Nein danke, mein Sohn will keinen blauen Schulranzen!

Es gibt Schultaschen in Pink oder Blau. Der Sohn unserer Autorin will aber eine knallrote. Warum sind die Ranzen nicht so bunt wie das Leben?

Warum sind sogar Schulranzen gegendert?
Warum sind sogar Schulranzen gegendert?dpa/Karl-Josef Hildenbrand

„Wir kaufen eine besondere Schultasche, die schönste aller Zeiten“, sage ich, während wir im vierten Geschäft ratlos auf die Auswahl sehen. „Das hast du jetzt schon oft gesagt. Aber die sind nicht schön. Ich will keine von Star Wars und auch keine mit Fußball“, meint der Junge. „Komm, einen Versuch starten wir noch.“

Auf der einen Seite des großen Geschäftes hängen die Schultaschen in Lila und Pink, auf der anderen die dunkelblauen, schwarzen und grauen. Ich bin inzwischen in vielen Läden und Kaufhäusern gewesen, habe das Internet durchforstet. „Ich will eine bunte Mappe oder eine in Rot“, sagt mein kleiner Junge, der jetzt zur Schule kommt. Er läuft in dem großen Schultaschen-Geschäft zu einem roten Exemplar mit Paillettenstern. „Die gefällt mir“, ruft er und streicht über den Stern, um zu überprüfen, ob man die Farbe wechseln kann. „Was sagst du, Mama?“

„Die ist aber für Mädchen“, erklärt die Verkäuferin, die sich zur Beratung hinzugesellt hat. „Weißt du, es gibt gemeine Kinder, die ...“ Ich unterbreche sie. „Warum gibt es nicht Schulranzen für alle? Meinetwegen mit Punkten, Strichen, Noten?“, frage ich sie. „Ja, Noten wären schön“, sagt das Kind. „Ich weiß, das ist nicht gut. Was gefällt dir denn – Fußball oder ein schönes Auto?“, fragt die Verkäuferin.

„Musik gefällt ihm, besonders die aus den 80er-Jahren, bunte Gestalten, knallige Farben, große Augen“, mische ich mich ein. „Ja, ich liebe Masken und Kostüme und Musik, vor allem die 80er. Kennst du die?“ „Klar. Die gefallen mir auch.“ „Die Frau ist ja lieb“, flüstert er mir zu, während sie suchend an der Schultaschenauslage vorbeiläuft. „Hast du denn eine Farbe, die du so richtig gerne magst“, fragt die Verkäuferin, auf deren weiten T-Shirt der Name des Geschäftes zu lesen ist. „Ja, Rot.“

Die ist für Mädchen, sagt die Verkäuferin

Sie sucht noch einmal die Reihen mit den Augen ab. „Guck mal die mit der E-Gitarre“, rufe ich. „Ja, die ist schön.“ „Na die ist eigentlich auch für Mädchen“, erklärt die junge Frau, die später sagen wird, dass sie in den ersten vier Klassen einen Ranzen mit Fußballmotiven getragen hat und somit wisse, wo das Problem liegt. „Mich hat immer nur Fußball interessiert. Ist doch ungefähr das Gleiche. Warum sollten denn Mädchen immer nur Pink wollen“, sagt sie, während mein Junge zur Musikbox läuft. „Hör mal, das Lied. Ein 80er.“ „Komm, setz noch mal eine auf!“ Das Kind hat keine Lust mehr.

„Es gibt eben auch Lieferengpässe. Der Krieg und so“, entschuldigt die Verkäuferin die Situation. „Wollen Sie mir damit sagen, dass es davor eine größere Auswahl an bunten Modellen gab?“ „Das vielleicht nicht, aber …“ Wir kommen nicht weiter. Unerwähnt will ich nicht lassen, dass die Schultaschen jeweils rund 300 Euro kosten. Sie sind ergonomisch auf die kleinen Rücken angepasst, man kann sie auf die Größe des Kindes einstellen. Riemen, die vorne verschlossen werden, sollen vermeiden, dass die schwere Tasche Fehlhaltungen provoziert. Warum spart man dann an der Gestaltung?

Schlimmer als Babykleidung in Rosa und Hellblau

Ich sollte mal an die Firmen schreiben und nachfragen. Mir kommt es vor, als hätte sich, trotz der größeren Aufmerksamkeit für Diversität, an dieser Stelle nichts geändert. All meine Bemühungen, das Kind so frei wie möglich zu lassen, es nicht einzuordnen, nicht in enge Schablonen zu pressen, die es später als Erwachsener mühsam auflösen muss, scheinen hier brutal auf alte Muster zu prallen. Ein Problem entsteht, wo keines sein müsste. Wo noch alles möglich ist, wird spätestens jetzt der Unterschied gemacht.

Ich habe oft gelesen, dass sich Mütter darüber ärgern, dass Babykleidung noch immer in Rosa und Hellblau auf das Geschlecht aufmerksam machen. Ich finde, das Problem mit den Schultaschen ist noch ein größeres. Denn während es mir als Elternteil eines Babys noch überlassen bleibt, in welcher Farbe ich das Neugeborene kleide, ist das Kind hier mit seinen sechs Jahren schon mit wachem Verstand in die Sache einbezogen.

Mein Kind weiß, dass der Mann von gegenüber Männer liebt, die Frau aus der oberen Etage Frauen, er mag Riccardo Simonetti, weil er bei der Fernsehshow „The Masked Singer“ in der Jury saß. Selbstverständlich ist ihm, dass er divers ist. Er findet es wunderbar, dass seine Erzieherin aus der Kita erklärte, dass sie mit ihrer platonischen Lebenspartnerin ein Kind großziehen wird. „Co-Parenting. Ist hier in Deutschland noch nicht so anerkannt“, fügte sie hinzu. Wir haben offen und ohne Scheu über alles gesprochen und ich bin der festen Überzeugung, dass so selbstverständlich, wie ein Erwachsener all das erklärt, so normal empfindet es auch ein Kind.

Wir lernen in Zeiten, in denen Achtsamkeit eine größere Rolle spielt, dass ein zufriedenes Leben führen kann, wer mit sich im Reinen ist und den eigenen Kompass kennt. Warum muss man den erst verlieren, um sich als Erwachsener auf die mühsame Suche zu machen, ihn wiederzufinden? Ich hoffe, dass dieser mein Ärger ein wenig durch die Welt zieht und ich rufe laut: Ich wünsche mir fröhliche bunte Schulranzen mit leuchtenden Motiven, die dicht beieinanderstehen und zwar für alle!

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