: Multikulti in Preußen: Wie in Berliner Schlössern mit „Exoten“ umgegangen wurde
Der schwarze Philosoph und Jurist Anton Wilhelm Amo wurde als Kind in Guinea gefangen, nach Amsterdam verschleppt und an einen Königshof verschenkt. Er erfuhr eine exzellente Bildung; seine akademische Laufbahn begann 1727 in Halle/Salle. Dort entstand sein erstes wissenschaftliches Werk: De iure Maurorum in Europa – Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa. Maure setzte er gleich Mohr, so wie es seinerzeit üblich war. Beide Begriffe stehen neutral-sachlich da. Wenn heute mit Eifer der Begriff Mohr negativ zwangsgedeutet wird, so geht das an der Bedeutungsgeschichte vorbei.
Die Präsenz dunkelhäutiger Menschen an europäischen Fürstenhöfen vom ausgehenden 17. Jahrhundert an hat der Historiker Dr. Stephan Theilig in umfangreichen Quellenstudien erforscht und die Identität von 69 dieser Menschen ermittelt (mit Sicherheit gab es mehr). Er fand sie als Individuen in Tauf- und Hochzeitsregistern aufgeführt als „geborene Türken“ oder „Mohren“. Auch er zitiert zeitgenössische Quellen, besagend, dass „zwischen den dunkelhäutigen Türken, Tataren, Asiaten oder Afrikanern selten differenziert wurde“.
Tatsächlich kommt das Wort Mohr vom lateinischen maurus, Maure, und bezeichnete in der Römerzeit die arabisch-berberische Mischbevölkerung Nordafrikas. Die islamischen Eroberer der Iberischen Halbinsel waren Mauren, Spanier und Portugiesen reden heute noch von den Moros. Über Nordafrika liefen Hauptrouten des Sklavenhandels. Den Händlern war die Herkunft ihrer Ware unwichtig. Der Historiker Ulrich von der Heyden, Spezialist für Kolonialgeschichte, sieht den Begriff Mohr als damals gängigen Sammelbegriff für Außereuropäer überhaupt.
Freude an den Fängen
Auffällig viele gelangten nach Schlachten gegen osmanische Heere bei Wien (1683), Ofen (1684/86) und Belgrad (1717) an deutsche Höfe. In Ofen waren 8000 brandenburgische Soldaten beteiligt. In den Kämpfen gab es viele Tote, darunter auch osmanische Frauen und Kinder. Gefangennahmen und Begnadigungen verliefen nicht als romantische Akte. So wurde der zehnjährige Amuzat „nach Massacrierung seiner Eltern pardonnieret“, von einem Offizier in sächsischen Diensten verschleppt und als Diener verschenkt. Die Berliner Chronik berichtet über die Heimkehr der Sieger am 13. Dezember 1687, bei Einzug General Schönings habe man „viel Türken, Türkinnen und sechs Juden“ gesehen.
Von den 69 ermittelten Getauften sind 29 als schwarze Menschen erkenntlich, darunter drei Frauen. Nur für fünf gibt es Herkunftshinweise, am klarsten für Ebnu: ein „guineischer Negerknabe“, der über einen Hamburger Zwischenhändler nach Berlin gelangte. Zwei weitere, getauft am 18. Juli in der Potsdamer Garnisonskirche, kamen über Londoner Zwischenhändler nach Brandenburg-Preußen. Sie erhielten die Namen Adrian Pamphiloff und Wilhelm Mercurius und dienten als Mohrenpfeifer. Zwei weitere kamen nachweislich aus Surinam.
Die Herkunft der anderen bleibt Spekulation – so wie auch die Geschichte von sechs Musikern (Mohrenpfeifern), die von der Niederländisch-Westindischen Compagnie als Ausgleichszahlung für die Überlassung der brandenburgischen Kolonie und Festung Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana erbracht worden sein sollen. Das Afrika-Abenteuer, 1683 begonnen, hatte man nach 34 Jahren abgebrochen. Die Legende von diesen Musikern wird zwar immer wieder von politisch interessierten Seiten kolportiert, aber in den Akten hat der Forscher Stephan Theilig keine Spur von ihnen gefunden.
Ebenso wenig gibt es Belege dafür, dass sich Brandenburg-Preußen mit schwarzen Leibeigenen aus Groß Friedrichburg versorgte. Gleichwohl blieb der Wunsch riesig, es anderen Höfen in Sachen exotischer Ausstattung gleichzutun. Daher die Freude an der Beute aus den Schlachten gegen die Osmanen, in deren Armeen auch schwarze Soldaten dienten. Im übrigen schaute sich der Hof in Berlin auf den Sklavenmärkten in Amsterdam und London um. So berichten die Quellen von Versuchen Friedrich Wilhelm I., des Soldatenkönigs, kostengünstige Mohren als Staffage für seine Armee, sehr gerne für seine Garde der „Langen Kerls“, zu erlangen. Am 8. Mai 1728 schrieb er in einem Brief, sein Gesandter in London solle „nach anliegendem Maßband einige junge Mohren kaufen (wobei sie natürlich größer und nicht kleiner sein können). Sie müssen so jung sein, dass sie noch wachsen werden.“
Bildung für die Gekauften
Ein einziger wurde ersteigert. Der König bestätigte: „Der annoncierte Mohr ist in Potsdam eingetroffen, und recht gut.“ Interesse an stattlichen Schwarzen zeigte auch dessen Sohn, Friedrich II.; Protokolle belegen Kauf, Transport, Verpflegung etc. zweier junger Mohren. 775 niederländische Gulden zahlte er – eine wertvolle Erwerbung. Entsprechend pfleglich ging man mit den Jungen um.
Leibeigenschaft betraf zu jener Zeit in Preußen etwa drei Viertel der Bevölkerung (endgültige Aufhebung 1810). Im Vergleich zu den lokalen Knechten und Mägden gerieten die Erbeuteten und Gekauften in günstige Umstände. Man betrieb Aufwand, um aus ihnen das Gewünschte zu formen: Sie lernten lesen, schreiben, rechnen und erhielten Religionsunterricht. Ein bis drei Jahre vergingen bis zur Taufreife. Stephan Theilig fand in den Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin Hinweise auf Instruktoren, die am Hofe für „Türken, Mohren und Zwerge“ zuständig waren.
Offene Wege in die Gesellschaft
Am Ende stand ein repräsentativer Taufakt, oft mit Paten von Hof und Militär. In besonderen Fällen übernahmen König, Königin sowie Erzbischof die Patenschaft. Der Sinn liegt auf der Hand: Die Herrschaft zeigte ihr Werk vor. Für den Getauften öffnete sich der Weg in die Gesellschaft. Die Aufnahme erfolgte in einer Großzügigkeit und Offenheit, die heute überrascht. Heiraten mit Einheimischen stand nichts im Wege. Selbst wer leibeigen blieb, durfte mit gutem Lebensstandard rechnen. Mancher bezog ein Gehalt, das ihn über viele Einheimische hinaushob.
Den schwarzen Leuten gedachte Preußen für gewöhnlich eine Laufbahn als Militärmusiker zu, sie blieben Eigentum von Kurfürst bzw. König. Die Monarchen erfreuten sich ihrer als Mohrenpfeifer oder -tamboure. Sie sollten aussehen, wie man sich das Exotische vorstellte.
Wie aber ist die ausufernde Freude am Fremden zu verstehen, die im 18. Jahrhundert erblühte bevor sie in das Gegenteil umschlug: in nationalistischen Dünkel und rassistische Überheblichkeit? Zunächst genoss man es, den muslimischen Erbfeind vermeintlich für alle Zeit aus dem Felde geschlagen zu haben. Man gönnte sich Großzügigkeit. Zugleich drängte die beginnende Aufklärung die Frömmigkeit zurück. Auf schwärmerische Weise entstand Bereitschaft, sich der Welt zu öffnen. Mit Exotischem distinguierte man sich vom Alten. Orientalisieren war schick. Und teuer. Also noch schicker. Seine wahrhaft preußische Form fand das bei den „Langen Kerls“, für deren Rekrutierung man selbst auf die Taufe verzichtete. Für muslimische Gardisten tatarischer Herkunft ließ der Soldatenkönig einen Gebetsraum einrichten – 1731!
Frei von Halsband und Ohrring
Zum anderen entwickelte sich eine neue Form der Militärmusik. Den schwarzen Künstlern wies man Instrumente zu, zum Beispiel Trommeln, Pauken sowie diverse Blasinstrumente, die aus der osmanischen Tradition kamen. Das machte Eindruck. Die folkloristisch ausstaffierten Gruppen hießen nach den osmanischen Elite-Einheiten Janitscharenkapellen. Die schwarzen Musiker nahmen hier eine hohe Stellung ein. Sie trugen auch nicht mehr die einst für Kammermohren üblichen Zeichen silbernes Halsband sowie Ohrring.
1724 musizierten allein in Potsdam 30 Mohren, darunter 15 als Querflötenpfeifer im Königsregiment. 1724 gründete der Soldatenkönig eine Militärmusikschule, die neben den Mohren auch einheimische Knaben ausbildete. Die Quellen berichten laut Stephan Theilig nicht von unterschiedlicher Behandlung – und wenn, dann seien die schwarzen Jungen besser gekleidet gewesen als die anderen – meist Waisenknaben.
Die exotischen Musiker waren bei Bürgern in Potsdam einquartiert wie seinerzeit für Militärs üblich. In Berlin gab es für sie eigens ein Haus in der Mohrenstraße. Doch geht der Straßenname nicht auf die Musiker zurück. Er ist älter. Die Berliner nannten den Sandweg außerhalb der Bollwerke so, weil in einem dort gelegenen Gasthof im Jahr1684 vier Monate lang westafrikanische Gesandte unter Führung ihres Häuptlings Jan Jancke logierten. Sie suchten das Wohlwollen des Kurfürsten. Für die damals rund 10.000 Berliner muss ihr Anblick eine Sensation gewesen sein. So erinnert der Name zweifach an besondere Berliner und einen differenzierten Umgang mit dem Außergewöhnlichen.
Stephan Theilig, Türken, Mohren und Tataren. Muslimische (Lebens-) Welten in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert Frank&Timme Verlag, Berlin 2013.