Obdachlose in Berlin-Schöneweide angezündet: Opfer schwebt in Lebensgefahr – Polizei fahndet nach dem Täter

Zwischen Löschschaum, zerschlissener Kleidung und zwei Bierdosen liegen ein paar Cent-Münzen. Sie gehören den beiden Männern, die am späten Sonntagabend vor dem S-Bahnhof Schöneweide nur knapp dem Tod entkommen sind. Ein Unbekannter hatte sie und ihre Habseligkeiten gegen 23 Uhr mit einer leicht entzündlichen Flüssigkeit übergossen und angezündet. Eine Tat, die die Stadt erschüttert hat.

„Die beiden Männer haben fürchterlich geschrien vor Schmerzen“, sagt eine Frau, die gegenüber des Bahnhofs am Cajamarcaplatz wohnt. Sie hat den Vorfall beobachtet, kennt die beiden, die fast jeden Tag vor dem Bahnhof ihr Nachtlager aufgeschlagen haben. Die Männer waren ruhig, und angepöbelt haben sie auch keinen. Immer wieder habe sie den beiden ein paar Geldstücke in deren Becher gelegt, sagt die Frau, die am Montagvormittag eine Blume am S-Bahnhof Schöneweide ablegte.

Am Abend hielten Anwohner und Bekannte der Männer am Tatort eine Mahnwache ab. Rund 150 Menschen haben sich am Montagabend beteiligt. Die Mahnwache richtete sich gegen „Obdachlosenfeindlichkeit und Ausgrenzung“, teilte das Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick (ZfD) mit, das dazu aufgerufen hatte. Vor dem Tatort stand ein Schild mit der Aufschrift: „Trauer - Wut - Solidarität“. Menschen legten Blumen und Kerzen nieder. In einer kleinen Schale wurden Spenden für obdachlose Menschen gesammelt. Zu der Mahnwache waren vor allem selbst Obdachlose, aber auch viele junge Leute gekommen. Passanten aus dem Bahnhofsgebäude verharrten kurz in stillem Gedenken. Die kleine Kundgebung verlief nach Angaben der Polizei friedlich. 

Es ist der vierte Angriff auf Obdachlose in und vor Bahnhöfen seit Dezember 2016. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher sein, sagt Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission.

Die Mordkommission ermittelt nun wegen versuchter Tötung. Die Ermittler suchen Informationen der Berliner Zeitung zufolge nach einem älteren Herrn, vermutlich hat er russisch gesprochen. Er kommt als Täter in Frage, auch wenn das Motiv immer noch unklar ist.

Ein Opfer schwebt in Lebensgefahr

Fest steht dagegen, dass das beherzte Eingreifen eines Pärchens den Opfern das Leben gerettet hat. Die Frau und der Mann liefen in einen benachbarten Imbiss, holten sich dort einen Feuerlöscher. Dann erstickte der Mann die inzwischen lodernden Flammen. Ein dritter Passant rettete den Hund der beiden Obdachlosen aus den brennenden Decken.

Rettungskräfte brachten die Männer schließlich ins Unfallkrankenhaus Marzahn, das auf die Behandlung von schwersten Brandverletzungen spezialisiert ist. Der Zustand eines der Opfer sei sehr kritisch, hieß es am Montagnachmittag. Der Mann schwebt in Lebensgefahr.

Bei den Opfern handelt es sich um den 62 Jahre alten gelernten Kraftfahrer Lothar D. und seinen 47 Jahre alten Freund, den gelernten Maurer Andy V. Die beiden Berliner leben seit Jahren auf der Straße. Sie sind im Kiez rund um den Bahnhof Schöneweide bekannt.

Opfer gerieten mit einem unbekannten Mann in Streit

Die beiden Männer mögen es, auf der Straße zu leben, berichten Anwohner. Für sie sei es ein Stück Freiheit. Die asphaltierte Fläche vor dem Fahrstuhl, der Fahrgäste in den Untergrund des Bahnhofs befördert, ist ihr Platz. Dort saßen sie fast täglich, manchmal mit drei bis vier Freunden aus der Szene.

Am Sonntag sollen sie sich dort mit einem russisch sprechenden Mann gestritten haben, berichten Mitarbeiter anliegender Läden. Von diesem Mann wissen die Mitarbeiter der 5. Mordkommission bisher nicht viel. Die Ermittlungen seien schwierig, weil es keine Hinweise zu seiner Identität gibt.

Die Opfer selbst seien wegen der Schwere der Verletzungen noch nicht befragt worden, hieß es im Landeskriminalamt. Bekannt ist lediglich, dass die beiden späteren Opfer am Nachmittag mit einem anderen Mann in Streit gerieten. Dabei soll es um Bekleidung gegangen sein.

Obdachlose waren bereits mehrfach Ziel von Angriffen

Der jüngste Fall erinnert an eine Brandattacke auf einen Obdachlosen am Weihnachtsabend 2016, die deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. Eine Gruppe Jugendlicher hatte am U-Bahnhof Schönleinstraße in Neukölln versucht, einen schlafenden Mann anzuzünden. Fahrgäste konnten Schlimmeres verhindern, der Obdachlose blieb unverletzt. Knapp ein halbes Jahr später wurde der Haupttäter zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Im Januar dieses Jahres hatte ein Unbekannter am U-Bahnhof Yorckstraße in Schöneberg drei Obdachlose attackiert. Er stach einem der drei Männer mit einem Gegenstand ins Bein. Einem 50 Jahre alten Obdachlosen trat er ins Gesicht. Einem 36-Jährigen schlug er mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Anschließend flüchtete der Angreifer.

Ein Jahr zuvor hatten mehrere Jugendliche einen Obdachlosen angegriffen, der auf einer Bank am U-Bahnhof Mehringdamm in Kreuzberg saß. Ein Schläger trat dem 32-Jährigen ins Gesicht und schlug ihn mehrfach. Zwei weitere Täter prügelten den Obdachlosen von der Bank. Sie flüchteten, als eine Zeugin dazwischenging. Die Täter stellten sich. (mit dpa)