Berlin ist möglicherweise auf dem Weg zu einer Blamage, die noch das BER-Desaster in den Schatten stellen dürfte. Drei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl am 18. September gibt es offenbar immer noch so schwerwiegende Mängel bei der Organisation, dass eine ordnungsgemäße Wahl in Frage steht. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh machte die Mängel in der Wahlvorbereitung am Samstagnachmittag zum koalitionsinternen Wahlkampfthema und griff den für die Wahldurchführung zuständigen Innensenator Frank Henkel (CDU) scharf an.
„Herr Henkel muss endlich aufwachen und auch wenigstens einmal persönlich handeln,“ erklärte Saleh und begab sich damit in den Duktus der Opposition, die Henkel immer wieder persönliche Untätigkeit in wichtigen Fragen seines Ressorts vorgeworfen hat. „Die Senatsverwaltung für Inneres verschläft dieses so wichtige Thema und wirkt völlig überfordert,“ urteilte der SPD-Fraktionschef. „Dazu kommt, dass die von der Innenverwaltung übers Knie durchgedrückte Softwareumstellung die demokratieprägenden Wahlen gefährdet.“
Der Vorwurf, dass der Koalitionspartner demokratische Wahlen gefährde, ist starker Tobak und lässt auf schlechte Stimmung in der Koalition im beginnenden Wahlkampf schließen. Saleh zeigte sich „ernsthaft besorgt“ über das drohenden Scheitern einer ordnungsgemäßen Wahldurchführung im September.
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Anlass ist ein Brief, den Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach an die Innenstaatssekretäre Andreas Statzkowski und Bernd Krömer (beide CDU) gerichtet hat und der der Berliner Zeitung vorliegt. Hatte die Innenverwaltung vor 14 Tagen auf Anfrage noch mitgeteilt, aufgetretene Probleme mit einer neuen Wahlsoftware und der IT-Infrastruktur seien rechtzeitig lösbar und die Wahl werde mit Sicherheit ordnungsgemäß stattfinden, widerspricht die Landeswahlleiterin in ihrem warnenden Schreiben vom 10. Juni deutlich.
Die für die Durchführung zuständigen Wahlämter der Bezirke hätten ihr mitgeteilt, dass es nach wie vor gravierende Mängel in der Wahlsoftware gebe. Das IT-System reagiere insgesamt bei der Ausstellung der Wahlscheine zu langsam, die Wählerverzeichnisse könnten nicht rechtzeitig und korrekt gedruckt werden, die Wahlscheine enthielten teils fehlerhafte Angaben und der Massenausdruck von Wahlunterlagen sei noch gar nicht getestet worden. Außerdem seien bei der letzten Probewahl Datensätze vermischt worden oder unvollständig gewesen, schreibt die Wahlleiterin.
Kritik: Der Zeitplan ist zu knapp
Ihr Problem ist, dass sie zwar für die Durchführung der Wahl letztlich verantwortlich ist, sich dabei aber auf die IT-Unterstützung des Landesamtes für Ordnungs- und Bürgerangelegenheiten (Labo) verlassen muss. An der ebenfalls bei Innensenator Frank Henkel (CDU) angesiedelten Schwesterbehörde übt Michaelis-Merzbach in dem Schreiben deutliche Kritik. Das Labo habe zwar einen Plan zur Mängelbehebung in der Wahl-IT vorgelegt, aber dieser sei nicht detailliert genug und vor allem viel zu langsam. „Wenn erst Mitte Juli – drei Wochen vor dem Echteinsatz der Software – festgestellt wird, dass Komponenten nicht funktionieren, bleibt für Fehlerbehebung keine Zeit“, warnt die Wahlleiterin.
Sie verlangt die sofortige Einsetzung eines runden Tisches aller beteiligten Verwaltungen, zu denen auch der zentrale Informationstechnikdienstleister Berlins (ITDZ) gehört. Dieser hat die Betriebsverantwortung für die zentralen Server und Datenbanken der Behörden und druckt außerdem die Wahlbenachrichtigungen. Außerdem müsse die Berliner Softwarefirma HSH, die die Wahlsoftware VOIS entwickelt hat, stets dabei sein, weil das Labo nach Auffassung der Wahlleiterin nicht in der Lage sei, die IT-Mängel selbst zu beheben. „Eindringlich“ bittet Michaelis-Merzbach die beiden Staatssekretäre im Hause Henkel, „beim Labo zu veranlassen, dass die genannten Maßnahmen umgesetzt werden“.
Offenbar macht sich die Wahlleiterin ernsthafte Sorgen um den Wahltermin, denn üblicherweise werden Probleme zwischen Abteilungen innerhalb einer Verwaltung auf der Fachebene und nicht über warnende Schreiben an die politische Hausspitze adressiert. Hinzu kommt, dass immer noch Wahlhelfer fehlen und die rechtzeitige Anmeldung von Neuberlinern auf den Bürgerämtern der Bezirke trotz einiger Beschleunigungsmaßnahmen immer noch nicht rund läuft, was eine ordnungsgemäße Wahlteilnahme in Frage stellt und damit Klagen gegen die Wahldurchführung zur Folge haben kann.
"Die Wahl ist nicht gefährdet"
Der Grünen-Landesvorsitzende Daniel Wesener erklärte, das Berliner Bürgerämter-Chaos sei schon schlimm genug. „Sollte es wirklich so weit kommen, dass in Berlin erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg keine freien und geheimen Wahlen stattfinden können, haben SPD und CDU jede Legitimation verloren, unsere Stadt zu regieren,“ folgerte Wesener. Es sei symptomatisch für die große Koalition, dass sie nun sogar vor wiederkehrenden Aufgaben wie der Organisation einer Wahl zu scheitern droht.
Ein Sprecher von Innensenator Henkel erklärte: „Die genannten Punkte sind bekannt. Wir nehmen sie sehr ernst und arbeiten an der Lösung der Probleme. Dazu haben wir einen Zeit- und Maßnahmenplan erarbeitet, der jetzt Punkt für Punkt abgearbeitet wird, um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu garantieren. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September ist nicht gefährdet."