: Nachtzug nach Berlin: Betreiber denkt über neue Routen nach
Berlin - Von den Berliner Winterferien kann Norman Kellermann nicht mehr profitieren, weil er inzwischen in Wien lebt. Sie bereiten ihm aber trotzdem Freude. Denn die Skiurlaubszeit hat dem Nachtzug, der Berlin mit der Schweiz verbindet, viele Fahrgäste beschert – und Kellermann ist als Fachbereichsleiter bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) für diesen Zug zuständig. „Zum Ferienbeginn war er nahezu ausgebucht“, berichtet er.
Im Dezember haben die Österreicher mehrere Nachtrouten von der Deutschen Bahn (DB) übernommen – doch die Zürich-Verbindung, die aus zwei Strecken neu gebildet wurde, stimmt sie besonders heiter. Jetzt zog die ÖBB eine erste Bilanz.
„Von unseren 15 Nightjet-Linien wird die Verbindung Hamburg–Berlin–Zürich am stärksten gebucht“, sagt Projektmanager Erwin Kastberger. Die beiden größten deutschen Städte liegen an der Route, und die Schweizer sind eifrige Bahnnutzer. Weihnachten war im Euronight 471 kein Bett, keine Liege, kein Sitzplatz mehr frei, alles ausgebucht. Dabei ist der Zug lang: Jeden Abend gehen bis zu drei Schlafwagen, vier Liege- und vier Sitzwagen auf die Reise. „Wir sind zufrieden“, so Kastberger. Die Fahrgäste offenbar auch.
„Wir schreiben schwarze Zahlen“
Reisen im Nachtzug: Das kann eine Strapaze sein, aber durchaus auch ein Genuss. Ein eigenes Abteil im Schlafwagen, in dem man sich nach einem Schlummertrunk ungestört in ein frisch bezogenes Bett zurückziehen kann – für manche ist dies der Inbegriff von Reisekultur. In einer Stadt einschlafen und am Morgen in einer anderen aufwachen: Früher war diese Art der Fortbewegung auf Langstrecken die Regel. „Heute ist der Nachtzugverkehr ein Nischenprodukt“, sagt Kellermann.
Für die meisten Menschen ist der Nachtzug keine Option. Zu viele Verbindungen wurden schon eingestellt, auch nach Berlin. Oft ist Fliegen billiger. Kein Wunder: Bei Flugtickets ins Ausland wird keine Mehrwertsteuer fällig – bei Bahntickets der volle Steuersatz von 19 Prozent. Während Flugbenzin steuerfrei ist, zahlt die Bahn Steuern für Strom und Diesel. Auch Busse sind im Vorteil: Sie sind von der Autobahnmaut befreit. Zugbetreiber müssen hohe Gebühren für die Nutzung der Trassen zahlen, was zum Aus der DB-Nachtzüge von Berlin nach Paris und Kopenhagen beigetragen hat.
Schwierige Lage für die Mitarbeiter
Bei der DB heißt es, dass Nachtzüge mit Schlaf- und Liegewagen bei einem Jahresumsatz von 90 Millionen Euro zuletzt 31 Millionen Verlust eingefahren hätten. Kaum ein Bahn-Manager fuhr Nachtzug.
Bei der ÖBB ist das anders. Kellermann: „Wir schreiben mit den Nightjets schwarze Zahlen“ – die Rede ist von einem „ordentlichen bescheidenen Gewinn“. Die Österreicher glauben an den Nachtzug. In ihrer Ökonomen-Sprache heißt das: „Er ist ein stabiles alternatives Produkt in der Langstreckenmobilität.“ Deshalb haben sie von der DB 42 Schlaf- und 15 Liegewagen gekauft, die aufgemöbelt werden. 40 Millionen Euro werden investiert.
Für die DB-Zugbetreuer war die Lage schwieriger. Ein Wechsel zum ÖBB-Partner Newrest kam für die meisten der rund 350 Beschäftigten nicht in Frage. Die Bezahlung sei schlechter, die Konditionen seien auf österreichische Gesetze abgestimmt, hieß es. Wer nicht freiwillig ging, musste zur Beschäftigungsgesellschaft DB Jobservice und Lohneinbußen von bis zu 30 Prozent hinnehmen. „Bei der Newrest ist das Grundgehalt ist niedriger, aber es gibt viele Zulagen. Sozialdumping wird nicht betrieben“, so die ÖBB.
Frühstück zum Ankreuzen
Auch Kellermann reist mit dem Nachtzug. „Beim Fliegen kann man schon lange nicht mehr von entspanntem Reisen sprechen“, sagt er. Die Wartezeiten am Flughafen stressen. Nervig sei auch das zeitige Aufstehen, wenn man einen Frühtermin hat: „Dann ist eine Anreise mit dem Nachtzug besser, weil ich ausgeruhter ankomme und schneller im Stadtzentrum bin.“ Für die Fahrt in den Urlaub könne er ebenfalls eine gute Option sein: „Mit der Familie im Liegewagenabteil zu reisen ist ein echtes Erlebnis, für kleine Kinder ist das besonders schön.“
Und morgens gibt es Frühstück – das man sich als Schlafwagen-Fahrgast per Ankreuzen auf einer Speisekarte selbst zusammenstellen kann. Zum Beispiel grünen Tee, Fruchtjoghurt mit Cerealien, Brötchen, Bio-Käse aus dem Salzburger Land.
Die ÖBB will diese Form der umweltfreundlichen Elektromobilität ausbauen. Für einen dreistelligen Millionenbetrag kauft sie neue Nachtzüge. Kastberger: „Das gibt uns Spielraum für Erweiterungen des Angebots“ – in Form von neuen Zielen und Routen, auch in die deutsche Hauptstadt. „Selbstverständlich haben wir Berlin auf dem Schirm. Wir prüfen, auf welchen Relationen es genug Nachfrage gäbe.“
Berlin–München, auf der einst gut genutzte Nachtzüge verkehrten, werde aber nicht dabei sein. Für diese Strecke braucht der ICE ab Dezember nur rund vier Stunden. Wer würde da noch Nachtzug fahren?