Oderbruch-Weiler: Zurück auf der Landkarte
Bienenwerder - Die Brücke, die sich beim Oderbruch-Weiler Bienenwerder (Märkisch-Oderland) auf einer Gesamtlänge von mehr als 750 Metern über die Oder, ihre Inseln und Überschwemmungswiesen spannt, sieht aus wie das Werk eines Flickschusters. Es ist ein stählernes Kuriosum mit völlig unrhythmischen seitlichen Überbauten, das funktionslos dem Oderwind trotzt. Ihr Zugang ist abgesperrt. „Betreten verboten. Lebensgefahr!“, mahnt ein Warnschild. Nicht einmal einen offiziellen Namen hat das Konstrukt. In der Literatur taucht sie mal als „Brücke Bienenwerder“, mal als „Neurüdnitzer Oderbrücke“ oder auch als „Zäckericker Viadukt“ auf. Auf DDR-Karten ist die längste deutsch-polnische Oderquerung gar nicht eingezeichnet.
„Das ist die Eisenbahnbrücke Neurüdnitz – Siekierki“, sagt Wolfgang Skor, Vorsitzende des deutsch-polnischen Vereins Bez Granic e.V. (Ohne Grenzen). Im Verein haben sich Bürgermeister von Kommunen beidseits des Oderbruchs, Vertreter kultureller und touristischer Organisationen sowie Privatleute zusammengeschlossen, um ihre Region gemeinsam voranzubringen. „Die Brücke wurde zu Zeiten des Kalten Krieges als mögliche militärische Nachschubverbindung des Ostblocks errichtet“, erklärt Skor. „Sie ist aus verschiedensten Bauteilen von anderen, nicht mehr benötigten Flussbrücken zusammengestückelt worden.„ Nur einmal sei ein mit Panzern beladener Zug im Probebetrieb über sie gerollt. „Wir wollen die Brücke mehr als fünf Jahrzehnte nach ihrem Bau endlich öffnen“, sagt der Vereinsvorsitzende.
Bindeglied für die Region
Die Pfeile der Radwegekreuzung an der Brücke zeigen nach Nord, Süd und West: 41 Kilometer sind es bis nach Schwedt, 39 Kilometer bis nach Küstrin, 45 Kilometer bis zum S-Bahnhof Strausberg-Nord. Eine Karte preist die Sehenswürdigkeiten in den drei Himmelsrichtungen. Wolfgang Skor und Karsten Birkholz, der Direktor des Amtes Barnim-Oderbruch, wollen, dass das Angebotsspektrum auch den Osten erfasst. Dort, am polnischen Ufer der Oder, glitzern goldgelb kleine Sandbänke in der Januarsonne vor den dicht bewaldeten Hängen. Dahinter liegen kleine polnische Ortschaften wie Moryn, Cedynia oder Mieszkowice.
Auch sie sind wie das Amt Barnim-Oderbruch Mitglieder des Vereins Bez Granic e.V. „Für unsere schöne Oderlandschaft allein können wir uns nichts kaufen“, sagt Birkholz. „Das sehen die polnischen Kollegen genauso. In der grenzüberschreitenden Entwicklung des Kultur- und Naturtourismus liegt unsere einzige Perspektive.“
Die ziemlich marode Brücke soll zum praktischen und symbolischen Bindeglied der Region werden. Der Verein Bez Granic hat eine Machbarkeitsstudie zur „Revitalisierung des Grenzübergangs Oderbrücke Neurüdnitz – Siekierki als Europäisches Begegnungszentrum“ erstellt. Das Amt Barnim-Oderbruch und die Gemeinden Moryn und Cedynia beteiligten sich mit diesem Projekt an einem vom Bundesverkehrsminister und vom polnischen Infrastrukturminister ausgelobten Wettbewerb „Kooperation ohne Grenzen“. „Wir sind aus 50 Bewerbern als Sieger hervorgegangen“, sagt Amtsdirektor Birkholz.
Denkmal- und Naturschutz berücksichtigen
Geplant ist, die Brücke für Radfahrer und Fußgänger sowie für touristische Schienenbusse und Draisinenfahrzeuge zu öffnen. Auf einer Insel in der Mitte des Flusses soll zugleich ein Dokumentationszentrum der wechselvollen Geschichte an diesem Ort entstehen. Ein Brandenburger Draisinenbahnbetreiber, der schon mehrere Strecken im Land unterhält, will in das Vorhaben als privater Investor mit einsteigen und die noch vorhandenen Schienen auf polnischer Seite zu einer Erlebnisstrecke in Richtung des Erholungsgebiets Moryner See ausbauen.
Der 34-jährige Amtsdirektor aus dem Barnim weiß, dass die Pläne auf den ersten Blick wie Träume anmuten. Die Studie schätzt die Gesamtkosten auf rund vier Millionen Euro. Die sollen aus Fördertöpfen der EU eingeworben werden, das notwendige Eigenkapital habe der private Investor zugesagt, sagt Birkholz. Viele rechtliche Fragen und die Verantwortlichkeit des deutschen Investors müssten geklärt, Belange des Denkmal- und Naturschutzes berücksichtigt werden.
Birkholz setzt darauf, dass die Lorbeeren von höchster Stelle dem Anliegen nun weitere Türen öffnen werden. Das wichtigste Ergebnis der Auszeichnung sei die organisatorische und fachliche Begleitung des Projekts durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sowie das erfahrene Planungsbüro Infrastruktur und Umwelt aus Potsdam. „Niemand wird uns die weitere Arbeit abnehmen“, sagt er, „aber die Brücke ist zurück auf der Landkarte.“