Müllberge in Berlin: Wie der rot-rot-grüne Senat das Streikrecht unterläuft

Mülltonnen wurden nicht abgeholt. Die Gebühren erstatten will die BSR aber nicht. Ein Rechtsanwalt sagt, was Kunden tun sollten.

Beschäftigte der Berliner Stadtreinigung haben am 9. und 10. Februar gestreikt.
Beschäftigte der Berliner Stadtreinigung haben am 9. und 10. Februar gestreikt.Political-Moments/imago

Der Streik der BSR-Beschäftigten hat die Berliner Stadtreinigung nicht ärmer, sondern offenbar reicher gemacht. Am 9. und 10. Februar hatten die bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Müllwerker im Rahmen eines Warnstreiks ihre Arbeit ruhen lassen. Etwa ein Drittel der Berliner Haushalte blieb nach BSR-Schätzung mit seinem Müll allein.

Wer als Kunde bei der Hotline fragte, wann der liegen gebliebene Müll abgeholt wird, bekam mitgeteilt, dass dieser mit der nächsten turnusmäßigen Leerung geholt werde. Man versuche dann die angefallenen Mehr-Mengen mitzunehmen. Und so quollen in manchen Gebieten der Stadt die Müllcontainer und Müllkübel über.

Wer als BSR-Kunde dann auch noch fragte, ob man die anteiligen Gebühren für die Müllabfuhr zurückerstattet bekommt, erhielt die Antwort: „Nein!“ Auch die ausgefallenen Leistungen der Straßenreinigung werden den Anrainern nicht erstattet.

Während die streikenden Müllwerker den Lohn für die beiden Tage als Streikgeld von Verdi ersetzt bekommen, spart die landeseigene BSR diese Lohnzahlungen, aber behält die Gebührenanteile der Bürger ein.

Viele Hausbesitzer hatten ihre Tonnen wieder reingeräumt

Dies habe der BSR einen erheblichen Vermögensvorteil verschafft, meint zumindest Marcel Luthe, der Gründer und Chef der mit Verdi konkurrierenden Good-Governance-Gewerkschaft. Er hat deshalb am Donnerstag Strafanzeige bei der Polizei gestellt. Nach seiner Rechnung wären, ausgehend von 2,1 Millionen Privathaushalten in Berlin und Leerung von Montag bis Samstag, an den zwei Tagen rund 700.000 Haushalte betroffen. Die durchschnittliche Gebühr betrage 7,25 Euro pro Woche und ergebe also eine Schadenssumme von mehr als fünf Millionen Euro. Die Gewerbekunden sind dabei nicht mitgerechnet.

Wie hoch der Schaden für die Gebührenzahler tatsächlich sein könnte, bleibt derweil unklar. Die BSR war in den vergangenen Tagen dabei, Müll, der durch den Streik liegen blieb, wegzuräumen. Die Mitarbeiter erhalten dafür sogar 300 Euro „Aufräumprämie“. Höhere Lohnkosten entstehen der BSR dadurch nach Angaben eines Unternehmenssprechers wegen des nicht gezahlten Arbeitsentgeltes für die Streikenden nicht.

Aus Köpenicker Siedlungsgebieten etwa, wo alle zwei Wochen die Tonnen abgeholt werden, berichten Anwohner, dass zum Beispiel am Donnerstag der Müllwagen kam und damit also die Leistung, wenn auch mit Verspätung, erbracht wurde. Allerdings hatten da schon viele Einfamilienhausbesitzer ihre tagelang auf den Bürgersteigen stehenden Tonnen wieder hereingeräumt.

BSR-Sprecher: Die Einsatzkräfte bemühen sich, Leistungen nachzuholen

Anders sieht es in Gegenden mit Mehrfamilienhäusern aus. So wird etwa aus Friedenau oder Prenzlauer Berg, wo wöchentlich geleert wird, berichtet, dass sich der Müll um die Tonnen herum häuft. Eine Leerung fiel schlichtweg aus. Wer bei der BSR nach einer anteiligen Gebührenrückerstattung fragte, bekam eine abschlägige Auskunft.

Ein Anspruch auf Gebührenermäßigung bestehe gemäß Paragraf 14 Absatz 1 der BSR-Abfallwirtschaftssatzung bei streikbedingtem Ausfall von Abfuhren nicht, sagt der BSR-Sprecher und fügt hinzu: „Im Interesse unserer Kundinnen und Kunden bemühen sich die Einsatzkräfte von Müllabfuhr und Straßenreinigung jedoch, ausgefallene Leistungen nachzuholen.“

Die Neufassung der Satzung wurde im November vorigen Jahres vom Aufsichtsrat beschlossen und trat einen Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember, mit ihrer Bekanntmachung in Kraft. Danach besteht bei Streik kein Anspruch auf Schadensersatz und Gebührenermäßigung.

Klage gegen BSR-Satzung angekündigt

Der Berliner Rechtsanwalt Marcel Templin hält die Satzung für rechtlich angreifbar. „Das widerspricht sonst allgemeinen rechtlichen Grundsätzen, wenn ich Geld für eine Leistung zahlen soll, die von der anderen Seite nicht erbracht worden ist.“ Er empfiehlt, den anteiligen Betrag bei der nächsten Rechnung zurückzuhalten. Ähnlich sieht es der Anwalt auch in den Fällen, in denen das Müllauto zwar Tage später durch die Straße eines Siedlungsgebietes fuhr, aber die Mülltonnen bereits wieder zurückgeräumt waren.

„Während des Streiks muss die BSR den Streikenden kein Entgelt zahlen“, sagt Templin. „Damit sinken in diesem Bereich die Ausgaben, während die Gebühreneinnahmen gleich bleiben.“

Der Sinn eines Streiks besteht darin, ein Unternehmen wirtschaftlich unter Druck zu setzen und dadurch zum Einlenken zu bewegen – in diesem Fall die BSR, die eine hundertprozentige Tochter des Landes Berlin ist. „Der Senat versucht hier, die Folgen eines Streiks allein auf die Zwangskunden eines Monopolisten abzuwälzen und lässt das Streikrecht so völlig ins Leere laufen“, sagt Gewerkschaftschef Luthe. „Rot-Rot-Grün greift damit die Gewerkschaften direkt an“, sagt Gewerkschaftschef Luthe. Er kündigt an, gegen die Gebührensatzung zu klagen.


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