Nachtzüge ab Berlin: Warum der Ausbau des Netzes ins Stocken gerät
Nachtzüge gelten als klimafreundliche Alternative zum Flugzeug. Doch für Berlin kommt erst einmal nur ein weiteres Ziel hinzu. Neue Projekte verzögern sich.

Gut fürs Klima, gemütlich und ohne Flughafenstress: Nachtzüge sind eine Alternative zum Flugzeug. Jetzt wird das Berliner Streckennetz zumindest ein Stück größer. Vom 12. Juni an fährt der Nightjet, der heute in Wien endet, darüber hinaus nach Graz. „Mit der neuen Verbindung binden wir die Steiermark noch stärker an das Nachtzugnetz an“, sagt Bernhard Rieder, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Doch andere Projekte sind ins Stocken geraten. Aktuelle Informationen belegen, dass die Schaffung neuer Routen schwieriger als erwartet ist. Was wird nun aus den Plänen des Senats?
„Wir wussten, dass es nicht einfach wird“, sagt Chris Engelsman von European Sleeper. Aber dass es so komplex ist, eine neue Nachtzugverbindung zu schaffen, hätte er nicht erwartet. Der Bahn-Enthusiast und seine Mitstreiter haben europaweit viel Aufmerksamkeit bekommen, aber auch Geld und andere Formen der Unterstützung.
2019 hoben die Niederländer den Jazz Night Express aus der Taufe, der mit Live-Musik an Bord von Rotterdam nach Berlin fuhr. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet das Team nun daran, Nachtzüge als reguläres Angebot einzurichten. Die erste Strecke soll Belgien und die Niederlande mit Berlin und Prag verbinden. Doch es geht nur langsam voran.
Noch kein konkreter Termin für neue Verbindung
Nach zwei vergeblichen Anläufen möchte das Unternehmen jetzt nicht mehr mitteilen, wann der Betrieb beginnt. „Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, werden wir erst dann wieder einen Termin bekannt geben, wenn wir ganz sicher sind, dass es klappt“, hat Engelsman jetzt der Berliner Zeitung mitgeteilt. So viel sei klar: Anders als zuletzt erhofft, werde es auch in den kommenden Wochen mit dem Start nicht klappen.
„Leider hat sich herausgestellt, dass es nicht möglich ist, den neuen Nachtzug zwischen Brüssel, Amsterdam, Berlin und Prag im Sommer 2022 zu starten“, so die offizielle Mitteilung. Die Hoffnung bleibe, dass die Premierenfahrt in diesem Jahr stattfindet, heißt es. Das Datum oder auch nur die Jahreszeit sind derzeit aber nicht zu erfahren.
Dabei konnte European Sleeper eine wichtige Hürde bereits im vergangenen Sommer nehmen. „Der Fahrplan steht fest, nicht nur für 2022, auch für 2023“, bestätigt Engelsman. In mühevoller Kleinarbeit wurde mit den nationalen Schienennetzbetreibern festgelegt, wann der Zug fahren kann.
Der abgestimmte Fahrplan sieht vor, dass die Fahrt montags, mittwochs und freitags um 19.22 Uhr im Bahnhof Bruxelles Midi/Brussel Zuid beginnen wird. Nach Stopps unter anderem in Antwerpen, Rotterdam, Den Haag und Amsterdam geht es im Nachtsprung nach Berlin (5.52 Uhr), Dresden und Prag. Von dort soll es dienstags, donnerstags und sonntags zurückgehen. Die Abfahrt im Berliner Hauptbahnhof ist für 23.05 Uhr vorgesehen, die Ankunft in Brüssel für 9.54 Uhr.
„Die Ankunft in Berlin ist ziemlich früh, aber ansonsten sind wir mit dem Fahrplan glücklich“, sagt der Niederländer. Was andere Dinge anbelangt, sei allerdings immer noch viel zu tun. Bei dem Nachtzugprojekt fühle er sich, als säße er vor einem großen Puzzle. Alle Teile des Legespiels sind da und liegen auf dem Tisch, aber es brauche mehr Zeit als erwartet, sie zu einem attraktiven Ganzen zusammenzufügen.

Das tschechische Bahnunternehmen Regiojet arbeitet mit European Sleeper zusammen. Es soll außer dem Servicepersonal auch die Wagen des geplanten Ost-West-Nachtzugs stellen. Berichten zufolge konzentriert sich Regiojet in diesem Sommer aber unter anderem auf die Saisonverbindungen an die Adria, was sich darauf auswirke, wie viele Wagen für andere Strecken verfügbar sind – nicht allzu viele.
Werden auch Schlafwagen von Brüssel und Amsterdam nach Berlin fahren?
Das rollende Material sei eines von mehreren Themen, bestätigt European Sleeper. „Wenn auch nicht das Hauptthema“, wie Chris Engelsman sagt, ohne ins Detail zu gehen. Die Zugkompensation sei noch nicht final festgelegt. Das betreffe auch die Frage, ob Schlafwagen mitgeführt werden oder nicht. Für Beobachter ist das ein wichtiger Aspekt, weil sich damit höhere Einnahmen erzielen ließen als mit Liege- und Sitzwagen.
Immerhin: In einer aktuellen Mitteilung an die Berliner Zeitung hat sich Regiojet erneut zum Projekt European Sleeper bekannt. „Wir sind weiterhin daran interessiert, die Strecke zu betreiben“, sagt Sprecherin Tereza Ptáčková in Prag. Allerdings stehe der Starttermin noch nicht fest. „Im Moment haben wir andere Projekte priorisiert, die wir in naher Zukunft schrittweise starten werden“, so das Bahnunternehmen.
Österreichische Bahn kann noch nicht bestätigen, ob Zug Berlin–Paris fährt
„Gleiches gilt für die Strecke Berlin–Ljubljana/Zagreb“, heißt es weiter. Wie berichtet sollte ein weiterer neuer Nachtzug ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2022 die deutsche mit der slowenischen und der kroatischen Hauptstadt verbinden. Geplant war, dass er unterwegs unter anderem in Wien sowie Graz stoppt – eine Konkurrenz zum ÖBB-Nightjet. Doch die jüngste Mitteilung aus Prag lässt sich so deuten, dass die angekündigte Verbindung in den Süden erst mal nicht kommt.
Und was wird aus dem geplanten Nightjet von Berlin nach Brüssel und Paris, dessen Start von den Österreichischen Bundesbahnen zuletzt für Dezember 2023 angekündigt wurde? Auf Nachfrage bleibt das Unternehmen vage.
„Die Strecke von Berlin nach Brüssel und Paris ist weiterhin vorgesehen, die Verbindungen sollten täglich angeboten werden. Der finale Zeitpunkt kann aber von uns noch nicht bestätigt werden“, sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Die Planungen seien „weiterhin sehr intensiv. Wichtig für uns ist jedoch, dass dann auch alle Beteiligten als vollwertige Partner hinter diesem Projekt stehen“. Die Aufnahme neuer Strecken ins Netz werde rund ein Jahr vor Betriebsbeginn bekannt gegeben, so Rieder. In diesem Fall also erst Ende 2022.
Ungewiss ist, ob der bestehende Nachtzug, der Berlin, die Kopenhagener Hauptstadt-Region, Malmö und Stockholm verbindet, 2023 wieder fährt. Noch bis zum 24. September ist Snälltåget täglich mit Sitz- und Liegewagen auf dieser Route unterwegs. Doch Transdev möchte sein schwedisches Unternehmen verkaufen – womit auch die Zukunft des Berlin-Zuges unsicher ist. „Wer weiß, ob der neue Betreiber noch Interesse am Auslandsgeschäft hat“, so der Bahnexperte Sebastian Wilken („Train Tracks“-Blog).
Europaweites Netzwerk gründet in Berlin deutschen Ableger
Es gibt nicht genug Wagen, für die Nutzung von Strecken und Stationen fallen hohe Gebühren an, unterschiedliche nationale Regelungen erschweren internationalen Zugverkehr: Fachleute nennen viele Gründe, warum der Ausbau des Nachtzugnetzes so langsam vorangeht. Wie berichtet hat der Berliner Senat eine Machbarkeitsuntersuchung vorgestellt, wonach Berlin Drehkreuz eines europäischen Nachtzugnetzes werden soll. Doch Beobachter sind skeptisch, ob die ambitionierten Ideen jemals Realität werden.
Das europaweite Netzwerk „Back on track“ setzt sich dafür ein, die Barrieren abzubauen. Jetzt wird es auch in Deutschland einen Ableger bekommen, wie Peter Cornelius und Patrick Neumann, Gründungsmitglieder des Vereins, in Berlin mitgeteilt haben. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die deutsche Öffentlichkeit über die Möglichkeiten zur Bewältigung der Klimakrise durch attraktivere Nachtzüge zu informieren“, heißt es.
So viel steht fest: Wo es gute Angebote gibt, werden sie angenommen. Der Nightjet zwischen Zürich und Hamburg/Berlin wird gut genutzt – sehr gut sogar, wie es bei der ÖBB heißt. „An einigen Tagen wird es bereits eng“, sagt Bernhard Rieder. Dem Vernehmen nach sind die Schlafwagen oft ausgebucht. Rieder: „Wir planen, ab Dezember 2022 die Kapazität etwas zu erhöhen. Die Planungen sind aber noch nicht abgeschlossen.“