Namibische Herero- und Nama-Stämme: Charité gibt Gebeine von Kolonialopfern zurück
Berlin - Die Charité hat am Mittwoch die sterblichen Überreste von 21 Namibiern an das National Heritage Council des südwestafrikanischen Staates übergeben. Erst eine halbe Stunde vor der Zeremonie öffnete das Auswärtige Amt die Veranstaltung für die Öffentlichkeit. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen hatten die „strenge Geheimhaltung“ im Voraus scharf kritisiert.
Der namibische Jugend- und Kulturminister Jerry Ekandjo bezeichnete die Ermordung Zehntausender Namibier unter deutscher Kolonialherrschaft als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ und die Überführung von Knochen zu Forschungszwecken als „rassistisch motivierte Verbrechen“. „Die Vergangenheit zu ignorieren wird sie nicht ungeschehen machen“, sagte Ekandjo. Er bedankte sich bei der Charité für die vorbildliche Zusammenarbeit und forderte von anderen Institutionen in Deutschland die Rückgabe aller verbliebenen namibischen Gebeine.
Namibia war als „Deutsch-Südwestafrika“ von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie. Als die Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft rebellierte, gab der zuständige Generalleutnant Lothar von Trotha 1904 den Befehl: „Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen.“ Zehntausende Herero und Nama wurden in die Wüste getrieben, verdursteten dort oder wurden bei ihrer Rückkehr getötet. Für vornehmlich rassistisch motivierte Forschungen wurden afrikanische Knochen aus der Kolonialzeit nach Deutschland gebracht – auch aus der Zeit vor dem Massenmord. Wie viele davon genau in deutschen Museen, Stiftungen und Privathaushalten noch lagern, ist unbekannt.
Charité-Chef Karl Max Einhäupl entschuldigte sich für die Verbrechen, die mit der Entweihung der Knochen im Namen der Forschung begangen wurden. Der Afrikabeauftragte des Auswärtigen Amtes Egon Kochanke vermied in seiner Rede hingegen wie erwartet eine Entschuldigung sowie das Wort „Völkermord“. So hielt es bei der ersten Übergabe von Gebeinen im Jahr 2011 auch die damalige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper. Während Pieper einen Buh-Sturm erntete, protestierten viele der Anwesenden dieses Mal still und hielten Plakate mit Aufschriften wie „Apologise Now“ („Entschuldigt euch jetzt!“) in die Höhe. Minister waren, damals wie heute, nicht anwesend.
Ein regelrechter Sammelwahn
„Es reicht nicht nur die Kolonisierung und der Völkermord, bei der Rückgabe der Gebeine wird man auch noch verhöhnt“, sagt Jürgen Zimmerer, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. So würden es Angehörige der Völker Herero und Nama empfinden, die in der Zeit von 1904 bis 1908 vor allem Ziel des deutschen Vernichtungsbefehls waren. Man gehe davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der Herero in dieser Zeit umgekommen sind. Das Vorgehen der Politik wie im Jahr 2011 sei „skandalös“ und werde den Opfern nicht gerecht.
Die sterblichen Überresten, die am Mittwoch von der Charité übergeben wurden, stammen von zwölf Frauen, sieben Männern und zwei Kinder. Die Schädel und Skelette stammen laut Andreas Winkelmann, Leiter des Forschungsprojektes Human Remains an der Charité, aus den Jahren 1898 bis 1913. Verschiedene Afrika-Reisende brachten sie nach Deutschland, darunter Ärzte, Kolonialbeamte sowie Grabräuber. In Berlin landeten die Knochen damals vor allem im Museum für Völkerkunde und der Berliner Universität. Zur selben Zeit sei die Anthropologie als wissenschaftliches Fach erstmals etabliert worden, erklärt Winkelmann. „Damals brach ein regelrechter Sammelwahn aus.“
Die geografische Zuordnung der Knochen stellte die Wissenschaftler vor einige Herausforderungen. „Man sieht den Schädeln ja nicht an, dass sie aus Namibia kommen“, sagt Winkelmann. Also zogen sie vor allem historische Akten zu Rate, um die Herkunft genau zu bestimmen. Ein Mitarbeiter reiste dafür auch ins namibische Windhuk.
Gut drei Jahre lang durchforsteten die Mitarbeiter des Human-Remains-Projektes die Bestände der Charité. Dabei wurden nicht bloß namibische Schädel untersucht. Jetzt wird das Projekt beendet, die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist abgelaufen. Die letzten möglicherweise namibischen Gebeine sollen noch überprüft werden. Danach aber sei „fraglich, wer zuständig ist“, sagt Winkelmann. Das sei eines der größten Probleme: Meist wollten Besitzer ihre Kolonial-Sammlungen gar nicht behalten – doch es gebe niemanden, an den man sich wegen der Erforschung der Schädel richten könne.