Geschäfte am Telefon: Muriel, Playmobil und das Verlustkapital
Wer nicht gerne im Homeoffice arbeitet, ist über jeden menschlichen Kontakt froh. Man ertappt sich sogar dabei, Fremden zuzuhören.

Dieser Tage bekam ich einen Anruf aus England. Ich weiß das, weil das unter der unbekannten Nummer auf dem Telefondisplay stand. Eigentlich bin ich nur rangegangen, weil ich dachte, es sei der Service des Urlaubsbuchungsportals. Die rufen auch immer aus England an, was eine Erleichterung ist, denn die freundlichen Servicemitarbeiter von der deutschen Hotline sprechen meist mit einem solch starken Akzent, dass man sie nicht versteht. Dann lieber gleich auf Englisch, und alles ist gut.
Es war aber nicht das Urlaubsbuchungsportal, es war Muriel. Falls ich den Namen richtig verstanden habe. Muriel wollte mir etwas über den europäischen Kapitalmarkt erzählen. Vermutlich haben sie in Großbritannien nach dem Brexit jetzt den richtigen Durchblick in diesen Angelegenheiten. Den überlegenen Überblick von außen sozusagen.
Ich hörte erst mal zu. Es war Montagnachmittag und draußen grau, ich saß im Homeoffice, weil die Berliner Zeitung umzieht und wir Redakteure alle zu Hause zwischengelagert sind. Es war langweilig, und Muriel hatte eine sehr angenehme Stimme. Sie war sichtlich beglückt, dass ich nicht gleich auflegte, und erzählte fröhlich los. Das mit dem „fröhlich“ meine ich wörtlich.

Es gibt Stimmen, denen lausche ich so gern, dass ich gar nicht mitbekomme, was die Person eigentlich sagt. Eine Kollegin von uns, die ich aus nachvollziehbaren Gründen jetzt nicht näher beschreiben kann, hat eine so angenehme Stimme, dass meine Telefonate mit ihr immer viel länger dauern. Ich sage nur „hm“ und „ha“ und hoffe, dass sie einfach erzählt. Es klappt meistens.
Mit Muriel funktionierte es auch. Allerdings machte sie irgendwann eine Pause. Das war wohl der Moment, wo ich mein Interesse – an was noch gleich? – bekunden sollte. Ich riss mich aus meiner Dämmerlauschphase und sagte, dass ich keine Geschäfte am Telefon mache. Was stimmt, in ihrem Fall hatte ich aber schlicht nicht kapiert, worum es ging. Das lag jetzt nicht unbedingt an der englischen Sprache. Ehrlich gesagt habe ich das letzte Mal ein Anlagemodell begriffen, als all unser Kapital sicher in Playmobil angelegt war. Nein, ich meine nicht Aktien, sondern die Schachteln mit dem Plastikspielzeug. Meine Kinder waren verrückt danach.
Später habe ich versucht, das ganze Zeug wieder zu verkaufen und Nachmittage damit verbracht, kleine blaue Plastikeimer und winzige Plastikmöbel und -werkzeug zusammenzusuchen, damit ich auf Ebay keine schlechte Bewertung bekam, weil irgendwas davon in der 1000-teiligen Schulgebäudeschachtel fehlte. Seitdem weiß ich, was Verlustkapital ist. Ich habe mich aber nicht getraut, Muriel davon zu erzählen. Wir verabschiedeten uns freundlich. Morgen rufe ich vielleicht mal die Kollegin an.