Neuer Plan für die A100 nach Treptow: Berliner Autobahn soll Gemüsefarm werden

Auch Insekten, Pilze und Algen könnten dort gezüchtet werden. Im Zeichen der Erderhitzung sei eine Schnellstraße nicht mehr zeitgemäß, sagen Forscher.

Die Simulation zeigt, wie das Trogbauwerk und die Umgebung genutzt werden könnten. In dem Einschnitt befindet sich ein Agrarbetrieb, daneben entstehen ein Besucherzentrum und ein Park.
Die Simulation zeigt, wie das Trogbauwerk und die Umgebung genutzt werden könnten. In dem Einschnitt befindet sich ein Agrarbetrieb, daneben entstehen ein Besucherzentrum und ein Park.Paper Planes, Berlin

Berlin-Gemüsefarm statt Autobahn. Wo künftig mehr als 130.000 Kraftfahrzeuge pro Tag fahren könnten, sollen stattdessen Pflanzen, Pilze und Insekten gezüchtet werden. Mit dieser Vision ist nun eine Gruppe von Planern und Zukunftsforschern aus Berlin an die Öffentlichkeit getreten. Danach soll die Verlängerung der Autobahn A100 von Neukölln nach Treptow nicht für den Verkehr, sondern für die Landwirtschaft genutzt werden. Dort soll ein mehr als drei Kilometer langer Agrarbetrieb entstehen – die Morgenfarm Berlin, die von einem Park und Wohnvierteln begleitet wird. Mit dem Umnutzungskonzept liegt ein weiterer Vorschlag zur klimafreundlichen Neugestaltung der Betonschneise zwischen Neukölln und Treptow auf dem Tisch. 

Hört sich merkwürdig an? Das Konzept der Gruppe, die sich als gemeinnützige Berliner Denkfabrik „Paper Planes“ vorstellt, ist nicht die erste Idee dieser Art. So schlugen der Stadtplaner Tim Lehmann und die Stadtsoziologin Kerstin Stark vor einigen Jahren vor, das Gelände für den Abschnitt bis Treptow und die für später vorgesehene Fortführung nach Friedrichshain/Lichtenberg für den Wohnungsbau zu nutzen. Würde auf die Weiterführung der A100 verzichtet, könnten auf dem insgesamt mehr als sieben Kilometer langen und 53 Hektar umfassenden Streifen 8842 Wohnungen entstehen, rechneten Lehmann und Stark vor.

Wohnungen, ein Freibad, ein Radschnellweg

Anti-Autobahn-Aktivisten haben weitere Ideen. „Ein Freibad in einem Trogabschnitt, das wäre eine sinnvolle, familienfreundliche Investition, von der alle etwas haben“, sagte Lara Eckstein. Sie ist Berliner Sprecherin des Bündnisses „Sand im Getriebe“, das im Frühsommer eine Besetzung der Autobahnbaustelle organisiert hat.

Seit einiger Zeit mehren sich zudem Ideen, die Verlängerung des Stadtrings zwar als Verkehrsfläche zu nutzen – aber in anderer Form. So schlägt die Linke vor, sie nicht als Autobahn, sondern als Stadtstraße in Betrieb zu nehmen. Der für den Autoverkehr nicht mehr nötige Platz sollte dazu genutzt werden, einen Radschnellweg einzurichten.

Auch die Grünen setzen sich dafür ein, die Kapazität zu verringern, damit es am vorläufigen Endpunkt in der Straße Am Treptower Park sowie an der benachbarten Elsenbrücke über die Spree nicht zu den befürchteten Staus kommt. „Klimagerechte Mobilität der Zukunft braucht keine überteuerten Großprojekte wie die A100, sondern Platz für alle Verkehrsmittel. Statt am Treptower Park für Verkehrschaos zu sorgen, sollte die A100 als Bundesstraße gebaut werden“, heißt es bei ihnen.

… und so könnte es in dem Trogbauwerk zugehen, wenn es wie bisher geplant als Autobahn A100 eröffnet wird.
… und so könnte es in dem Trogbauwerk zugehen, wenn es wie bisher geplant als Autobahn A100 eröffnet wird.Paper Planes, Berlin

Hintergrund ist, dass viele Verkehrsaktivisten und ein Teil der Anwohner den Weiterbau des Stadtrings ablehnen. Ein Projekt wie dieses passe nicht in eine Zeit, in der auf die Erderhitzung reagiert werden müsse, sagen sie. „Es wirkt wie aus der Zeit gefallen“, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Knie und vergleicht den Bau von Stadtautobahnen mit dem Schwarz-Weiß-Fernsehen – das ebenfalls nicht mehr modern ist. Doch es gibt auch andere Argumente gegen die Verlängerung der A100. Mit Projektkosten von derzeit 650 Millionen bis 700 Millionen Euro gehöre der 16. Bauabschnitt nach Treptow, der 3,2 Kilometer lang ist, zu den teuersten Straßen im Land.

Protest gegen die Verlängerung der Autobahn. Anfang Juni 2021 besetzen Aktivisten von „Sand im Getriebe“ und „Ende Gelände“ die Baustelle. Hier bringen sie im Trogbauwerk ein Protesttransparent an.
Protest gegen die Verlängerung der Autobahn. Anfang Juni 2021 besetzen Aktivisten von „Sand im Getriebe“ und „Ende Gelände“ die Baustelle. Hier bringen sie im Trogbauwerk ein Protesttransparent an.imago/Nicolaj Zownir

Seit 2013 sind Bautrupps dabei, den Stadtring über die Neuköllner Grenzallee hinaus in Richtung Treptower Park zu verlängern. Gebäude mit mehr als hundert Wohnungen wurden abgerissen, rund 300 Kleingärten abgeräumt, circa 450 größere und unzählige kleinere Bäume gefällt. Trotz einiger Rückschläge ist das Bundesprojekt im Osten Berlins weit gediehen. Ab 2024 soll der Verkehr rollen. Befürworter halten die Verlängerung der A100 für wichtig, um die Verkehrsverbindungen in den Osten Berlins zu verbessern. Sie werde vielen Kraftfahrern Umwege ersparen, sagen sie.

Den Zukunftsforschern und Stadtplanern von „Paper Planes“, die bereits mit ihrem Vorschlag für eine „Radbahn“ unter dem Hochbahnviadukt der U1 in Kreuzberg Aufsehen erregt haben, geht es um einen bestimmten Teil des Straßenbauwerks. Auf rund 2,3 Kilometern verläuft die Verlängerung der A100 in einem Trogbauwerk aus Beton. Dort befindet sich die künftige Fahrbahn bis zu sieben Meter unter dem Gelände. Dieses Ingenieurbauwerk könnte Herzstück der Morgenfarm Berlin werden, heißt es in dem Konzept. Es soll als „vertikale Farm“ genutzt werden, in der sich ein professioneller Betreiber hochautomatisiert und effizient mit Landwirtschaft befasst. Über dem Geländeeinschnitt entsteht ein Dach mit Sonnenkollektoren, die sowohl die LED-Beleuchtung als auch die Lüftung mit Strom versorgen. Entlang des 3,2 Kilometer langen Landwirtschaftsbetriebs soll ein Park entstehen, in dem ein Lern- und Besucherzentrum gebaut wird. Andere Flächen werden genutzt, um Wohnhäuser zu bauen.

Mit der Einrichtung einer vertikalen Farm würde Berlin einem weltweiten Trend folgen, so die Forscher und Planer. In Dubai, Asien und den USA fließen große Investitionen in diesen Zukunftsmarkt. Aber auch zum Beispiel in Dänemark werde gerade eine solche Farm gebaut. „Durch ihre Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen wie Sonne, Regen und Temperatur sind vertikale Farmen ganzjährige Produktionsstätten von Früchten, Gemüsen, Speisepilzen, Algen oder Insekten“, so „Paper Planes“. Aber auch eine Fischfarm wäre möglich. Vertikale Farmen vereinen Hydrokulturen mit kurzen Transportwegen zu den Verbrauchern. „Vertikale Farmen sind hocheffizient im Umgang mit Ressourcen und frei von Pestiziden“, heißt es weiter. „Sie sichern der lokalen Stadtbevölkerung auch in Krisenzeiten frische und vitaminreiche Nahrungsmittel.“ Das Konzept wurde von der European Climate Foundation gefördert.

Bund verweist auf die Rechtslage

Im Bundesverkehrsministerium steht man allen Umnutzungsvorschlägen für die A100 ablehnend gegenüber. Es sei rechtlich nicht möglich, die Planung zu ändern, sagte eine Sprecherin von Minister Andreas Scheuer (CSU). Das Bundeskabinett habe 2016 den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossen, hieß es im Ministerium. In einem danach vom Bundestag beschlossenen Gesetz seien der 16. und 17. Bauabschnitt als „laufendes Vorhaben“ beziehungsweise „fest disponiertes Vorhaben“ bestätigt worden.

Der 16. Bauabschnitt, die Autobahn von Neukölln nach Treptow, werde auf Grundlage eines bestandskräftigen und damit unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses realisiert, so die Sprecherin weiter. Dazu bestimme der Paragraf 75 des Verwaltungsverfahrensgesetzes: „Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen.“

Rein rechtlich haben Gemüse, Pilze und Insekten auf dem A100-Gelände schlechte Karten.