Neues Einkaufszentrum am Leipziger Platz: Die Mall of Berlin ist architektonische Ödnis
Berlin - Wo ist sie denn nun, die neue Mall? Die Frage der gut gekleideten Dame sollte sich eigentlich verbieten, sie steht doch direkt vor dem Eingang zu „LP 12 Mall of Berlin“, wie das neueste Konsum-Projekt am Leipziger Platz reichlich sperrig heißt. Aber ihr Suchen ist gerechtfertigt. Kaum jemals nämlich zeigte sich in Berlin ein bedeutendes Investitionsprojekt stadtästhetisch derart unauffällig. Nichts ist hier zu spüren vom kitzligen Pop des Alexa, den monumentalen Breitseiten, die die Malls an der Steglitzer Schlossstraße entfalten, der verworrenen Stadtlandschaft, die die Gropius-Passage ist.
Dabei wurde doch fast ein ganzer Block in allerbester Lage überbaut, eine eigene Straße angelegt, die wie jene des Domaquarée an der Karl-Liebknecht-Straße mit einem filigranen Bogendach überwölbt ist. 270 Geschäfte, künftig 270 Wohnungen, ein Hotel, mit Tartanbahnen versehene Dachgärten. Marmor, Sandstein, Architektenbronze – es wurde nicht gespart, mehr als 800 Millionen Euro sind ausgegeben. Zwar ist diese Mall nicht die größte Deutschlands, nicht einmal die größte der inzwischen 65 Malls in Berlin. Aber sie ist ein neuer Spieler auf dem eng gewordenen Markt. Klassischerweise wird in einem solchen Kampf auch die Architektur ein Kampfmittel. Gute Herrenausstatter findet man schließlich auch in Wilmersdorf. Warum also soll man an den Leipziger Platz fahren?
Vorsichtiger Schwung
Entworfen wurde sie von dem Architekturbüro Pechtholt und dem Berliner Architekten Sergei Tchoban, der unter anderem in Russland große Erfolge im Bereich der Luxusarchitektur feiert. Hin zum Leipziger Platz, zur Voß- und zur Wilhelmstraße sind die Bauten jeweils genauso hoch, wie es die Bauordnung maximal erlaubt. Endgültig ist so aus dem einst weiten, vielfältigen Leipziger Platz eine steil umbaute Achteck-Schachtel geworden. Allein die Ecke zur Wilhelmstraße mit ihrem vorsichtigen Schwung – vage Erinnerung an den Expressionismus der 1920er – und die kraftvoll amerikanischen, turmartigen Aufbauten an der Voßstraße fallen in dem Projekt des Investors Harald G. Huth heraus; hier kann man ahnen, was konservative Großstadtarchitektur in Berlin sein könnte.
Die Fassaden zum Leipziger Platz und zur Leipziger Straße hingegen sollen mit ihrer Vertikalität an das legendäre Warenhaus Wertheim erinnern, das nach Plänen Alfred Messels seit 1896 an dieser Stelle entstand. Aber wo Messel eine revolutionäre Tat wagte, für das Warenhaus eine langgestreckte, ästhetisch zusammenhängende Pfeilerfassade entwarf – sie fehlt in keinem Architekturlexikon! – tut man hier mit mattfarbigen Bekleidungen so, als wenn Einzelhäuser stehen. Dabei laufen die Fensterreihen auf gleichen Höhen durch. Um diese ästhetische Gleichförmigkeit aufzubrechen, braucht es wirklich jede der vielen Leuchtreklamen.
Diese Mall will durch maximale Anpassung an einen angenommenen Durchschnittsgeschmack bestehen. Ihre Fassaden stören nicht, aber sie bleiben auch nicht im Gedächtnis. Genügt das im bunten Berlin, in dem gezielte Geschmacklosigkeiten Trumpf sein können? Das Alexa am Alexanderplatz mag mit seinen rosa Bögen und gefältelten Wanddekors sowie knalligen Fußbodenmustern atemberaubend kitschig sein. Aber keiner wird es je vergessen.
Ganz ähnlich „Das Schloss“ an der Schlossstraße – eine so dichte Versammlung von Schein-Prunk ist selten zu finden. Das neue Bikini-Haus am Breitscheidplatz ist mit seinem Wintergarten zum Zoologischen Garten eine Attraktion. Die Gropius-Passagen sind voller Leben, das aus der direkten Umgebung heraus wächst, sie wirken trotz ihrer Größe erstaunlich „lokal“. Und wem all dies zu prollig ist, der kann in der Edel-Mall Stilwerk an der Kantstraße teures Design in erlesen gestalteter Umgebung bei teurem Kaffee shoppen.
Wo ordnet sich da die Mall of Berlin ein? Das Foyer hin zum Leipziger Platz ist geradezu mickrig, nur Durchgang zu den hellen Galerien mit den Geschäften drumherum – kein Vergleich etwa zur luftigen Halle im Steglitzer „Boulevard“. Immerhin: Hier zeigt sich die Lebensversicherung dieser Mall. Sie öffnet im Gegensatz zu so ziemlich jeder anderen Berlins einen wirklich neuen Weg, hin zu den Ministerien an der Wilhelmstraße, zu den touristischen Highlights Holocaust-Mahnmal und Gendarmenmarkt. Hier muss man nicht rein und wieder raus, wie in Steglitz, man kann und will hindurchgehen – das Rezept jeder Passage, jedes Basars. Doch dann entdeckt man die Messingplatte direkt hinter dem Eingang. Zitiert wird da der erste Paragraf des Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar …“ . Das ist Kommerz-Zynismus pur. Auch hier gilt wie in jeder Mall Privatrecht, werden kaum Penner, Zeit verjubelnde Jugendliche oder gar Straßenverkäufer an den breitschultrigen Männern im schwarzen Anzug vorbeikommen.
Und sehen wir uns die Dekors doch einmal genauer an. Etwa die mit den Formen der Florentiner Frührenaissance verzierten Bögen unter dem Dach der Straßenpassage. Ohne jede Andeutung von Pfeilern oder Säulen schweben sie wider alle Statik in der Luft, etwa so sinnreich wie die vor die Wände geklebten, semiindustriellen ausgekreuzten Eisenstützen und -gebälke. Nun gehören solche Schmuckbordüren zur Mall-Architektur genauso wie saubere Toiletten oder Kunstledersofas. Das Problem aber ist, dass sie hier ohne Bezug zum historischen oder realen Berlin eingesetzt werden. Wie prachtvoll real-berlinisch daneben gegriffen ist da doch das Untergeschoss, mit knallbunten Keramikverkleidungen, spiegelnd weißen und schwarzen Bodenplatten, scheinbar abgeschubberten Dielen, poliertem Parkett, Naturholz an den Decken, grün schillerndem Glas.
Aber dann fährt man wieder hinauf und muss in Messing gravierte Weisheiten Kennedys oder Gandhis ertragen. Wer will denn beim Handtaschenkauf den Weltfrieden retten?
Sieg des Autoverkehrs
Harald G. Huth vergleicht sein Projekt beständig mit „dem“ Wertheim. An der Ecke wird sogar ein Materialwechsel in den Fassaden vorgenommen, eine hauchdünne Schicht von Muschelkalk soll an die reich dekorierte, gotisierende Wandelhalle des Wertheims erinnern. Sie hatte sogar einen Stadtbrunnen. Hier aber ist diese Halle nur die Fortsetzung jener schnöden Umgänge, mit denen die Bürgersteige überbaut wurden – wieder einmal hat sich nämlich der Automobilverkehr in Berlin gegen die Interessen der Fußgänger ausweiten dürfen. Man wandelt also zwischen den Autos und den wenigen Schaufenstern, aber vielen Zugängen zu Diensttreppenhäusern und gewaltigen, geschlossenen Toren der Mall-Technikräume die Straße entlang. Was ist daran urban – außer dem Lärm?
Kurz: Dieser Anlage fehlt bisher das Gesicht, das über Armani-Läden reichende Besondere: eine Architektur, die wie einst das Wertheim, heute das Alexa, das Schloss oder das Bikini-Haus dazu lockt, erlebt zu werden. Wie sah doch das Obergeschoss von LP 12 aus?