Ampel. Auch bei der von ihm geforderten Revanche über die 270 Meter bis zur nächsten roten Ampel blieb er hinter dem Mercedes von Marvin N., einem 380-PS-Wagen, zurück.
An dieser roten Ampel hielt Hamdi H. aber nicht, sondern gab weiter Gas. Marvin N. ließ sich das nicht gefallen, er wollte seiner Beifahrerin und auch den Freunden, die in der Nähe des KaDeWe warteten, imponieren. „Ampeln interessierten die Angeklagten dabei nicht.“
Richter über Kudamm-Raser: „Ihnen war ein Unfall egal, ein Menschenleben egal“
Hinter der Kurve an der Gedächtniskirche hätten sie dann die 250 Meter entfernte rote Ampel an der Tauentzienstraße/Ecke Nürnberger Straße gesehen. 90 Meter vor dem tödlichen Crash habe Marvin N. erkannt, dass er seinen Wagen noch stoppen könnte. Doch er habe das Rennen gewinnen wollen. Es ist der Zeitpunkt, an dem die Angeklagten nach Überzeugung der Kammer den Tötungsvorsatz trafen.
Sie gaben Gas, rasten auf die rote Ampel zu. Wissend, dass der querende Verkehr Grün hatte. Dabei blendeten sie laut Schertz jedes Risiko aus. „Ihnen war ein Unfall egal, ein Menschenleben egal, ihr eigenes Leben egal. Hauptsache die Motorhaube liegt vorn“, sagt der Richter. Mit Tempo 140 raste Marvin N. in die Kreuzung. Die Tachonadel des Audis von Hamdi H. stand bei 160, als sein Wagen in den Jeep eines 69-Jährigen krachte.
Audi von Hamdi H. war ein „Projektil mit unglaublicher Zerstörungskraft“
Der Arzt im Ruhestand sei arg- und damit auch wehrlos gewesen, als er bei Grün auf die Tauentzienstraße habe einbiegen wollen, sagt Schertz. Der Audi von Hamdi H. sei in diesem Moment zu einen „Projektil mit unglaublicher Zerstörungskraft“ geworden. Der 69-Jährige habe keine Chance gehabt. Sein Jeep sei 70 Meter weit geschleudert worden.
Selbst das Felsenbein des Arztes, der härteste Knochen des Menschen, sei durch die Wucht geborsten. Das Felsenbein breche sonst nur bei schwerster Einwirkung, etwa einem Sprung aus einem Hochhaus, nicht aber bei einem Verkehrsunfall. So habe ein Gerichtsmediziner ausgesagt.
Richter über Kudamm-Raserei: Es hätte noch mehr Menschenleben kosten können
„Klar, dass die Angeklagten den Tod des Mannes nicht wollten“, sagt Schertz. Sie konnten jedoch nicht darauf vertrauen, dass alles gut gehen werde. Sie handelten hochgefährlich und damit mit bedingtem Tötungsvorsatz. „Und die Gefährlichkeit in diesem Fall ist kaum noch zu toppen“, so der Richter. Schließlich habe man es nicht mit einer Dorfstraße, sondern mit der „Hauptschlagader der Hauptstadt“ zu tun.
Laut Schertz sei es ein Zufall, dass die Raserei nur ein Menschenleben gekostet habe. Die Situation sei von den Angeklagten nicht mehr beherrschbar, die Anzahl der Menschen, die sterben könnten, nicht vorhersehbar gewesen. Der Richter verweist darauf, dass der neue Paragraf 315d in diesem Fall nicht greifen würde. Er fülle lediglich eine Lücke zur fahrlässigen Tötung und lasse bei tödlich endenden illegalen Autorennen eine Höchststrafe von zehn Jahren zu. In einem Extremfall wie diesem „Wahnsinnsfall“ sei aber der Tötungsvorsatz stets zu bejahen.
Noch ist das Urteil gegen die Kudamm-Raser nichts rechtskräftig
Innensenator Andreas Geisel begrüßt das Urteil. „Menschen, die unsere Straßen rücksichtslos für ihre selbstsüchtigen Zwecke missbrauchen, müssen die ganze Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen“, sagt der SPD-Politiker. Wenn das Auto zur Waffe werde, müsse der Staat einschreiten.
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Verteidiger von Hamdi H. und Marvin N. haben sofort Revision eingelegt. Damit muss erneut der BGH entscheiden.