Notes of Berlin: Berliner Zettelwirtschaft
Manchmal erkennt man die Laternenpfähle, Poller oder Ampelmasten gar nicht mehr unter den dicken Ringen aus Zetteln, Flyern und Plakaten die in jahrelanger Kleinstarbeit um sie herumgeklebt wurden. Berlin ist die Stadt der handgeschriebenen Nachricht im öffentlichen Raum – auch in Zeiten des Internets.
Der 30-jährige Joab Nist hat sie für seinen Blog Notes of Berlin gesammelt und in seinem Buch „Wellensittich entflogen. Farbe egal“ verewigt. Nach dem großen Erfolg plant Nist jetzt ein zweites Buch über die kuriose Zettelwirtschaft Berlins.
Herr Nist, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Zettel zu sammeln?
Als ich 2003 von München nach Berlin gezogen bin, bin ich zu Anfang immer mit meiner Kamera durch Berlin gelaufen, um mir ein Bild von der Stadt zu machen. Ich wollte alles festhalten, was besonders ist und dabei sind mir die Zettel aufgefallen. So etwas gibt es in München nicht in dieser Menge. Die Zettel sind so etwas wie Reiseführer durch die Kieze.
Inwiefern?
Die Zettel sagen ja auch etwas aus über die soziale Struktur, es wird vor Hundescheiße und Dieben gewarnt. In Prenzlauer Berg wird eher nach gebrauchten Kindersachen gesucht als in Mitte. In Neukölln sind die Themen oft idealistischer, naiver. Da sucht jemand eine Wohnung, obwohl er kaum Geld hat, oder möchte vielleicht aus einer spontanen Idee heraus ein Café eröffnen und sucht Mitstreiter. Interessant ist auch, dass die meisten Einsendungen aus den Innenstadt-Kiezen kommen. Als ob es in den umliegenden Stadtteilen weniger Kommunikation gäbe. Ich bekomme für meinen Blog notesofberlin.com, den ich seit Ende 2010 betreibe, immer noch fünf bis zehn Einsendungen am Tag. Daraus wird das zweite Buch entstehen.
Gab es eigentlich auch mal Ärger wegen eines abgebildeten Zettels?
Ja, das kam mal vor. Ein Mann hatte Zettel aufgehängt, auf denen er mitteilte, dass er seine Fahrradtasche betrunken verloren hätte. Unterschrieben war der Zettel mit dem Spitznamen des Mannes. Der Mann bat mich, den Zettel von meiner Website zu löschen, er befürchtete Ärger mit seinem Arbeitgeber. Warum, weiß ich nicht, er kann sich doch privat betrinken, wie er will. Aber ich habe den Post natürlich gelöscht.
In Ihrem ersten Buch ist gleich zu Beginn ein Zettel abgebildet, auf dem ein Felix eine Johanna sucht, in die er sich offenbar verliebt hat. Wissen Sie, was daraus geworden ist?
Leider nein, der Zettel ist von 2005, damals hatte ich ja noch keinen Blog. Ich habe leider nie herausgefunden, was aus den beiden geworden ist.
Welcher der Zettel ist denn Ihr liebster?
Der „Wohnungstausch“ (siehe Bild oben). Der vereint mehrere tolle Komponenten. Er ist sehr aufwendig gezeichnet und auch sehr kreativ. Gleichzeitig sehr idealistisch und auch einen Tick naiv. Ich finde, er sagt viel aus über Berlin und seine Bewohner.
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Das Gespräch führte Marcus Weingärtner.