Neuköllner Oper und Volksbühne: BER-Chaos als Theaterstück

Der BER ist zu? Der BER ist auf! Zumindest in der Oper „Airossini“, die in dieser Woche wieder aufgenommen wird, warten dort schon Passagiere. Das heißt nicht, dass am neuen Flughafen alles perfekt funktioniert, aber dazu später.

Jedenfalls ist klar, dass das Schönefelder Pannenprojekt eine wachsende Zahl von Kulturschaffenden inspiriert – nicht nur Opernleute, auch Kabarettisten und Musiker, die sich dem Humppa, der finnischen Spielart von Foxtrott und Polka, verschrieben haben. Das Dauerthema taucht nun sogar im Theater auf: In „La Cousine Bette“, inszeniert von Frank Castorf an der Volksbühne Berlin, fantasiert ein Baron von einem geköpften Klaus Wowereit.

Der geköpfte Aufsichtsrats-Chef

Ein geköpfter Regierender Bürgermeister und Chef des Flughafen-Aufsichtsrats? Richtig gelesen. Völlig überraschend geht es in dem fünfstündigen Schauspiel frei nach dem Roman von Honoré de Balzac plötzlich um Großprojekte. Erst kommt die Sprache auf Willy Brandt, womit offensichtlich der BER gemeint ist.

Dann schwafelt Alexander Scheer als moralisch zweifelhafter Baron Hulot im Abgeordnetenhaus vom Abschluss eines anderen großen Projekts. Zitat aus dem Skript: „Was wissen wir? Weißt du…? Was habe ich gesagt? (gestikuliert wild mit dem rechten Arm) Flughafen Tempelhof! Adolf Hitler landet! Kommt runter die Gangway! Flughafen gerettet! Klaus Wowereit geköpft! Das war eine Ansprache! Triumph!“

Daraufhin Lilith Stangenberg als Hortense, Tochter des adligen Angebers: „Vater, du bist manchmal gewöhnlich…Weißt du, deine faden Scherze sind zum Kotzen.“ Mag sein. Aber der Akzent ist gesetzt. Und die Baustelle am Rande der Stadt hat sich wieder mal bestens bewährt: als wohlfeiles Sinnbild für Größenwahnsinn und Aufschneiderei, das von vielen verstanden wird.

Darum bietet sich der BER auch für „Airossini“ an, eine Opéra Oligarchique, die ab Donnerstag wieder auf dem Spielplan steht. „Wir waren 2013 das einzige Theater in dieser an Kultur so reichen Stadt, das den BER und seine Folgen auf die Bühne brachte“, sagt Bernhard Glocksin von der Neuköllner Oper.

Für die Wiederaufnahme gebe es einen guten Grund: Die BER-Malaise und die anderen Themen, um die es in der Oper mit der Musik von Gioachino Rossini geht, seien unverändert aktuell. So koste der „rasende Stillstand“ (Glocksin) viel Geld: Für das Gebäude fallen Monat für Monat rund 17 Millionen Euro Betriebskosten an, nochmals so viel Geld entgehen der staatlichen Flughafengesellschaft an Einnahmen.

„Airossini“ befasst sich damit, ob Eliten alles dürfen und wie die anderen auf die Zustände reagieren sollten. Der BER eigne sich für die „große Frage nach der Demokratie“, schwärmt Glocksin. „Was können wir, die 99 Prozent Wahlvolk, noch unternehmen, wenn die ein Prozent der Mächtigen ganz ohne Konsequenzen machen, was sie wollen?“

Wie in Rossinis „Die Reise nach Reims“ sitzt eine Gruppe von VIPs fest, weil die Transportmittel ausbleiben. In der Neuköllner Oper sind es keine Kutschen, sondern Flugzeuge. Sie sollen die Mächtigen zum Krisengipfel bringen. Doch am BER geht es drunter und drüber: Aufzugtüren klemmen, unsinnige Durchsagen verwirren die Passagiere, und auch mit den Brandmeldern scheint was nicht zu stimmen.

Kharálampos Goyós sorgte für Arrangement, musikalische Einstudierung und Leitung. Auch für Text sowie Regie zeichnen Griechen verantwortlich – die sich gewundert hätten, warum der Athener Flughafen pünktlich eröffnet wurde, während der BER immer noch zu ist, so Opern-Sprecher Andreas Altenhof.

„Nerv’ nicht rum mit dem Termin“

Klaus Wowereit und Flughafen-Chef Hartmut Mehdorn kommen übrigens nicht vor. „Das wäre Kabarett“, sagt Altenhof. Auch der erste Kinofilm, in dem der BER die Kulisse ist, verzichtet darauf. In „Schönefeld Boulevard“ geht es um ein einsames Mädchen aus Schönefeld, das dem Projekt zunächst sehr ähnelt: „Sie ist dick, aber sie hebt nicht ab“, sagt Cooky Ziesche von der RBB-Filmredaktion. „Wir sind in der Endfertigung“, teilte eine Sprecherin mit.

Musik zum BER gefällig? Gern. Thomas Pigor singt, von Benedikt Eichhorn begleitet: „In den Brandenburger Sand setzen wir ganz entspannt den Airport Willy Brandt.“ So relaxed geht es weiter. Kostproben: „Nerv nicht ’rum mit dem Termin, die Mühlen mahlen anders in Berlin.“ Oder: „Mann, es ist doch das Normalste von der Welt, dass man einen Termin nicht einhält.“ Und immer wieder ertönt, nicht ganz so tiefenentspannt: „Mister Wowereit, open this gate!“

Spott im Humppa-Sound

Die Wallerts aus Berlin widmen dem BER mehrere Stücke. Sie frönen dem finnischen Humppa-Sound, bedienen sich aber auch aus dem deutschen Volksliedschatz. Beispiel: „Kommt ein Flugzeug geflogen, kann nicht landen in der Stadt, fliegt zum Leipziger Airport, weil Berlin keinen hat.“ Das ist falsch (es gibt ja Tegel und Schönefeld), aber trotzdem prägnant. Noch kürzer, 13 Sekunden, fassen sich die Radiofritzen: „Der neue Flughafen ist schön, nur Flugzeuge sind nicht zu seh’n.“

Der BER hat es sogar in die deutsche Literatur geschafft. In „Fiktion“, einem Roman über Mord, Sex und Literatur, spielt die berühmte Baustelle zumindest eine Nebenrolle. Jan Bergrath, ein Autor aus Köln, hat das Buch geschrieben. Es handelt von einem Lobbyisten, der eine Firmengruppe vertritt, die am Flughafen für Brandschutz zuständig ist – und der in Rahnsdorf ermordet wird. Auch ein Politiker namens „WoWi“ kommt vor. Allerdings geht es vor allem um einen Autoren, der Blasenkrebs hat. „Ein Bestseller ist es nicht geworden“, bedauert Bergrath. Der große BER-Roman muss noch geschrieben werden.