Neonazis gegen Geflüchtete: Die Stimmung in Cottbus ist aufgeheizt
Cottbus - Morgens um halb zehn im Blechen Carré. Die Läden machen gerade erst auf, trotzdem schlendern die Ersten schon durch die kleine Einkaufspassage im Zentrum von Cottbus, Rentner mit Rollatoren, Mütter mit Kinderwagen. Hier drinnen ist es besser als draußen, wo ein nasskalter Wind durch graue Straßen weht. Noch zwei Stunden, bis das Buffet beim China-Gourmet aufmacht, Bratkartoffeln, Frühlingsrollen, Chicken Wings, 5,50 Euro der Teller.
Hier muss er vorbeigelaufen sein, der Junge, 16 Jahre alt. Er kam von draußen, wo die Straßenbahn hält, er blutete stark, ein langer Schnitt vom Ohr bis zum Kinn.
Er ist noch die Rolltreppe hoch, vorbei am Taschengeschäft, am Bäcker, wo es den Cappuccino mit Milchschaum oder mit Sahne gibt, vorbei am Handyladen, an den Massagestühlen. Kurz dahinter brach der Junge zusammen. Genau vor dem Laden für Frisierbedarf.
Wer weiß was genau?
„Ich habe nichts gesehen“, sagt die Frau, die dort zwischen den Regalen mit Tönungscreme steht, genau wie am vergangenen Mittwochnachmittag. „Ich habe nur ein Glas Wasser gebracht, für den Jungen. Keine Ahnung, wie er hier hochgekommen ist.“ Sie zuckt die Achseln. Dann sagt sie noch, dass sie jetzt Angst habe. „Mein Sohn ist doch auch in dem Alter. Der Typ hat einfach ein Messer gezückt.“ Eine Auseinandersetzung unter Jugendlichen? Nein. Sie schüttelt den Kopf. „Das steckt doch in denen drin.“
Cottbus im Januar 2018. Ein paar Jugendliche geraten in einen Streit, es geht um ein Mädchen. Der eine, Imad, 15, soll ihr in der Schule das Handy weggenommen haben. Weil sie ihn damit gefilmt habe, sagt er. Stimmt, erzählt das Mädchen hinterher dem Schulpsychologen. Später dann will sie ihn doch nicht gefilmt haben. Der Junge, so viel steht fest, soll sie dann beschimpft haben, vielleicht hat er sie auch angefasst. Das weiß wieder keiner genau.
Als Imad jedenfalls mit seinem Freund Fuhad, 16, an der Straßenbahnhaltestelle Stadtpromenade/Blechen Carré steht, treffen sie dort den Freund des Mädchens, vielleicht ist es ihr Exfreund, auch das weiß niemand so ganz genau. Sie geraten aneinander, Fuhad drückt den Jungen gegen die haltende Straßenbahn, dann hat er plötzlich das Messer in der Hand. Die Polizei findet es später in der Nähe. Am Abend verhaftet sie Imad und Fuhad.
Vorfälle sind ein Politikum geworden
Eine Woche zuvor hatte bereits ein 14-Jähriger ein Messer im Blechen Carré gezückt, als ein Ehepaar ihm und seinen Kumpels den Weg zum Fahrstuhl in den ersten Stock versperrte. Ein Passant ging dazwischen, hielt den 14-Jährigen fest, bis die Polizei kam.
Seit Freitag ist aus den beiden Vorfällen ein Politikum geworden. Es geht nicht mehr um einen Streit zwischen Jugendlichen, nicht mehr um ein bedrohtes Ehepaar. Imad und Fuhad sind Geflüchtete, genau wie der andere Jugendliche. Die Rede ist jetzt von Konflikten zwischen Deutschen und Ausländern.
Am Freitag reist der Innenminister Schröter zu einem Spitzentreffen mit dem Oberbürgermeister und der Polizei nach Cottbus, um „geeignete Maßnahmen zur wirksamen Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung“ zu beraten. Auch ein Staatssekretär aus dem Ministerium für Bildung ist dabei. Der Innenminister redet von „Angriffen auf Bürger in Cottbus“, die „vollkommen inakzeptabel“ seien und verspricht: „Die Schuldigen müssen mit der vollen Härte des Rechtsstaates zur Verantwortung gezogen werden.“ Seine Toleranz sei aufgebraucht.
Zuzugsstopp für Geflüchtete
Als die Politiker dann durch Cottbus spazieren, stehen auf einmal zwei Syrer vor ihnen. Sie überreichen dem Innenminister einen Brief. „Es tut uns sehr leid, dass zwei unserer Landsleute in Cottbus Menschen angegriffen haben“, steht drin. „Wir bitten alle um Verzeihung und möchten deutlich machen, dass dieses Verhalten auch bei uns nicht in Ordnung ist.“
Doch der Rechtsstaat ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aufzuhalten. Nach dem Spitzentreffen verhängt der Innenminister eine Zuzugssperre nach Cottbus, ab sofort dürfen keine Geflüchteten mehr aus der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt hierher gebracht werden.
Dem 14-Jährigen, der das Ehepaar bedroht hat, und seinem Vater wird eine „negative Wohnsitzauflage“ für die Stadt erteilt. Der Innenminister verordnet fünf zusätzliche Polizeistreifen und Videoüberwachung vor der Stadthalle. Es klingt, als stehe Cottbus kurz vor dem Kollaps.
Das Stadtbild hat sich verändert
Cottbus ist nicht die erste Stadt in Deutschland, für die ein Zuzugsstopp für Geflüchtete ausgerufen wurde. Im Oktober vergangenen Jahres verfügte die niedersächsische Landesregierung, dass ihre Ausländerbehörde keine Geflüchteten mehr nach Salzgitter schicken dürfe, weil die Stadt einer „überproportionalen Belastung“ ausgesetzt sei, ein paar Wochen später kamen noch Delmenhorst und Wilhelmshaven dazu.
Cottbus hat gut 100.000 Einwohner. Im September 2015 lebten in der Stadt 575 Asylbewerber. Heute sind es 3400. Der Ausländeranteil in der Stadt ist von 2,2 auf 8,5 Prozent gestiegen. Das Stadtbild habe sich verändert, sagen die Leute. Nicht zum Positiven, schwingt darin mit.
Bei der Bundestagswahl holte die AfD im Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße mit 26,8 Prozent die meisten Stimmen. Der Potsdamer Rechtsextremismusexperte Gideon Botsch bezeichnet die AfD in Südbrandenburg als „fundamental-oppositionelle Bewegungspartei“, die eindeutig „rechtsextrem dominiert“ sei.
Rechter Verein organisiert Demonstration
Seit mehr als einem Jahr veranstaltet der rechte Verein „Zukunft Heimat“ Anti-Flüchtlings-Kundgebungen in Cottbus. Der Verfassungsschutz untersucht gerade, ob auch Mitglieder der verbotenen rechtsextremen Gruppe „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ daran beteiligt waren, wie gerade aus einer Anfrage der Grünen im Potsdamer Landtag hervorging.
Nach dem zweiten Vorfall im Blechen Carré ruft „Zukunft Heimat“ wieder zu einer Demonstration auf. Am Sonnabend versammeln sich Hunderte Menschen auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum, unter ihnen sind Rechtsextreme aus Cottbus und Umgebung, Hooligans und Pegida-Anhänger Die Menschen halten Schilder, auf denen „Schnauze voll“ steht und „Faxen dicke“. Es sind die gleichen Schilder, die Angela Merkel im September in Finsterwalde entgegengehalten wurden. Zwei Journalisten werden beschimpft und bedroht. Die Feuerwehr fährt vorbei und gibt über die Lautsprecher durch: „Wir grüßen die Patrioten in Cottbus“.
Agid Omar hat das alles beobachtet. Er steht hinter der Theke des Gemüse-Kebab-Stands vor dem Einkaufszentrum. Nein, sagt er, Angst habe ihm das nicht gemacht, diese Wut, er könne das verstehen. Er sei ja selbst wütend. „Wenn so etwas passiert, ist das schlecht für uns alle“, sagt er. „Ich bin seit drei Jahren hier, in meinem Land ist Krieg, ich will einfach nur ein gutes Leben leben.“ Dann sagt er noch: „Nicht alle Ausländer sind so.“
Probleme mit dem Schulsystem
Am Montag telefoniert Harry Paulenz mit dem Bildungsministerium. Paulenz ist Schulleiter an der Paul-Werner-Oberschule, die gleich neben dem Blechen Carré liegt. Hier geht Imad zu Schule und auch das Mädchen, mit dem der Streit anfing. Paulenz hat dem Ministerium seine Probleme geschildert: 400 Schüler, 40 davon sind Geflüchtete, das seien fast zwei Klassen.
Harry Paulenz ist ein großer Mann, Physiklehrer, 25 Jahre an der Schule, in den Ferien radelt er um die Welt, er war schon fast überall, nur China fehlt ihm noch. Hat seine Schule ein Problem mit Gewalt? „Ich kann mich nicht mal an die letzte blutige Nase erinnern“, sagt Paulenz. Klar gäbe es mal Rangeleien, Mobbing in den Sozialen Netzwerken sei immer mal wieder ein Problem. Und ja, Imad, der sei nicht einfach. „Aber das sind auch andere Jungen und Mädchen nicht, auch deutsche.“
Vielleicht muss Paulenz das sagen, es ist auch der Ruf seiner Schule, der in den vergangenen Tagen gelitten hat. Von sexueller Belästigung von Schülerinnen und Lehrerinnen war die Rede. Stimmt alles nicht, sagt Paulenz. „Kölner Verhältnisse, so etwas gibt es hier nicht.“
Er will nichts beschönigen. „Die Schule platzt aus allen Nähten, die Bedingungen für den Unterricht haben sich verschlechtert. Integration kann nur funktionieren, wenn die Last besser verteilt wird.“ Wenn Jugendliche wie Imad an seine Schule kämen, seien sie oft jahrelang nicht zur Schule gegangen, plötzlich sollen sie sich dann in einer achten, neunten Klasse zurechtfinden. „Die Sprache lernen sie meist schnell“, sagt Paulenz. Anderes nicht so zügig: pünktlich sein etwa, Hausaufgaben machen, lernen. „Es ist das Schulsystem, mit dem sie nicht zurechtkommen.“
Paulenz hofft, dass sich jetzt etwas bewegt. Zehn neue Sozialarbeiter will die Stadt jetzt an Schulen einstellen. Es soll mehr Sport und Kultur am Nachmittag geben.
Drakonische Maßnahmen
Es ist das, was der Innenminister Präventivmaßnahmen nennt. Für Maria Koch ist es allenfalls ein Anfang. Sie ist Sprecherin des Bürgerbündnisses „Cottbus schaut hin“. „Was im Blechen Carré passiert ist“, sagt sie, „das geht natürlich gar nicht. Aber die drakonischen Maßnahmen, die die Politik danach ergriffen hat, machen alles nur noch schlimmer.“ Als sie am Sonnabend auf der Demonstration gewesen sei, habe sich ihr Magen zusammengekrampft. „Diese besorgte Bürgerblase dort, an die man mit Argumenten überhaupt nicht mehr rankommt, das hat mich wirklich erschreckt.“
Ihr Bündnis dokumentiert seit über einem Jahr rechtsextreme Übergriffe in Cottbus, mal ist es nur ein asylfeindlicher Aufkleber an einer Dönerbude, mal rechte Parolen auf offener Straße, immer wieder auch nackte Gewalt.
So wie Silvester, als drei Afghanen vor einer Flüchtlingsunterkunft von einer Gruppe Rechter geschlagen wurden, unter den Augen des Sicherheitsdienstes. „Cottbus schaut hin“ fand später heraus, dass der Security-Chef der rechtsextremen Szene zuzuordnen ist. Wenn man Maria Koch zuhört, ahnt man, dass es nicht allein die Geflüchteten sind, die Cottbus unsicher machen.
Am Samstagabend wurde die Polizei zu einer Party gerufen, eine junge Frau und ein junger Mann waren in Streit geraten. Der Mann – ein Syrer. Am Ende nahm die Polizei die Frau mit, sie hatte 1,14 Promille im Blut – und hatte die Beamten beschimpft.