Neue Verbindung: Mit dem Roten Pfeil von Berlin nach Südtirol und Rom
Die EU will den internationalen Zugverkehr spürbar verbessern. Experten halten es für möglich, dass der luxuriöse Frecciarossa von Berlin nach Italien fährt.

Von Berlin ohne Umsteigen mit dem Zug über die Alpen nach Südtirol und weiter nach Verona, Bologna, Florenz und Rom: Das könnte künftig wie früher wieder möglich sein. Trenitalia und die Deutsche Bahn (DB) arbeiten daran, den Zugverkehr zwischen Deutschland und Italien zu verbessern. Dabei werden auch Direktverbindungen von und nach Berlin geprüft. Damit das Projekt gelingt, müssen noch Hindernisse bewältigt werden, teilte der Südtiroler Europaabgeordnete Herbert Dorfmann der Berliner Zeitung mit. Er und andere Fachleute sind aber optimistisch, dass es am Ende klappt.
„Ich sehe das Projekt als chancenreich an“, sagt der Berliner Bahnexperte Jürgen Murach. Die Hauptstrecke zwischen Berlin und Rom sei als „nachfragestark“ identifiziert worden. Auch in den Adriaraum gebe es „gute Nachfragepotenziale“.
Mit der Bahn von Berlin direkt in die Alpen und nach Italien: Was heute, im Zeitalter von Auto und Flugzeug, meist keine Option ist, galt lange Zeit als ganz normal. Es ist eine traditionsreiche Route. Als der Anhalter Bahnhof in Kreuzberg noch in Betrieb war, konnten Berliner, die sich die Reise leisten konnten, täglich unter mehreren Direktverbindungen nach Italien wählen. Wer sich 1935 um 12.50 Uhr mit dem Riviera-Express nach Cannes aufmachte, war am nächsten Tag um 15.20 Uhr in Rom.
Mit dem Spree-Alpen-Express zum Wintersport in die Berge
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Deutsche Reichsbahn der DDR für den Bahnverkehr in beide Teile Berlins zuständig war, gab es ebenfalls Direktverbindungen. 8.45 Uhr Abfahrt in Roma Termini, 7.21 Uhr Ankunft am Bahnhof Zoo: Das war etwa während des Winterfahrplans 1978/79 möglich. Nach der Wiedervereinigung blieb der Spree-Alpen-Express, der seit Anfang der 1960er-Jahre Berlin mit Skigebieten in den Bergen verband, noch lange im Programm. Im April 1999 fuhr der Nachtzug zwischen Berlin, Bozen und Verona zum letzten Mal. In Miniaturform, als Zug des Modelleisenbahnherstellers Roco, lebt er weiter. Doch Südtirol-Reisende müssen seitdem stets in München umsteigen.
Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass die Berlin-Italien-Route wieder aufleben könnte. Sicher ist das noch nicht. Aber die Erderhitzung hat dazu geführt, dass die Debatte über klimafreundliche Fortbewegungsarten intensiver geworden ist – und damit gerät die Bahn auch für Reisen über weite Entfernungen in den Fokus. Was den Kohlendioxidausstoß pro Fahrgast anbelangt, schneidet sie besser ab als das Flugzeug und das Auto. Allerdings behindern nationale Alleingänge sowie technische und normative Hürden den Ausbau des internationalen Schienenverkehrs. Heute gibt es auf vielen Strecken weniger Verbindungen als noch in den 1990er-Jahren. Das soll sich ändern.
Viele Hürden behindern den internationalen Bahnverkehr in Europa
„Am 31. Januar hat die Europäischen Kommission, Generaldirektion Move, zehn Pilotprojekte zur Verbesserung grenzüberschreitender Zugverbindungen vorgestellt“, berichtet Herbert Dorfmann. „Eines der ausgewählten Projekte betrifft die Linien Rom–München sowie Mailand–München.“ In beiden Fällen geht es auch um eine „mögliche Erweiterung nach Berlin“, bestätigt der Europaabgeordnete.
„Geplant sind ab Dezember 2025 tägliche Fahrten“, erklärt er. Der Zugbetrieb soll von Trenitalia, den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und der DB mit jeweils eigenem Zugpersonal durchgeführt werden. Erwartet werden bis zu 480.000 Passagiere pro Jahr.
Das Pilotprojekt soll Hürden im grenzüberschreitenden Zugverkehr adressieren, so Dorfmann. Unter anderem gehe es darum, die Genehmigungs- und Zulassungsverfahren für Rollmaterial in den einzelnen Ländern zu beschleunigen. Selbst wenn die Fahrzeuge den technischen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) entsprächen, seien nach wie vor nationale Zulassungsverfahren zu durchlaufen. „Des Weiteren muss die Schieneninfrastrukturkapazität ausgebaut und verbessert werden“, sagt der Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei. Nicht zuletzt gehe es darum, die Verfahren zur Zuteilung grenzüberschreitender Trassen zu harmonisieren und die oft kostenaufwendigen Sicherheitsvorschriften der einzelnen Länder zu überarbeiten.
Ein Begrüßungsgetränk und drei Menüs zur Auswahl
Das sind dicke Bretter. Doch Trenitalia, die ÖBB und die DB pflegen eine „gute Kooperation“, berichtet Jon Worth, der sich mit dem internationalen Zugverkehr befasst und mit seinem Rechercheprojekt Cross Border Rail Aufsehen erregt hat. „Ich bin optimistisch, dass diese neue Verbindung ab 2025 starten kann“, lautet seine Einschätzung. „Ob die EU da wirklich helfen kann, weiß ich nicht – diese Unternehmen sind in der Lage, die Hürden selber zu nehmen.“ Worth hält es für möglich, die Fahrzeit von München nach Rom auf achteinhalb und die Fahrzeit von München nach Mailand auf sechseinhalb Stunden zu senken. Zwischen Berlin und München ist man mit dem Intercity Express (ICE) heute laut Fahrplan mindestens vier Stunden unterwegs.
Als Fahrzeug für die beschleunigte Italien-Verbindung sei der italienische Triebzug Frecciarossa 1000, bahnintern ETR 400 genannt, im Gespräch. „Eine Zulassung für Österreich und Deutschland wäre nicht so schwierig“, so Worth. Mit ihrer langen Schnauze geben die 202 Meter langen Acht-Wagen-Einheiten, deren Hersteller Bombardier/Alstom und Ansaldo Breda/Hitachi sind, einen unverwechselbaren Eindruck ab. Auch innen unterscheidet sich der „Rote Pfeil“, für den in Italien eine Platzreservierungspflicht gilt, von anderen Hochgeschwindigkeitszügen.
Die Reisenden können unter nicht weniger als vier Komfortstufen wählen. In der Executive Class sitzen die Fahrgäste auf 74 Zentimeter breiten, um 180 Grad drehbaren Einzelsesseln, und es gibt sogar einen kleinen Konferenzraum mit der entsprechenden Technik. Auch in Business und Premium Class ist viel Platz zwischen den Sitzreihen, auch dort wird den Reisenden ein Begrüßungsgetränk serviert, und sie können unter drei verschiedenen Menüs wählen. Je vier Wagen pro Zug enthalten die Standardklasse für das kostenbewusste Publikum – das aber ebenfalls am Platz mit Speisen und Getränken bedient wird. Die Fahrgastbewertungen sind auch dort gut bis sehr gut.
In Deutschland könnte der Frecciarossa nur Tempo 200 fahren
Ein Stundentakt zwischen München, Innsbruck, Bozen und Verona mit guten Anschlüssen wäre Jon Worth allerdings wichtiger als Direktverbindungen von und nach Berlin. Heute verkehren dort betagte Eurocity-Züge im Zweistundentakt.

Auch der Berliner Berater Hans Leister, ehemals Konzernbevollmächtigter der DB in Brandenburg, schüttet etwas Wasser in den Wein. Zwar sei der Frecciarossa für die Spannung und die Frequenz im deutschen Bahnnetz, die sich vom italienischen Standard unterscheiden, vorbereitet. Doch die Leistung wäre geringer, weshalb die Züge in Deutschland nur Tempo 200 schaffen würden. Mit den ICE-Zügen auf dem Abschnitt Berlin-München könnten sie nicht konkurrieren. „Hätte die DB vor fünf Jahren angefangen und würde das italienische Netz mitmachen, könnte der Frecciarossa längst fahren“, gibt Leister zu bedenken. Auch der österreichische Railjet wäre ein mögliches Fahrzeug. Die ÖBB bemüht sich um eine Italien-Zulassung. Jon Worth hält es für möglich, dass die Züge ab Ende 2023 die heutigen alten Eurocitys nach Italien ersetzen.
Schnellstrecken in Ostdeutschland nur für Tempo-300-Züge zugelassen
Ein weiteres Thema ist: Auf welcher Route würde der Frecciarossa von München nach Berlin fahren? Zwar gibt es seit Ende 2015 eine Hochgeschwindigkeitsverbindung, auf der ICE-Sprinter die Strecke in rund vier Stunden zurücklegen. Doch die für hohe Geschwindigkeiten ausgebauten Abschnitte im Thüringer Wald sowie zwischen Erfurt und Halle (Saale) dürfen nur von Zügen genutzt werden, die das zulässige Tempo erreichen – 300 Kilometer pro Stunde. So hat es der Betreiber DB Netz festgelegt.
Nach jetzigem Stand dürfte der „Rote Pfeil“, der wegen der genannten Restriktionen in Deutschland nur Tempo 200 schafft, die Schnellstrecken also nicht benutzen, hieß es bei der Bahn. Auf den möglichen Umfahrungen würde die Fahrzeit zwischen München und Berlin aber schnell die Sechs-Stunden-Marke reißen. Eine knifflige Aufgabe für das Team bei der DB, das den deutschen Abschnitt des Italien-Projekts betreut.
„Allerdings verkehren ja auf der Strecke Bamberg-Halle nicht nur 300km/h-Züge, sondern auch solche, die nur 230 oder 250 fahren wie ICE T und ICE4“, ergänzte Hans Leister. Sein Resümee lautet: „Solange ein Frecciarossa fährt, ist vielleicht ein Anschluss in München am gleichen Bahnsteig die bessere Lösung. In Zukunft wird es hoffentlich Züge geben, die in Deutschland und Italien 300 schaffen.“
Wäre eine Schlafwagenverbindung nicht sinnvoller? Jürgen Murach verweist auf eine Studie im Auftrag des Senats, die den Korridor Berlin–Rom als Nachtzugverbindung für sinnvoll hält. „Allerdings muss die Bestellung von modernen Schlaf- und Liegewagen ausgeweitet werden“, so der Bahnexperte. Bislang hätten nur die Österreicher neue Fahrzeuge bestellt. „Die Einrichtung neuer Nachtzugverbindungen stößt an eine Grenze. Die ÖBB hat auf der Konferenz betont, dass sie nicht für ganz Europa Schienenfahrzeuge bestellen kann.“ Auch andere europäische Bahnen müssten endlich aktiv werden.
Noch ein EU-Projekt: Berlin–Stockholm mit Flixtrain
Ein weiteres Pilotvorhaben zum grenzüberschreitenden Schienenverkehr betrifft ebenfalls Berlin. „Wir sehen ein hohes Potenzial und eine starke Nachfrage für grenzüberschreitenden Zugverkehr“, sagt Isabella Domke von Flixtrain. „Daher freuen wir uns sehr über das gemeinsame Projekt mit der EU-Kommission. Zwei Pilotprojekte wollen wir umsetzen: München–Zürich und Berlin–Stockholm. Wir glauben, dass wir noch auf sehr vielen Strecken eine starke und erschwingliche Alternative insbesondere zum privaten Pkw und Flugverkehr bieten können und dass die Nachfrage nach nachhaltigen, attraktiven Verbindungen deutlich höher ist als das heutige Angebot.“
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