Neue Perspektiven
Berliner Museen sind Orte, an denen die Schönheit regiert, findet unsere Kolumnistin. Und sie erlauben einen neuen Blick in diesen düsteren Zeiten.

Die Welt, die Lage, die Sorgen aus einem anderen Blickwinkel betrachten: So lautet ein häufiger Rat, wenn die Zuversicht schwindet und die Hoffnungslosigkeit ihrem zerstörerischen Geschäft nachgeht. Es klingt so einfach und es scheint so viele Möglichkeiten zu geben: Man kann sich umdrehen. Den Kopf schief legen oder sich gleich ganz auf den Boden. Man kann einen Handstand machen oder ein Paar Schritte zurückgehen. Und schon sieht alles ein bisschen anders aus, tun sich neue Wege auf.
Und wenn nicht? Was tun, wenn es die Umgebung keinen Deut interessiert, welche Bemühungen da ein einzelner Mensch auf sich nimmt? Und erst recht die Ängste und Kümmernisse: Meister beim Stopptanz könnten sie sein in ihrer Standhaftigkeit und eine Neigung zum Wildwuchs haben sie auch.
Es gilt also Orte aufzusuchen, die sie scheuen. Orte, an denen die Schönheit regiert, und sei es die des Schmerzes. Wählt man ein Museum, stellt man fest, dass viele dieser Gebäude nicht nur Kunstwerke und andere Exponate in sich bergen, sondern auch eine reichhaltige Sammlung von Blickwinkeln. Das fiel mir auf, als ich neulich die Alte Nationalgalerie besuchte. Jeder Flur eine frische Perspektive, hinter beinahe jeder Biegung Fluchten in doppeltem Sinne. Einige runde Räume ermöglichen es, mit dem Blick zu wandern, ohne an Kanten und Ecken hängen zu bleiben
Dazu das Licht in den Gängen. In der Nationalgalerie bekommt der Berliner Himmel hinter den Scheiben selbst etwas Kuppeliges, ja, Museales. Er scheint einen anregenden Austausch zu pflegen mit den vielen Himmeln auf den Gemälden, in verschiedenen Zeiten und an den unterschiedlichsten Orten und man will gar nicht glauben, dass es immer derselbe ist. Die ganze Weltzeit und Vergangenheit und Zukunft der Leinwände öffnen überdies den Blick über das Jetzt hinaus und bringen in tausend Sprachen singend Bewegung in den unterbrochenen Tanz der Gedanken.
Und die Stille. Lediglich das leise Scharren von Besucherfüßen auf dem Parkett ist zu hören und geflüsterte Gespräche vor den Bildern. Sonst nichts. Da kann viel gedeihen, wie Dünger wirkt diese Stille, Dünger für das Offene. Hätten Perspektiven Gewicht, man hätte einiges zu tragen nach dem Museumsbesuch. Dank ihrer luftigen Gestalt (nicht zu verwechseln mit Substanzlosigkeit) wiegt nur eines schwer: Die Entscheidung, welchen Blickwinkel man zuerst einnehmen will. Mit Zeit, damit die Zuversicht wachsen kann.