Müllberge in Berlin: Müssen hier die Clans übernehmen – wie in Neapel?

Auch wenn die Berliner Stadtreinigung ihre Leistung streikbedingt nicht erbracht hat – zahlen sollen die Bürger trotzdem. Ein Anwalt sagt, was zu tun ist. 

Die Müllcontainer quellen in Berlin über. Grund ist der Streik der Beschäftigten der Berliner Stadtreinigung.
Die Müllcontainer quellen in Berlin über. Grund ist der Streik der Beschäftigten der Berliner Stadtreinigung.Sabine Gudath

Italien galt lange als unordentlicher als Deutschland. Wer allerdings in den vergangenen Jahren im Italienurlaub war, dem wird aufgefallen sein, dass dort nicht nur die Züge viel pünktlicher ankommen als hierzulande, sondern dass sich die Deutschen auch in Sachen Sauberkeit ein Beispiel an den Italienern nehmen können. Galt Neapel vor zehn Jahren noch als dreckigste Millionenstadt Europas – die Bilder von Müllbergen in den Straßen gingen um die Welt –, so präsentiert sich die süditalienische Metropole in diesen Tagen im Vergleich zur deutschen als geradezu reinlich. 

Der Grund für die neue Reinlichkeit auf dem Apennin ist, dass seit einigen Jahren die neapolitanische Camorra die Müllabfuhr organisiert. So weit soll es in Berlin nicht kommen, schließlich streikt ja nur mal kurz die städtische Müllentsorgung BSR. Noch müssen die arabischen Clans in Neukölln nicht eingreifen. Auch wenn die Situation in Berlin sich langsam zuspitzt. 

Ein Blick in die Innenhöfe: Während Papier- und gelbe Tonnen geleert wurden, quillt in der Lottumstraße jetzt nicht nur der Hausmüll aus den schwarzen Tonnen. Nachts haben sich schon die Waschbären über die vielen neben die Container gestellten Säcke hergemacht. Die kleinen Raubtiere haben jeden einzelnen Sack aufgerissen und den Inhalt verstreut. Eine riesige Sauerei, in der jetzt um 7.30 Uhr eine einzelne Nebelkrähe watet.

Vor allem da, wo viel verderblicher Müll anfällt, wird es eklig

In diesen Tagen hat jeder so seine Geschichten zu erzählen. Vor allem in den Innenhöfen und Kellern der großen Wohnanlagen sieht es schon fast so aus wie im Neapel früherer Tage. Besonders schlimm ist es dort, wo viel verderblicher Müll anfällt. Sebastian B. ist Wirt auf der Torstraße. Auch bei ihm türmt sich der Müll im Innenhof. „Die Ratten freut’s“, sagt der Gastronom, „aber für mich ist das ziemlich scheiße, weil die Nachbarn mich jetzt wegen meines Mülls noch mehr auf dem Kieker haben.“

Sonst gehe es immer um die Lautstärke. Jetzt eben um den Gestank in Innenhof und Treppenhaus. „Das zermürbt mehr als laute Musik“, sagt der Wirt. Zum Glück habe die BSR heute eine Sonderabholung angeboten, sagt B. „Jetzt ist zumindest mein Müll abgeholt worden.“ Die anderen Mieter im Haus müssen sich allerdings noch gedulden, denn der Streit zwischen BSR und Verdi geht weiter.

Nur verzögert kann der Müll in Berlin abgeholt werden.
Nur verzögert kann der Müll in Berlin abgeholt werden.Sabine Gudath

Es sind die Folgen der erneuten Streiks von BSR-Beschäftigten innerhalb weniger Wochen, die Hunderttausende Haushalte treffen. Am Montag und Dienstag vergangener Woche wurden die Müllabfuhr, der Sperrmüll-Abholservice und die Straßenreinigung ganztägig bestreikt. Am Freitag waren dann alle Müllabfuhr-Betriebshöfe dicht. Bereits am 9. und 10. Februar hatten die bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Müllwerker ihre Arbeit ruhen lassen. Etwa 700.000 Haushalte waren nach Schätzung der BSR betroffen. Gewerbe- und Gastronomiebetriebe sind in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt.

Wer bei der Hotline der BSR anruft, erhält eine Bandansage: „Wir bemühen uns, die Streikfolgen nach und nach zu beseitigen. Bitte gewähren Sie uns den Zugang zu Ihren Tonnen in den nächsten Tagen. Wir bedauern die Unannehmlichkeiten.“

Rechtsanwalt rät: Anteilige Gebühren einbehalten!

Die Gewerkschaft Verdi fordert für den gesamten öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr Lohn für alle. Beim ersten Warnstreik vor einem Monat blieb der Müll in den Hinterhöfen der Innenstadtgebiete über eine Woche liegen, wurde aber allmählich abgeholt. Ähnlich war es in den Siedlungsgebieten, wo die Müllautos Tage später – aber immerhin – kamen. Pech für all jene, die ihre Mülltonnen wieder reingeräumt hatten. Für ihre Sondertouren bekamen die BSR-Mitarbeiter eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro. Das war ein attraktiver Zuverdienst und entsprechend groß der Arbeitseifer.

Auch dieses Mal werde die erforderliche Mehrarbeit vergütet – nach tatsächlich angefallener Leistung oder pauschaliert, sagt ein BSR-Sprecher. Derzeit werde die BSR nicht bestreikt. Auch die Müllabfuhr und die Straßenreinigung seien im Einsatz.

Wenn der Müll ein paar Tage später geholt wird, mag das für manche BSR-Kunden noch angehen. Aber was ist, wenn ein Abhol-Turnus bereits verstrichen ist? Nach Angaben eines Unternehmenssprechers besteht gemäß Paragraf 14 der BSR-Abfallwirtschaftssatzung kein Anspruch auf Gebührenermäßigung bei streikbedingtem Ausfall von Abfuhren.

Der Sinn eines Streiks besteht darin, ein Unternehmen durch wirtschaftlichen Druck zum Einlenken zu bewegen. Doch der Streik schädigt die BSR, die zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, überhaupt nicht. Denn sie bekommt ohnehin ihre Gebühren.

Der Berliner Rechtsanwalt Marcel Templin hält die BSR-Satzung deshalb für rechtswidrig. Es widerspreche allgemeinen rechtlichen Grundsätzen, wenn man Geld für eine Leistung zahlen solle, die nicht erbracht wurde. Auch nach dem zweiten Warnstreik empfiehlt Templin, den anteiligen Betrag bei der nächsten Rechnung zurückzuhalten. Auch in den Fällen, in denen das Müllauto zwar Tage später durch die Straße eines Siedlungsgebietes fuhr, aber die Mülltonnen bereits wieder zurückgeräumt waren.


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